Kein Jahr ohne neuen Fahrradtrend. Zwar geistert das Wort „Bikepacking“ schon ein Weilchen durch die Drahteselszene, so richtig im Mainstream ist es aber erst vor Kurzem angekommen. Der Begriff, eine Variation von „Backpacking“ (also Reisen mit nur einem Rucksack, in dem man alle Utensilien für einen Trip verstaut), stammt dabei aus der nordamerikanischen Mountainbike-Szene: Bei Rennen müssen die Teilnehmer ohne Fremdhilfe auskommen, sich also über einen Zeitraum von manchmal mehreren Tagen selbst versorgen. Um nicht an Agilität und Tempo einzubüßen, wird das nötige Equipment direkt ans Rad geschnallt – voluminöse Seitentaschen gibt es folglich nicht. Letztlich war es nur eine Frage der Zeit, bis diese effiziente Art des Fahrradfahrens auch für Urlaubstrips entdeckt wurde und erste Tour-Anbieter aufkamen. Stefan Amato, einer dieser Bikepacking-Pioniere, arbeitete ursprünglich als Architekt in London, doch war die Leidenschaft für das Fahrrad irgendwann größer als jene, Häuser zu bauen: 2011 gründete er Pannier, einen Anbieter für außergewöhnliche Bikepacking-Touren.
Der Band „Bikepacking. Mit dem Fahrrad das Land ent-decken“ – herausgegeben von Amato und gestalten – hat neben eindrucksvollen Fotos auch jede Menge Servicecharakter zu bieten: Insgesamt 39 Strecken werden darin beschrieben, von Asturien bis zum Schwarzwald. Hilfreiche Tipps gibt es dabei von der Routen- und Reiseplanung über Unterkunft und Verpflegung bis hin zu zu Solo-, Familien- oder Paarreisen; die inkludierten Checklisten umfassen Sprachkenntnisse ebenso wie den Zugang zu Wasser, die Aufteilung von Etappen oder die Einschätzung von Terrain und Wetter. Auch die Art der Bikepacking-Bags (von der Sattel- bis zur Hüfttasche) und für welche Fahrradtypen sie sich eignen, wird erörtert.
Im Prinzip ist beinahe jedes Rad geeignet: Wer größtenteils auf asphaltierten Straßen unterwegs ist, kann ein Rennrad verwenden. Soll es etwas entspannter zugehen, sind Gravel- oder Touringbikes die richtige Wahl, und für raues Gelände empfiehlt sich klarerweise das Mountainbike. Neulinge mag es durchaus erstaunen, wie viel man bei allem Minimalismus verstauen kann – der mitgeführte Inhalt ist letzten Endes eine Frage der individuellen Bedürfnisse: Nimmt der eine Gaskocher und Espressomaschine mit, setzt der andere auf eine Akku-Powerbank.
Zwei Aspekte sind Amato besonders wichtig: Langsamkeit – „schnell genug, um einen Kontinent in einer absehbaren Zeit zu durchqueren, aber langsam genug um viele interessante Dinge zu entdecken“, wird Bikepacker Frank van Rijn zitiert – und die Entdeckung von noch nicht ausgetretenen Pfaden. Dabei ist für jeden etwas; vom Anfänger bis zum Experten, von der Städtereise bis zum ausgedehnten Trip ins Hinterland. Inspiriert habe ihn nicht zuletzt die Pandemie, die die Bewegungsfreiheit vieler Menschen eingeschränkt habe, so Amato im Vorwort: „Wenn wir aus der Pandemie etwas mitnehmen sollten, dann ist es die Wertschätzung für lokale, zugängliche Abenteuer und Fluchten vor der eigenen Haustür und wie wichtig der Schutz der Natur und der wilden Orte der Welt ist.“
Die Trips selbst sind überaus abwechslungsreich zusammengestellt – schöne Fotos lassen sich sozusagen als Nebenprodukt überall schießen (dass dies auch gemacht wird, demonstrieren aktuell 1,4 Millionen „#bikepacking“-Hashtags auf Instagram). Vom englischen Yorkshire, wo man das Radfahren mit dem Angeln verbinden kann, über verborgene Surfspots in Asturieren bis hin zu nächtlichen Waldwegen im fränkischen Hinterland ist für jeden Geschmack etwas dabei. Kulinarisch wird es in Cornwall: Die 700 Kilometer lange Küste bietet nicht nur jede Menge Gelegenheit, Meeresfrüchte wie Makrelen oder Jakobsmuscheln fangfrisch bei den dortigen Fischern zu erwerben, sondern diese an geeigneten Plätzen gleich selbst zu grillen. Zudem lässt sich bei dieser Gelegenheit auch über die Regionalität von Lebensmitteln nachdenken. Danach bietet sich gleich eine Destillerie-Tour durch die südlichen Highlands Schottlands an. Österreich ist ebenfalls vertreten: Im Rahmen einer Hüttentour lassen sich die Zillertaler Alpen – samt „echter“ Wildnis – entdecken. Die wohl unkonventionellste Reiseroute des Buchs ist aber eine „Bunkertour“ entlang der Kleinen Maginot-Linie durch Frankreich und Italien. Die in den dreißiger Jahren errichteten Militäranlagen haben heute für Radfahrer den Vorteil, dass sie ein ganzes Netz an Straßen und Schotterwegen mit sich bringen. Aber auch Routen außerhalb Europas hat das Buch im Angebot, etwa den nordamerikanischen Kontinent, der mit einer Tour von Colorado nach Utah vertreten ist. Hier lässt sich die ganze Pracht der San Juan Mountains samt Espenhainen und fruchtbarem Weideland genießen.
Und was Tibet betrifft, gibt es neben einer schönen Route durch die malerische Landschaft auch Tipps zum richtigen Kochen: Aufgrund der Höhenlage verbrennt der Brennstoff nämlich nicht sehr effizient – man muss also Geduld haben, bis die Bakterien zur Gänze abgetötet sind. Dieses Warten reflektiert letztlich auch den Gedanken von Langsamkeit und Stressfreiheit, der Amato beim Thema Bikepacking so wichtig ist. Ein Buch, das definitiv die Reiselust weckt.
BIKEPACKING
Mit dem Fahrrad das Land Eentdecken.
gestalten & Stefan Amato
Berlin 2021. 288 Seiten