Startseite » FAQ – MUSIC #64

FAQ – MUSIC #64

Im Jet mit Yoko — Yard Act, Pauls Jets, Yoko Ono, Franz Ferdinand, Tocotronic, Imarhan

Foto: Franz Ferdinand © David Edwards

Der schier unendliche Nachschub an Gitarrenbands aus England, die zumindest mit einem Song im Rest der Welt auffielen, ist in den letzten Jahren abrupt gestoppt worden. Der Markt ist klein und der Aufwand, eine Band durch die Welt zu bringen, ist im Vergleich zum Laptopbasteln fast nicht mehr zu stemmen. Umso verwunderlicher ist es, dass gerade aus Leeds, der rauen Stadt im Norden, die der Welt die mindestens genauso famosen wie erfolglosen Mekons geschenkt hat, mit Yard Act eine Band auftaucht, die mehr als ein Hoffnungsträger ist. Das Quartett produzierte Demo um Demo und Song um Song, und eine Auswahl ist nun auf „The Overload“ versammelt. Souverän saugen sie Einflüsse der frühen Talking Heads, von Mike Skinner oder ewigen Helden wie The Fall auf und basteln mit dem treibenden Bass und einer Gott sei Dank noch ordentlichen Portion Dilettantismus ihren eigenen Kosmos. Der mag manchmal einfach sein, aber in all dem Übermut finden sich dann Zeilen wie „All that you ever needed to exist, has always been with you“. Und damit ist dann auch klar, dass diese Band aus viel mehr als nur Jammern und Motzen besteht und zumindest mit dem Debütalbum ins Schwarze trifft.

Yard Act „The Overload“ (UMI/Island)

Ob Pauls Jets überhaupt treffen wollen, ist eine berechtigte, wenn auch vollkommen irrelevante Frage. Mit ihrem dritten Album mit dem wunderbar hinters Licht führenden Titel „Jazzfest“ sind die Wiener beim deutschen Label Staatsakt gelandet – das nennt man dann wohl Karrieresprung. Aufgenommen wurde wieder in den Räumen von der Naked-Lunch-Hälfte Herwig Zamernik vulgo Fuzzmann, und diese Kombination scheint eine Ehe zu sein, die im Himmel geschlossen wurde. Zamerniks ewige Neugierde und seine Lust an Sounds ohne jede Scham und Grenzen trifft auf die Songs von Paul Buschnegg, die zwischen mäandernden Alltagsbeobachtungen, Sprachspielen, leichtem Spott, tiefempfundenen Humor und Freude am eigenen Schaffen herumwandern und auf magische Weise in ihrer Vielfalt funktionieren. „Jazzfest“ wird so zu einem großen Popalbum, das sich um die Grenzen und die Gesetze des Pop nicht kümmert und genau deswegen heraussticht. Was für eine Freude und auf die durchaus ausgedehnte Konzertreise in den nächsten Monaten darf man mehr als gespannt sein.

Pauls Jets „Jazzfest“ (Staatsakt)

Von jungen ungestümen und endlos kreativen Köpfen kommen wir zu Männern, die schon einen Rucksack vollgepackt mit Geschichten auf dem Silber-rücken tragen. Franz Ferdinand gönnen sich eine Pause und packen auf „Hits To The Head“ ihre Hits auf ein Album und legen noch zwei neue Songs dazu. Erholung im mittleren Alter ist durchaus wichtig, aber so gelingt ein Blick auf eine Band, die im Windschatten der Strokes vor knappen zwei Jahrzehnten den Gitarrenpop gerettet hat und dem Genre die Energie und die Tanzbarkeit zurückgegeben hat, die verloren war. Die ersten Singles „Darts Of Pleasure“ oder „Take Me Out“ sind zeitlose Geniestreiche der Schotten. Die Rückschau rehabilitiert auch die späteren Songs der Band, die immer gewusst hat, wo ihre Stärke liegt und nie auf den Refrain vergessen hat.

Franz Ferdinand „Hits To The Head“ (Domino)

Tocotronic gibt es noch länger. Auch wenn sie einmal die Musterschüler der Hamburger Schule waren, so hat sie der Karriereweg mittlerweile sehr komfortabel auf gemütliche Professuren geführt, wo sie keine wirklichen Neuheiten lehren, aber auch von ihrer Grundposition nicht abgerückt sind. „Nie wieder Krieg“ ist die mittlerweile 13. Vorlesungsreihe. Wer bisher im Bann der Band war, wird ihr weiter sein Ohr leihen, wer bisher keinen Zugang zu den Apologeten der Offensichtlichkeit fand, wird auch weiter die Ferne suchen. Der Titelsong sollte in Jugendmessen, so solche noch stattfinden, seinen Platz finden, die Betonung der Wichtigkeit der Botschaft ist aber sehr schwer zu ertragen. Das Duett mit Soap & Skin aus der Unterwelt erinnert an bessere Tage, aber „Nie wieder Krieg“ wird wohl eine Fußnote im Werk von Tocotrocic bleiben, da die billige Innenschau in Zusammenarbeit mit der pädagogischen Weltanalyse im Kontext von Songs und Kunst ein sicherer Weg in die Fadesse sind. Für das große Alterswerk haben sie noch genügend Zeit.

Tocotronic „Nie wieder Krieg“ (UMD/Vertigo Berlin)

Yoko Onos öffentliche Wahrnehmung hat sich in den letzten Jahren massiv geändert: Ihre Pioniertaten als Fluxuskünstlerin wurden endlich gewürdigt und auch die Legende, dass sie die Beatles auseinanderbrachte, wurde von Peter Jacksons „Get Back“ endgültig geschlachtet. Mutig war sie schon immer und so vertraute sie Benjamin Gibbard, im Hauptberuf Gitarrist und Songschreiber von Death Cab for Cutie ihre Songs an und ließ ihm alle Freiheiten der Welt, diese von befreundeten Musikern interpretieren zu lassen. „Ocean Child – Songs of Yoko Ono“ versammelt nun Künstler wie David Byrne, Sharon Van Etten, Stephen Merritt, Yo La Tengo, die Flaming Lips oder U.S. Girls und beinahe alle Interpreten wenden die Songs von Ono in Richtung Eingängigkeit.Darüber mögen Puristen lästern, aber es zeigt, welche Vielfältigkeit diese Songs zulassen. Besonders die Versionen der weiblichen Festgäste wie Japanese Breakfast oder Amber Coleman zählen zum Besten, was sich jemals auf einem Tributealbum hören ließ. Yoko Ono ist gerade 89 geworden. Dieses Geschenk ist absolut angemessen und sie möge sich so freuen wie der Rest der Welt.

Yoko Ono „Ocean Child – Songs of Yoko Ono“ (Atlantic)

Was uns nach Algerien führt, genauer gesagt nach Tamanrasset, ca. 2000 Kilometer südlich von Algier: Hier haben sich die Mitglieder von Imarhan nach dem durchaus ordentlichen Erfolg ihrer zwei auch in Europa erschienen Alben ein Studio gebaut und nannten es Aboogi. Da war es naheliegend, auch gleich das erste in diesem Studio aufgenommene Album „Aboogie“ (City Slang) zu nennen und, wie es unter diesen Umständen nicht anders sein kann, wurde natürlich die Nachbarschaft eingebunden um die Schönheit, die Vielfalt, aber auch die Härte des Lebens einzufangen. Die treibenden hypnotischen Gitarren bestimmen die Songs, aber es ist die Wärme, die den Gesamteindruck bestimmt und so dem Genre der Musik der Tuareg einen neuen Höhepunkt beschert. Bandleader Saham drückt es so aus: „Wir wollen die Farben des Winds, des Sands und der natürlichen Energien in Musik ausdrücken.“ Der Weg dorthin stimmt auf alle Fälle und wer Bands wie Tinariwen vertraut, der kann mit Imarhan neue Welten entdecken.

Imarhan „Aboogie“ (City Slang)

 

| FAQ 64 | | Text: Günther Bus Schweiger
Share