Wer war Helmut Qualtinger? Auf diese Frage gibt es wohl tausende Antworten. Da ist einmal der Schauspieler, der am Ende seines Lebens nach der Nebenrolle in der Verfilmung von Umberto Ecos „Der Name der Rose“ kurz vor dem internationalen Durchbruch stand und der die Jahrzehnte davor mit seiner Darstellung der gesamten Bandbreite von österreichischen Charakteren das Land in all seinen Abgründen und Höhen vermessen hat. Dann gibt es die heute fast schon vergessenen Satiren, die den Schriftsteller Qualtinger als natürlich genauen, scharfsinnigen und zutiefst menschenverliebten Beobachter zeigen. Ja und dann sind da natürlich die unglaublichen Aufnahmen von Qualtinger als Rezitator, der mit seiner Stimme Welten erschaffen kann. Sein unerreichtes Meisterstück ist hier sicher seine Interpretation der „Letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus, in der er einer Unzahl von Figuren eine unverwechselbare Stimme gibt und dem Hörer den Tanz auf dem aktiven Vulkan des Krieges schon fast zu nahe bringt.
Anlässlich seines 90. Geburtstages versammelt nun eine DVD-Box eine Auswahl aus seinem Werk als Schauspieler und natürlich den Herrn Karl, seine mit Carl Merz geschriebene oder erarbeitete Wanderung durch die Seele eines Wiener Opportunisten in der Nachkriegszeit. Auch heute ist die Erbarmungslosigkeit, mit der von den beiden Autoren vorgegangen wurde und wie Qualtingers Darstellung diese Figur seziert, kaum auszuhalten. Für alle nachfolgenden Darsteller war und ist diese Aufzeichnung eine Bürde, aber besseren Geschichtsunterreicht als alleine diesen Text gibt es nicht.
Nicht nur in der Aufarbeitung des Nationalsozialismus setzte Qualtinger Maßstäbe. In einer Zeit, in der der österreichische Film unter der Umklammerung von Franz Antel und seiner Idee von Unterhaltung litt, drehte Qualtinger mit Mann im Schatten und Kurzer Prozess in den 1960ern Kriminalfilme, die die Zeit spiegelten und auch jede Süßlichkeit vermissen ließen. Diese Filme muss ein Helmut Zenker eingesogen haben, denn sein Adolf Kottan und die ersten Darsteller Peter Vogel und Franz Buchrieser waren ohne Zweifel von Ermittlern wie Qualtingers Bezirksinspektor Pokorny mehr als beeinflusst.
Neben diesen Meilensteinen erhält die Box noch die gesamte Alpensaga von Peter Turrini, die erhaltenen Aufnahmen aus den Simpl-Programmen Hackl vorm Kreuz und Dachl überm Kopf, die Geschichten aus dem Wienerwald und die Thomas-Bernhard-Verfilmung Der Kulterer, in der von der Hauptfigur versucht wird, in der Enge des Strafvollzugs sich selbst zu finden. Eine harte, naive und zutiefst irritierende Erfahrung. Wer etwas über einen großen Künstler erfahren will, über die graue Wirklichkeit der heute oft verklärten Fünfziger, Sechziger und Siebziger und über Meilensteine der österreichischen Filmgeschichte, der ist mit dieser Box bestens bedient.
90 Jahre Helmut Qualtinger
10 DVDs (Hoanzl)