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Wiener Club Kollaps

Text: Christoph Benkeser | Fotos: Magdalena Blaszczuk

Drei Vertreter der Wiener Clubszene über die dramatische Situation seit dem Lockdown, den Bürokratie-Dschungel und mögliche Auswege aus der Krise. Eine dringliche Bestandsaufnahme.

v. l.: Milena Košir Rantaša, David Krispel und Peter Nachtnebel. Foto: Magdalena Błaszczuk

„Die Wiener Clubs liegen im Sterben“, titelte eine österreichische Tageszeitung im Juli 2020. Bassverstärker verstauben, Plattenspieler drehen sich nicht mehr, das Wummern unter Tage ist verschwunden. Der Grund: COVID-19. Veranstaltungen und Performances verlagerten sich im Sommer auf öffentliche Plätze. Die Stadt Wien initiierte einen Kultursommer, unterstützte Künstlerinnen und Techniker, vergaß auf die Clubs. Für das FAQ-Magazine setzen sich drei Köpfe aus der Szene zusammen, um über die aktuelle Situation zu diskutieren. Milena Košir Rantaša führt seit 2019 den Gürtel-Club rhiz, eine Institution der subkulturellen Elektronik-Szene in Wien. Fünf Stadtbahnbögen weiter stellt David Krispel als Produktionsverantwortlicher und Booker die Bands auf die Bühne des Chelsea. Selber Aufgabenbereich, anderer Ort: Peter Nachtnebel verantwortet für das Fluc am Praterstern Konzerte und Musik. Ein Gespräch darüber, wieso es vertretbar ist, während einer Pandemie Konzerte zu veranstalten, welche Probleme den Clubbetreibenden der vergangene Kultursommer bereitet und warum der Kuchen irgendwann gegessen sein wird.

FAQ: Dreht sich die Diskussion um den Veranstaltungsbereich, fällt medial ein Wort auf: Clubkultur. Was versteht ihr darunter?

Peter Nachtnebel: Es ist ein Begriff, der in Wien erst seit den letzten Jahren ernst genommen wird. Clubkultur war ein Wort, das sich in Mikrodiskursen zwischen skug Magazin, Malmoe und FM4 abgespielt hat. Mittlerweile nimmt die Stadt Wien diesen Bereich ernst. Das hat mit der Stellung der Kulturstadträtin [Veronica, Anm.] Kaup-Hasler zu tun, aber auch mit der Vienna Club Commission, die zur richtigen Zeit in Kraft getreten ist. Außerdem hat es mit der Corona-Situation für alle Clubs zu tun, in der wir – aus wirtschaftlichen und kulturellen Gründen – Clubkultur jenseits akademischer Theorien verhandeln.

Wenn die Club Commission ihre Texte zur Clubkultur bebildert, sieht man leuchtende Mischpulte oder Personen hinter Plattenspielern. Fasst die Allegorie euer Bild von Clubkultur?

David Krispel: Für das Chelsea trifft die klassische Clubkultur nicht zu. Ich habe die Fragebögen der Club Commission und die Schlagseite der Musikrichtungen gesehen. Da fokussiert sich Clubkultur stark auf elektronische Musik.

P. Nachtnebel: Manche Leute vereinnahmen den Begriff im Sinne einer Wiener House- und Techno-Clubkultur. Dabei ist das ein kleiner Teil der Welt, in der es viel mehr Infrastrukturen gibt. Natürlich sind wir mit der Fluc Wanne Teil der Clubkultur – durch Untervermietungen für Veranstaltungen. Ich sehe mich aber als Vertreter der Konzert-Clubkultur.

Milena Košir Rantaša: Diese Bilder suggerieren das kommerzielle Star-System, das wir nicht mögen. Ich veranstalte mit dem rhiz nur wenige eigene Formate, vor allem Konzerte. Veranstalterinnen und Veranstalter treffen sich aber bei uns, haben eine Möglichkeit, Events für ihre Leute unter sehr guten Bedingungen zu organisieren. Das rhiz hat als Live-Club für elektronische Musik begonnen, bietet intime Atmosphäre mit gutem Sound, wie in einem Jazzclub. In den letzten Jahren sind viele Underground-Clubveranstaltungen dazu gekommen. Deshalb sehen wir uns in der frühen Tradition von Techno und House. Wir verstehen den Club als Community und als einen safe space, den wir bieten und halten wollen.

„Nicht gehört und nicht gesehen“, ist der Tenor, wenn man Vertretern der subkulturellen Szene auf politische Unterstützung anspricht. In Wien fand während Juli und August der Kultursommer statt – mit Konzerten auf öffentlichen Plätzen und mit Wiener Künstlerinnen und Künstlern, aber ohne Einbindung bestehender Veranstaltungslocations. Warum nicht?

P. Nachtnebel: 150 Meter hinter dem Fluc entstand eine Kultursommerbühne, ohne mit uns die Zusammenarbeit zu suchen. Wir haben die MA7 [Kulturabteilung der Stadt Wien, Anm.] kontaktiert und gefragt, ob eine Kooperation möglich wäre. Sie haben verneint, weil man zu diesem Zeitpunkt offensichtlich nicht gewusst habe, welches Programm man organisiert. Uns wäre das entgegengekommen. Wir haben die Erfahrung, hätten uns programmatisch einbringen können, während die Stadt die Bühne besorgt. Das wäre auch für den Donaukanal oder am Gürtel möglich gewesen.

Der Zeitraum zwischen der Idee zum Kultursommer und seiner Umsetzung sei zu kurz gewesen, um mit Clubs zusammenzuarbeiten, heißt es von Seiten der zuständigen Kulturabteilung.

D. Krispel: Das ist eine Ausrede. Wenn man 100 Bands buchen kann, sollte man auch mit zehn Clubs reden. Dass die Musikerinnen und Musiker eine Möglichkeit zum Spielen und eine Gage bekommen haben, ist schön. Für uns hat der Kultursommer das Booking erschwert, weil Musiker ohnehin gebucht waren. Und weil wir die Eintrittsgelder anheben mussten, während um uns herum Konzerte als Gratis-Veranstaltungen verschenkt wurden.

M. K. Rantaša: Die Förderung der MA7 an die Künstlerinnen und Künstler ist gut. Für uns als Clubbetreiber hat es aber einen anderen Effekt: Musikschaffende erwarten sich eine höhere Gage, weil die Kultursommer-Konzerte gut bezahlt waren. Weil die Konzerte gratis waren, gibt es weniger Leute, die Eintritt bezahlen möchten. Es wäre an der Zeit, dass wir für unser Programm eine Unterstützung bekommen.

D. Krispel: Im Zuge der Gürtel NightWEEK habe ich ein Konzert ohne Eintritt organisiert. Von der Stimmung her war es das schlechteste Konzert seit dem Lockdown. Es kommt Publikum, das am Gürtel flaniert, ohne sich für die Musik zu interessieren.

M. K. Rantaša: Mit einem kulturell motivierten nicht kommerziellen Programm hat man es mittlerweile am Gürtel schwer.

Lesen Sie das vollständige Interview in der Printausgabe des FAQ 58 

transam_fluc_2010_mb.pngFluc Wanne, Trans Am, 2010 © Magdalena Błaszczuk

PLANNINGTOROCK_rhiz.pngrhiz, Planningtorock, 2001 © Magdalena Błaszczuk

bobby_conn.pngChelsea, Bobby Conn, 2013 © Magdalena Błaszczuk

 

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