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Elfie Semotan

Text: Schöny Roland | Fotos: Magdalena Blaszczuk

Sie haben Ihre Arbeit als Fotografin in jenem für viele kaum noch vorstellbaren Zeitalter begonnen, in dem das Bild im Zuge chemischer Prozesse ausgearbeitet wurde. Erst danach setzte sich die digitale Technologie durch. Wie hat die Umstellung von Analog zu Digital ihr persönliches Verständnis des Mediums Fotografie beeinflusst?

Meine Arbeit veränderte sich natürlich, weil die digitale Fotografie viel vereinfacht hat, aber sie hat die Herstellung des Bildes nicht wirklich verkürzt. Die digitale Bildbearbeitung steht ja bloß an Stelle der Dunkelkammer. Da haben stets auch andere Leute für mich gearbeitet, weil ich nicht beides machen konnte – Dunkelkammer und Fotografieren. Genauso ist es jetzt mit der Nachbearbeitung. Man sollte aber nicht vergessen: Die Fotografie bestand von den frühesten Anfängen an nie aus der Aufnahme allein, sondern es war immer eine Konstruktion im Prozess. Zu Schwerpunktverlagerungen kam es auf technischer Ebene: Bei der analogen Fotografie etwa konnte man die Lichtqualität und somit die Bildqualität kaum verbessern, außer durch aufwändige und kostspielige Methoden. Im Gegensatz dazu ist es heute einfacher, ein digitales Produkt zu verändern. So ging allerdings eine Sache verloren – die Aufmerksamkeit, die man dem Licht entgegen bringt.

Ist somit eine spezifische Kompetenz im Bereich der Fotografie verloren gegangen, also eine spezielle Art von Weltbezug durch das Auge des Fotografen oder der Fotografin?

Diese Kompetenz zählt immer noch und wird bestehen bleiben. Selbstverständlich könnte man sie einfach ignorieren. Viele Leute tun das auch, indem sie einfach drauflos fotografieren, wobei ich nicht behaupte, dass sei schlecht. Die Aufmerksamkeit richtet sich bloß auf etwas anderes; auf Situationen, die früher einfach passiert sind. Niemand konnte so schnell fotografieren oder einen Film einlegen. Heute wird mehr dokumentiert als jemals zuvor, wobei auch auf diese Weise ganz erstaunliche Dinge passieren. Der Zugang zum Bild ist schneller und spontaner geworden.

Von Ihnen gibt es Fotoserien der Beiläufigkeit, darunter Fotos aus dem Fenster Ihres Apartments in New York. Steht dahinter diese Art des schnellen Abdrückens oder versuchen sie eine besondere Form der Annäherung?

Nein, ich glaube, das könnte man nicht so zusammenfassen. Was ich fotografiert habe, kann für ein breiteres Publikum sogar ziemlich uninteressant sein, weil es sich um sehr spezielle Dinge handelt, an die ich mich mit meinem persönlichen Blick annähere. Ich mag Dinge, die einerseits gewöhnlich wirken und dennoch von besonderer Schönheit sind. Sie werden für mich interessanter, wenn man sie durch die Fotografie aus ihrer Umgebung heraushebt.

Ist diese Art der Fotografie eine Fluchtbewegung aus der kommerziellen Werbefotografie, die Sie gemacht haben, wo es gezielt darum geht, Aufmerksamkeit zu erzeugen?

Das könnte man zwar so interpretieren, doch sehe ich das persönlich anders. Der Hang, mich abseits bestehender Konventionen zu bewegen, prägt mich nämlich seit jeher. Mit der Werbefotografie habe ich mich zunächst beschäftigt, weil ich triviale Dinge wie Waschmittelpackungen viel interessanter fotografieren wollte. Ich glaube, dass sich für das meiste eine Form finden lässt, die interessant ist.  Jene Fotografien, die Sie ansprechen, erwecken aber kaum Aufmerksamkeit. Die Serie „Division Street“ schon gar nicht. Sie wirkt eher langweilig, weil nichts Dramatisches geschieht. Mein Apartment befindet sich in Chinatown. Mir hat gefallen, was unten auf dieser Straße passiert. Oder eben nicht passiert, wie das für New York überhaupt typisch ist. Etwa wird der Mist auf die Straße geworfen, aber nicht irgendwie, sondern gleich geschichtet; doch nicht besonders ordentlich. Es ergaben sich da immer bestimmte Muster, wenn ich aus dem Fenster sah. Irgendwann begann ich, das zu fotografieren. Schließlich stellte ich fest, dass sich an fünf Tagen einer Woche, an denen sich scheinbar nichts ereignet, wo es weder regnet, noch sonst irgendetwas, letztlich doch viel verändert – angefangen vom Lichteinfall am Morgen, wie die Leute wann und wo durchgehen, was sie mitschleppen bis zur Abenddämmerung, in der die Garage daneben langsam beleuchtet wird. Es ist unglaublich, welche unterschiedlichen Stimmungen derselbe Fleck hervorzubringen vermag. Unfassbar, wie poetisch das ist, aber es ist immer dasselbe, eben nichts Neues.

Sie sagen: „Das habe ich immer gemacht, das ist persönlich.“ Mit dieser Einstellung bewegen Sie sich doch genau im Schnittfeld von professioneller Werbefotografie und künstlerischer Arbeit. Sehen sie eine klare Trennlinie zwischen diesen beiden Bereichen, die Ihnen sehr vertraut sind? Oder klappen Sie Themen, Haltungen und Zugänge aus beiden Feldern hin und her?

Das funktioniert nicht, man kann nicht so hin und her klappen. Außerdem mache ich keine kommerzielle Produkt-fotografie. Das hab ich wirklich nie gemacht, weil niemand geglaubt hätte, dass dies mir entspricht.

Aber Werbefotografie für Produkte: für Wäsche, für Kleidung oder für Mineralwasser. Aufnahmen, bei denen Menschen eine Rolle spielen …

Ja, aber es macht schon einen großen Unterschied, wenn Menschen dabei sind.

Gab es da eine Trennlinie zwischen dem Künstlerischen und dem Arbeiten für die Werbebranche, oder versuchten Sie das Künstlerische in die Werbung einzubringen?

Das habe ich immer versucht, das war eine meiner Intentionen. Mitunter wird Werbung ausschließlich vom künstlerischen Standpunkt her konzipiert, wie die Japaner es beispielsweise praktizieren: Die nehmen irgendein Foto, das lediglich die Haltung einer Reihe symbolisiert. Und wir hier in Österreich hatten doch mal Humanic. Wenn ich es schaffe, eine Geschichte zu erzählen und mich auch noch künstlerisch orientiere – an Roy Lichtenstein etwa – kann ich ziemlich weit gehen. Grundsätzlich jedoch glaube ich, dass sich in der Werbung – und von der habe ich sehr viel weniger gemacht – solche Konzepte immer weniger durchbringen lassen, außer Auftraggeber haben beschlossen, Kunst in die Werbung zu bringen. So einfach ist das mit dem Transfer der unterschiedlichen Denkweisen also nicht. Außerdem hat man ja eine gewisse Überzeugung, warum man etwas Bestimmtes eigentlich möchte und etwas anderes nicht. Daher funktioniert es nicht, dass man von einem zum anderen switcht.

Aber die scharfe Grenzlinie, die besteht für Sie nicht?

Nein, weil man sie manchmal unglaublich überschreiten kann, und wo es die Möglichkeit zu dieser Überschreitung nicht gibt, kann man das halt einfach nicht machen. Doch ich arbeite schon längere Zeit nicht mehr im Bereich der Werbung.

Überhaupt ist ihr Denken, ihr Bezug zum Bild sehr stark von der zeitgenössischen Kunst beeinflusst. Sie waren mit Martin Kippenberger verheiratet, der 1997 verstorben ist und davor mit dem Maler Kurt Kocherscheidt, der einem Herzversagen erlegen ist. Gemeinsam ist beiden nicht nur, dass sie die Intensität im Leben suchten, beide setzten auch sehr markante Konzepte in der aktuellen Kunst um. Wie sehr hat das Leben mit diesen Künstlern ihr Leben, ihre Arbeit beeinflusst, sie mitgerissen, beschleunigt?

Das war sicher beeinflussend. Es ist immer beeinflussend, in welchem Milieu man lebt. Allerdings war dies bereits im Alter von 15 eine Art Lebensperspektive. Damals bereits hatte ich mir vorgenommen, in einem solchen Zusammenhang zu leben und in keinem anderen. Ich sah schon früh, dass ich das nicht kann. Insofern war das eine Wahl, lange bevor ich meinen ersten Mann getroffen habe. Beeinflusst hat mich das insofern, als ich mir die Dinge einfach in Differenz zu den bestehenden Konventionen überlegt habe. Ich wollte etwas ändern in der Werbung und der Modefotografie und etwas anderes hineinbringen. Damals war nicht alles so penetrant auf Verkauf ausgerichtet. Oder die Dinge wurden langfristiger gesehen, was mehr Spielräume ermöglichte. Es handelte sich um Marken, die bereits länger existierten, wie Römerquelle. Da konnte man so eine Linie verfolgen, die nicht auf Biegen und Brechen jetzt im Moment verkaufen musste. Aber ich wollte durchaus die Werbung ändern, ich wollte die Ästhetik ändern, ich wollte die Sicht ändern. Ich bin davon überzeugt, dass man für die Werbung auch sehr gute Fotos machen kann.

Trotzdem drängt sich dazu eine Frage auf, nämlich zur sexualisierten Darstellung des Körpers der Frau in der Werbung. Knapp nachdem der Kampf der Frauenemanzipationsbewegung gegen Sexismus in den Medien Hochkonjunktur hatte, waren Sie eine der ersten, die so etwas wie Sinnlichkeit oder überhaupt Begehren in Bezug auf den weiblichen Körper thematisierten. Die Plakat-Kampagne für erotisch gemeinte Wäsche der Firma Palmers, ihre Fotografien für das Unternehmen wurden als frauenfeindlich angeprangert. In Österreich markierte dies eine wichtige Phase der Diskussion um die öffentliche visuelle Repräsentation der Frau. Von Ihrer Seite war das jedoch kein naiver Akt, sondern eher als bewusste Setzung gemeint. Was war damals Ihre Hauptintention? Wie sehen sie die Bestrebungen der Werbung heute, den Körper der Frau als Verkaufsargument in den Vordergrund zu rücken?

Zunächst halte ich fest, dass mir die Position der Frau immer wichtig war, und zwar aus mehreren Gründen. Das hat mit mir und wo ich geboren, wie ich aufgewachsen bin, zu tun. Für mich gilt einfach, wenn ich jemanden fotografiere, den oder die nicht als Objekt zu betrachten, sondern mit Würde zu fotografieren. Egal ob Männer oder Frauen. Ich finde jedoch, dass Erotik oder Begehren Momente sind, die man nicht verbergen muss, jedoch habe ich etwas gegen die Form, in der das oft dargestellt wird. Das Rollenbild, das die Frau in solchen Fotografien zumeist einnehmen muss, lehne ich ab. Dass sie in festgeschriebene Beziehungen zu Situationen und Dingen gestellt wird, ist nicht in Ordnung für mich. Hinzu kommt, insbesondere wenn man Frauen fotografiert, dass man immer auf die Person und deren Möglichkeiten unmittelbar eingehen muss. Das geht für mich nicht anders.

Bei Palmers war dies zwar nur bedingt praktizierbar, weil das Unternehmen auf eine internationale Ebene geführt wurde, und man mit sehr prominenten Models wie Tatjana Patitz gearbeitet hat. Aber viele der guten Models nehmen sich einfach die Möglichkeit zu kommunizieren, wodurch sie sich auf spezielle Art öffnen. Ich muss ja die Person fotografieren, das Kleid ist eher zweitrangig ist. Mir ist wichtig, dass die Person wirklich präsent ist.

Um nun etwas zur erwähnten Debatte anzubringen: In den 1980er Jahren haben Feministinnen das nicht so locker gesehen. Natürlich nicht, und das verstehe ich auch, denn es galt, und es gilt ja noch immer, für etwas zu kämpfen, was die Position der Frau in der Gesellschaft betrifft. Zu besagten Plakaten damals hätte ich persönlich lieber einen anderen Text gehabt. Die parallel mit den Bildfolgen verwendeten Wortfolgen haben das ganze in eine Richtung gebracht, die mir nicht so gefallen hat. Ursprünglich wollte ich, dass der Schriftsteller Reinhard Priessnitz (†1985) den Text verfasst. Ich dachte, der macht das sicher fantastisch. Die Aufnahmen hätten dann noch einmal eine andere Qualität bekommen. Doch die Agentur hat das leider abgelehnt.

Wie eine zweite Ebene, die etwas in Schwebe hält?

Wie eine zweite Ebene, die nicht nur eine bestimmte Dimension der Bilder heraushebt. Ich wollte nicht wirklich derart eindeutige Vorstellungen erwecken. Aber das war einfach so, und das tut mir heute noch leid. Ich bin sicher, der Agentur tut die Entscheidung im Nachhinein auch leid.

Auch in ihrer künstlerischen Fotografie nimmt der Blick auf den Körper und auf die Frau speziell eine bedeutende Rolle ein. Aus welchen Motiven heraus? Woher kommt ihre Lust, so zu fotografieren? Anmerken möchte ich dazu noch, dass mich diese Sicht auf den Körper, die Architektur aus Licht und Schatten, gelegentlich an Helmut Newton erinnert.

So wie die Schatten aufgebaut sind, kann das durchaus sein, weil manchmal ein ähnliches Licht eine Rolle spielt. Doch ich finde, da gibt es einen großen Unterschied in der Beziehung zu Männern und überhaupt zu den Situationen, die er in der Fotografie inszeniert hat, weil mich das einfach nicht interessiert. Mich interessieren die Frauen selbst, wie sie selbst reagieren und agieren. Und natürlich sind die Frauen sehr schön – sie gefallen mir wahrscheinlich so gut, wie sie Männern gefallen. Es bedeutet ja nicht, dass man, weil man eine Frau ist, nicht wahrnimmt, wie schön eine Frau sein kann; genau so gut, wie man sehen kann, wie schön ein Mann sein kann. Das ist eine ästhetische Angelegenheit, der ich mich keineswegs verschließen muss, nur weil ich eine Frau bin.

Ich schätze das genauso, wobei die Erotik natürlich nicht dieselbe Konnotationen hervorruft wie bei einem Mann. Aber die Würdigung der Schönheit hat in meiner Wahrnehmung sicher den gleichen Stellenwert. Für mich ist es genauso interessant, nackte Frauen zu fotografieren wie für männliche Fotografen, nur habe ich wahrscheinlich einen anderen Ansatzpunkt.

Messen Sie sich mit der Fotografie von Männern? Stellen Sie Vergleiche an? Sowohl die Art der Darstellung wie auch der Diskurs ist in der Geschichte der Bildenden Kunst von Männern dominiert. Versuchen sie dazu einen Abstand einzunehmen?

Ja, natürlich gibt es da eine kritische Auseinandersetzung mit der Produktion, die auf künstlerischer Ebene stattgefunden hat, mit Aktfotografie oder überhaupt sehr intimer Fotografie. Außerdem sollte bedacht werden, dass viele Fotografien und künstlerische Arbeiten in dieser Richtung zumeist im Kreis von Künstlern, Freundeskreisen oder sehr privaten Beziehungen entstanden. Es ist nicht bloß Fotografieren, wenn man eine nackte Frau fotografiert, die auch Freundin ist, sondern ein gewisses Eindringen in die Privatsphäre. Es muss ein Austausch stattfinden. Schließlich muss ich definieren, was ich gerne möchte, dass sie macht, während sie überlegen muss, ob sie das kann, ob sie das möchte oder was der an sie herangetragene Wunsch für sie bedeutet. Diese Auseinandersetzung hat mich eigentlich immer interessiert. Ich habe festgestellt, dass sehr interessante Arbeiten und Fotografien unter Freunden entstehen, und das hat mir gefallen. Denn es ist einfach schwierig, so intime Geschichten wie eine nackte Frau zu fotografieren. Würde ich dazu einfach ein Model mieten, würde zwar eine sehr ästhetische Geschichte herauskommen, sie wäre aber kühl. Es ist dann nicht erotisch, sondern nur ästhetisch, und das interessiert mich nicht wirklich. Wenn ich eine nackte Frau fotografiere, dann geht es mir nicht darum, nur schöne Linien zu machen, sondern dann möchte ich den Ausdruck ihres Körpers ins Bild übersetzen. Und deswegen auch nicht einen 17-jährigen, sondern einen 45-jährigen Körper.

Elfie Semotan (* 1941 in Wels) absolvierte 1960 die Modeschule Hetzendorf und arbeitete danach sieben Jahre als Model in Paris. Ende der 1960er-Jahre startete sie ihre internationale Karriere als Fotografin. Ihre Arbeiten erschienen in Zeitschriften wie „Vogue”, „Elle”, „Esquire”, „Marie Claire”, „Harper’s Bazaar” oder „The New Yorker”. Unter anderem kooperierte sie mit Helmut Lang und konzipierte Kampagnen für Römerquelle oder Palmers. Für Palmers fotografierte sie die anfangs heftig umstrittene Plakatserie „Trau dich doch”. Sie wurde zur Topfotografin der Modebranche, doch interpretiert sie diesen Bereich nicht im klassischen Sinn. Die wichtigsten Elemente ihrer Arbeiten sind Menschen und Stimmungen, wobei sie ihre Fotos durch den Einsatz von Stylingelementen um eine weitere Dimension erweitert. Ihr facettenreiches Schaffen als Künstlerin umfasst Landschafts- und Aktfotografien ebenso wie Porträts, Stillleben und konzeptuelle Arbeiten. Semotan erhielt zahlreiche Auszeichnungen für ihre Kampagnen, zwei Staatspreise sowie 2011 das Österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst. 1994 übersiedelte sie nach New York, zudem lebt sie in Wien und Jennersdorf.

Elfie Semotan

Kunsthalle Krems

14.Juli – 06.Okt. 2013

www.kunsthalle.at

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