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Selbstfindung

Text: Pamela Jahn | Fotos: Sony Pictures

Scott hat es nicht leicht. Mit vierundzwanzig hängt er immer noch zu Hause rum, muss zusehen, wie seine kleine Schwester an ihm vorbeizieht und zum College aufbricht, während er von seiner Mutter die Leviten gelesen bekommt. Sie liebt ihren Sohn, hat aber langsam die Nase voll von ihm und würde sich gerne selbst neu in ihrem Leben einrichten; jetzt, wo beide Kinder „theoretisch“ erwachsen sind. Doch Scott kann, nein: will sich nicht ändern. Zu gemütlich ist es daheim mit regelmäßigen Joints und Abhängen vor dem Computer. Und immerhin hat er ja auch noch ein Trauma zu verarbeiten. Denn Scott hat bei den Anschlägen von 9/11 seinen Vater verloren, der Feuerwehrmann war und in den Türmen des World Trade Centers ums Leben kam. Damals war Scott gerademal sieben Jahre alt. Dieses tragische Erlebnis belastet nicht nur ihn bis heute, sondern auch Pete Davidson, der den liebenswürdigen Slacker in Judd Apatows neuer Tragikomödie spielt. Scotts Geschichte ist also nicht nur kompliziert, sondern darüber hinaus eindeutig angelehnt an die Jugend des Stand-Up-Comedian, der ihn verkörpert, weshalb Davidson auch offiziell einen Großteil des Drehbuchs beisteuerte.

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Für Apatow, möchte man meinen, war das ein großes Glück, denn nach Trainwreck (2015) hatte man den einst gefeierten ungekrönten König der Kinokomödie schon fast aufgeben wollen. Und auch wenn The King of Staten Island kein Comedy-Gold verspricht, so ist dem Regisseur in Zusammenarbeit mit seinem Protegé doch zumindest ein äußerst charmanter, unterhaltsamer und mehr als nur eindimensionaler Film gelungen, der seinen Helden stets mit Liebe und Respekt behandelt. Anders als Scotts Mutter (gespielt von der stets umwerfenden Marisa Tomei), die sich alsbald in einen neuen Mann verliebt, der ausgerechnet auch ein Feuerwehrmann ist und obendrein ganz schön hitzköpfig. Für Scotts „Situation“, wie für dessen Ambitionen, einmal ein großer Tattoo-Künstler zu werden, hat er noch weniger Verständnis als alle anderen in Scotts Umfeld, und so verdonnert er den Taugenichts dazu, auf seine Kinder aus erster Ehe aufzupassen, um eine gewisse Struktur in das Leben aller Beteiligten zu bringen. Scott willigt missmutig ein, und die Szenen, in denen er geduckten Hauptes mit seinen Zwangsgeschwistern an der Hand zur Schule schlürft, gehören schließlich zu den schönsten Momenten des Films.

Wie Scott durch die gravierenden Veränderungen, die um ihn herum und in ihm drin passieren, aus seinem bequemen Alltagstrott ausbricht, erzählt Apatow als klassische Selbstfindungsgeschichte, die sich eher am Dramatischen als am Komödienhaften orientiert und mit einer Sentimentalität gepolstert ist, die bisweilen hart an der Kante zum Kitsch balanciert. Davidson erinnert dabei jedoch interessanterweise ganz sympathisch an einen jungen Adam Sandler, und wenn man nach Reverenzen in Apatows Filmografie sucht, die sich auf The King of Staten Island anwenden lassen, dann ist Funny People (2009) vielleicht die beste. Zwar hat Sandlers todkranker Comedian in besagtem Film seine größten Erfolge bereits hinter sich und Davidsons Scott steht gerade erst in den Startlöchern seines Lebens. Dennoch zeigen beide Filme jeweils auf ihre Weise eindrücklich, dass im Reich der Komik auch nichts einfacher ist als im wahren Leben – manchmal sogar noch um einiges schmerzhafter.

The King of Staten Island

Drama/Komödie – USA 2020

Regie: Judd Apatow

Mit: Pete Davidson, Marisa Tomei, Bill Burr, Bel Powley, Maude Apatow, Steve Buscemi

Universal Studios, 132 Minuten

Ab 05.11.2020 als DVD und Blu-ray    

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