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Pop 'til your drop

Text: David Krispel | Fotos: Kobaru

Satte 40 Jahre nach Raw Power ist kürzlich das zweite Album von Iggy & The Stooges erschienen. Vielleicht kein totaler Burner, aber gegen das alle Hoffnung fahren lassen habende Reunionsunding der Stooges aus 2007 ist es doch ein Segen. Wahrscheinlich, weil es ein konzeptueller Rekurs auf klassische, wenn auch leicht verpfuschte Handarbeit ist. Damals wurde ein einfaches Songfolgenmodell Opener/Ballade/Classic Rock/Weird Out auf zwei Seiten wiederholt. Ready To Die bringt in völlig ausreichenden 35 Minuten Spielzeit ebenso doppelseitig angelegt jeweils nach den stumpfen, simplen Rocknummern (okay, mit einer guten Dosis Punk Attitude) finale Balladen, die dem Igster deutlich hörbar am meisten Herzblut abverlangen. Rock, Rock, Rock und Roll geht ja nicht endlos und dass Mister Osterberg gerade in schmusigen Fahrwässerchen am liebsten planscht, haben seine letzten Longplayer nicht immer eindrucksvoll demonstriert. Als großes „Fuck You“ an seine Hardcore-Fanatiker sind die Chanson- und Coversammlungen (ausgerechnet „Michelle“!) natürlich ein fast monumentales Statement. Egal. Glücklicherweise ist Ron Asheton 2009 verstorben. Sonst hätte Iggy ihn womöglich erneut zum Bassisten degradiert, nachdem er seinen Ex-Junky-Buddy und nunmehrigen Pensionisten James Williamson als Axtmeister zurückgeholt hat. Über Ron ätzt Iggy besonders gerne, attestiert ihm auch posthum nur bescheidene Fähigkeiten und gab in den Liner Notes zu seinem Raw Power-Mix über die Asheton-Brüder zu Protokoll: „Those guys really couldn’t organize a home aquarium without me, anyway.“ Nebst anderen Wehwehchen plagt Iggy weiterhin sein unerschütterlicher Superiority-Complex, der es verunmöglicht, Entscheidungen aus der Hand zu geben, oder seinen Mitstreitern gebührenden Credit einzuräumen. Bassist Mike Watt hat es jetzt zumindest aufs Inner Sleeve geschafft, auf den offiziellen Bandfotos ist er nicht zu sehen, sein Name wird in diminutiver Schrift gelistet. Über James Williamson hat Iggy in der aktuellen Ausgabe des Musikmagazins „Slam“ (immer lesenswert) in einem launigen Interview mit Marcel Anders folgendes zu sagen: „James ist ein Vollarsch. Ein blödes amerikanisches Business-Arschloch. Was ja kein Wunder ist: Er war die letzten Jahre Vizepräsident für Unterhaltungselektronik bei Sony. Sprich: Er ist um die Welt gereist, um andere Leute über den Tisch zu ziehen und der Öffentlichkeit billigen Scheiß anzudrehen, den sie eigentlich nicht braucht. Das färbt auch charakterlich ab.“

Oft wird behauptet, Iggy sei zwar ein Idiot, aber kein Fool. Dennoch mutet es dümmlich an, dass er seine vorhandenen Ressourcen nur ansatzweise ausschöpft. Die Faulheit der Stooges ist nicht umsonst legendär geworden. Das erste Album hatte drei Songs, ein elendiglich dahinmäanderndes Psychedelic-Mantra und etliche Filler. Fun House konnte nur durch das finale Freak-Out „L.A. Blues“ ausgefüllt werden, das leider durch separierte Editierung seitens der Elektra-Heads völlig verpfuscht wurde. Raw Power wiederum krankte nicht am viel diskutieren Bowie-Mix, sondern am Produzenten Iggy Pop, und vor allem an der fatalen Kombination aus billigem Hinterhofstudio und teuren Drogen. Das Boogie/Glam-Piano ist zudem Geschmackssache und der Wechsel von den vormals abstrakten Strukturen hin zu einer konventionellen Kohärenz ist und bleibt bedauernswert.

„Sexier and saxier“ schreibt „Mojo“ über das aktuelle Produkt. Ja, es ist super, dass Steve Mackay wieder saxofoniert. Seine Beiträge zum ultimativen Stooges-Album Fun House waren essentiell. Auf „Ready To Die“ kommt das Sax jedoch leider nur schmerzhaft cheesy rüber, ist mit der Imaginationskraft einer mittelmäßigen Barband eingesetzt. Sex geht freilich immer, Titten werden zweimal gefeatured. „Nipples come and nipples go“ ist eine Ansage und die glaubwürdige Hommage „DD’s“ geht so in die vollen: „I’m so happy when I look at them / Though I’m happier when I’m touching them / Aristotle never covered this / If he had, I think he woulda missed / There’s no need to be pedantic / This is basic, not romantic“. Da ist der alte High-School-Streber („most likely to succeed“ stand in seinem Schuljahrbuch) retour, der zu viel Nietzsche und Schopenhauer gelesen hat und sich bei enger Themenpalette in einer Reihe mit den größten Denkern der Weltgeschichte sieht. Trotz geistiger Brillanz eben auch bis in alle gottverdammte Ewigkeit ein Teenager. Wer sich „Ready To Die“ oft genug reinzieht, wird seine Freude daran finden. Ohren halten vieles aus und bei No-Brainer-Refrains der Marke „I got a job / I got a job / I got a job / But it don’t pay shit“ gibt es einfach kein Entkommen. Who cares? Dem Vernehmen nach nicht einmal Werner „Shorty“ Schartmüller, der als bestmöglicher Iggy-Versorger erwähnt werden muss. Sein Wiener Plattenladen Rave Up ist die Adresse for all things Iggy, Stooges, Ashetons (vergessen wir nicht New Order und Destroy All Monsters) und Detroit. Wer im Rave Up noch keine Stooges-Platte gekauft hat, sollte sich diesen Gefallen tun. Jetzt!

Über Iggys performativen Ehrgeiz ein paar weitere Worte aus dem „Slam“-Interview: „Ich werde überall auftreten, wo man mich hören will und alles geben, was in mir steckt. Wenn das nicht reicht, hole ich meinen Penis raus, lecke eure Freundinnen ab oder spiele so lange, bis ihr um Gnade winselt.“ Dieser Schreiber hat die Stooges einmal (noch mit Ron Asheton) gesehen. Im Konzert ist der Gedanke an aktuelle Tonträger verflogen. Was John Sinclair, Guru der Big-Brother-Band MC5, gesagt hat, bleibt gültig: „Iggy has gone beyond performance. It’s pure psychodrama.“ Liest man die Setlists der laufenden Tour, bleiben keine Wünsche offen. Der Fokus liegt auf den Zusammenarbeiten mit James Williamson, inklusive eines Kill City-Blocks. Etliche nur unzulänglich auf Bootlegs dokumentierte Perlen wie „Cock In My Pocket“, „Open Up and Bleed“ oder „I Got a Right“ (essentielle Herzstücke des Proto-Punk-Kanons) tauchen auf, die Highlights von Raw Power, unvermeidliches und notwendiges der ersten LPs sowie eine fast zu großzügige Auswahl neuer Songs. Da immer wieder „Unknown“-Einträge aufscheinen, könnte das letzte Wort eventuell doch noch nicht gesprochen sein. Aus der Sicht von Mike Watt (nachzulesen in seinen Tourtagebüchern auf hootpage.com) sieht ein Gig so aus: „earlier ig had jumped in the air and landed on my foot, it happens cuz I ain’t so mobile and find it tough to swerve to avoid but then he ain’t weighing all that much so no hurt … ‚open up and bleed‘ is our set finisher and we get the ending really going manic and it whups ig up big time. this whole gig he’s really plugged into the volts and current the gig-goers have been bringing us, such good people – ig loves it and he gets really fired up. when ig is next to me dancing up a tornado he gives a buttcheck right into my strings which bowls me over. it’s only an instant before I realize I can’t just absorb the blow and am going so I ready myself, rounding up my body and limbs so I’ll be able to roll w/it and plummet to the deck but w/out a hurt. I did leave the strings for a moment so the bass playing goes muted for a sec but soon as I can I heft myself back up and get back thumping away, ig giving me a pat and saying sorry followed w/a smile and I ain’t anything but all about being there for him and it’s no big deal. I’m just not strong enough, it’s not his fault. must’ve looked funny though, I’m into that.“

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Zur Einstimmung aufs Konzert ist totales Eintauchen ins Werk nicht verpflichtend, aber angeraten. Jeder braucht die kompletten Fun House-Sessions. Ein 7-CD-Ziegel, der den Myth‚os dieses Jahrhundertalbums gehörig erweitert, ob man nun 20 Takes von „Lose“ in Serie hören will oder nicht. Produzent Don Gallucci hat alles richtig gemacht, sich nicht eingemischt, die Band live im Studio spielen lassen und einen Kick-Ass-Toningenieur engagiert. Mit Primitivität lässt sich die spielerische Hitze dieser Aufnahmen nicht erklären. Ein Füllhorn ebenbürtiger Variationen der heiligen Schrift. Ein wichtiger Autor dieses Textes war Bassist Dave Alexander (ein selten erwähntes Mitglied des Klubs 27, hat sich zu Tode gesoffen), auf dessen Riffs „1970“ und „Fun House“ aufbauen. Nicht mehr leicht zu kriegen ist eine erweiterte Doppel-CD des Stooges-Debüts, auf der alle Originalmixe von John Cale enthalten sind. Die empfand die Plattenfirma als zu „arty“ und schnipselte ein paar Essenzen raus. Von Raw Power sind mindestens vier Mixversionen erhältlich. Iggys Versuch war gar nicht so schlecht, immerhin hat er alles in den roten Bereich gedreht und so auch ordentlich mehr an Bass und Drums rausgeholt. Ron Asheton über die Originalversion: „Man, it’s terrible. It sounds like SHIT! There’s no drums and no bass. So of course, the Asheton brothers get shit on again. I felt really bad because I had music to present. But once again … He had partnered up with James. James always loved Keith Richards and he even emulated him in his personal style and appearance. He finally got his Jagger-Richards. So he and Iggy were the songwriters. They wouldn’t let me do nothing even though I would come up with pieces. Jim would actually almost go for something. Little suggestions I made for the tunes, little twists. Not that I did any major structural changes. But I did do pieces to enhance and I was never recognized. I didn’t even get a fuckin’ ‚thank you.‘“

Nach dem Stooges-Aus haben Iggy und Williamson Kill City eingespielt. Nominell zwar nur ein Demo, sind die acht Songs aus 1975 nach dem relativen Erfolg der beiden „Bowie-Alben“ auf Bomp erschienen und bis heute in unzähligen Mülleditionen aufgelegt worden. Die beste Compilation heißt A Million In Prizes. Das sollte vorerst genügen. Das letzte Wort hat Iggy: „No regrets. I get up in the morning, I look in the mirror, and I think, ‚Hey, you’re a pretty interesting guy.‘ There are so many stories around about all the things I’ve done … they certainly cover a wide range of human behavior, and I’m not sure I’ve done them all or not. It doesn’t really matter. I may be mildly crazy, but at least I’m not some dick who never did anything.“

FAQ verlost 3 Exemplare des neuen Albums „Ready to Die“ von Iggy and The Stooges

Senden Sie bis 10. August eine E-Mail mit dem Betreff „Ready to Die“ an gewinnspiel@faq-magazine.com

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