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Vom Eigenen und dem Anderen

© Juergen Teller

Mehr als bloß ein Ort, ein Apparat oder Instrument, Kunst zu zeigen, ist das Medium der Ausstellung. Dass nicht allein durch die ausgestellten Werke und somit auch das gleichzeitige Weglassen anderer künstlerischer Arbeiten ein ideologischer Zusammenhang hergestellt wird, ist spätestens seit den 1990er Jahren Diskussionsgegenstand. Im Zuge der Tendenzen zur Repolitisierung bildender Kunst durch die Aktivierung kritischer Diskurse der Sixties und Seventies werden Kunsträume und Museen selbst als Ideologie produzierende Orte hinterfragt. Eigentlich könnte man weiter in die Geschichte zurückgehen. Schon die Ausstellungen der Pariser Salons ab dem frühen 18. Jahrhundert im Louvre boten Anlass zur Kontroverse. In Folge dessen wurde unter Napolon III eine „Salon des Refusés“ (Salon der Zurückgewiesenen) ins Leben gerufen. Eines der im ursprünglichen Pariser Salon nicht zugelassenen Gemälde war Édouard Manets Frühstück im Grünen, woran sich ermessen lässt, wie heftig solche Entscheidungen debattiert worden sind.

Die Mittelschicht vor bildungsbürgerlicher Tapeten-Kulisse

Noch ein weiteres Phänomen zum Thema Ausstellung als Bildungs- und Erlebnismaschine lässt sich beobachten: Im Zuge der Prozesse der Dekolonisation seit Mitte der 1970er Jahre, die mit der Frage verbunden sind, wieweit Bilder und Vorstellungen von außereuropäischen Kulturen lediglich auf Zuschreibungen von außen basieren, wurde das Konzept der alten Völkerkunde-Museen fragwürdig und obsolet. In ihrer reflektierten Neuauflage heißen diese jetzt Weltmuseen – wie in Wien – oder sind Häuser für die Kulturen der Welt wie beispielsweise in Berlin. Eine solche Institution vermeint man zu betreten, wenn man die aktuelle Ausstellung von Lisl Ponger in der Wiener Secession besucht. Ihr „MuKul“ als temporär eingerichtetes Museum im inneren des Hauptraums entpuppt sich natürlich bald als Kulisse mit bildungsbürgerlichem Tapetenhintergrund in noblem blau und dezenten Weinrot. In all seiner Künstlichkeit wirkt es täuschend echt. Die Exponate kommen bedeutungsschwanger und dennoch wie ein leichtfüßiger Fake daher.

Die Inszenierung entspricht genau solchen Museen, die sich stets Bräuchen, Ritualen oder überhaupt ganzen Ethnien widmen, die im Aussterben begriffen sind: Bei Lisl Ponger ist es „The Vanishing Middle Class“. Fokussiert werden also nicht Lebensformen im Regenwald oder in Ozeanien, sondern die schrumpfende Mittelschicht unter dem aggressiven Einfluss des globalen Kapitalismus gegliedert in thematische Bereiche wie „Der Aufstieg der westlichen Mittelschicht“, „Die Mittelschicht in Gefahr“ oder „Schaustücke für die Nachwelt“. Mit weniger Ironie, als man erwarten würde. Tatsächliche Informationen über das Entstehen des heute brüchigen und oft affirmativ nach oben orientierten Mittelstands oder dessen Status im kapitalistisch-kommunistischen China werden illustriert durch Schaustücke am Rande des Absurden, durch Gipsabgüsse von Original-Mittelständlern, durch Fetisch-Objekte aus der Fashion-Industrie oder – deutlich hervorstechend – den Julius-Meinl-Mohren als widerspruchsvolles Logo, das für Qualität wie auch für rassistische Ausbeutung steht.

Aber es geht nicht nur um Marken und Rituale des Aufstiegs, sondern genauso um das problematische Verhältnis der Mittelstands zur Demokratie. Sicher, auch schon Guillaume Bijl oder Peter Greenaway bauten künstliche Museen. Hier jedoch wird endlich jene bestimmende und zugleich indifferent nach oben orientierte Gesellschaftsschicht zum Thema, die im Gegensatz zur Auseinandersetzung mit Prekariat und Migration nicht nur real einen fragilen Status hat, sondern auch in der bildenden Kunst nur höchst selten vorkommt. 

Ja, Ausstellen: Ganz anders musste sich Franz Graf die Frage stellen, was es bedeutete, als er seine Solo-Show für das 21er Haus konzipierte. Nachdem er in zahlreichen Institutionen und Galerien des Landes fast ständig präsent ist, hat er Freunde und künstlerisch Verwandte eingeladen, mitzumachen, durch Performances während der ganzen Dauer des Projektes präsent zu sein, und zeigt eine kaum überblickbare Menge an Werken aus seiner eigenen Sammlung und auch noch der österreichischen Galerie, zu der das 21er Haus gehört. Ein Baustelle zusammen gehalten mit gelben Schalungsbrettern, inspirierend wie selten.

Existentielle Grenzerfahrung als visuelle Zusammenschau

Gar nicht so sehr der analytische Blick ist es, der sich einstellt, sondern man ist ergriffen vom Staunen, wie hier Bedeutungszusammenhänge in Vibrationen versetzt werden, wie bekannte Sichtweisen aufgebrochen, um dann eben doch wieder von einer immanenten Logik aufgefangen zu werden. Beinahe intime Einblicke öffnen sich, wenn der Künstler Verwandtes, von ihm Geliebtes, in Schräglage Durchanalysiertes zeigt. Franz Graf agiert wie ein Kurator, wie ein Fan und wie ein Konzeptkünstler, für den Sound auch noch eine enorme Rolle spielt. Das Environment, das man betritt, ist gleichsam Bühne, auf der zusätzlich zu seinen Zeichnungen mit manchmal erotischer Ausstrahlung und nicht selten mit Gothic- oder S/M-Komponenten fast geisterhafte Netze gesponnen werden. Zu Beginn sehr rätselhaft „Betty“ von Markus Schinwald und nur wenig davon entfernt „Der große Eselreiter“ (1914) von Markus Gaul. Auch Herbert Boeckls Skulptur „Atlantis“ (1940/44) steht hier. Wie aufeinander abgestimmt wabern Soundpakete durch den Raum, piept ein Video hier oder blubbert es dort. Wie „Lucid Phantom Messenger“ (2008/10) von Herwig Weiser. Gegenüber vom Eingang ein DJ-Pult mit Aufschrift auf davorgehängter schwarzer Decke: „BINÄR“. Auch alte Tapes gibt es: von John Cage. Eine Picturedisc von Merzbow, Werke der Aktionistinnen und Aktionisten ebenso wie von Mike Kelly oder Elke Krystufek oder ein Stück Bodyscan von Eva Wohlgemuth. Was sich im Detail nur schwer analysieren und rezensieren lässt, macht aber auf einer assoziativen Ebene Sinn. Fast wäre man versucht, den Begriff des Gesamtkunstwerks zu reaktivieren, würde hier nicht so viel offen bleiben. Kaum manifestiert sich so etwas wie Klarheit, schleicht sich auch schon wieder ein Bündel von Fragen an. Herausgekommen ist nicht nur eine großartige Franz Graf-Ausstellung, sondern der ernsthafte und gelungene Versuch, das Thema der Einzelausstellung plausibel zu brechen und zu erweitern.

Doch wie viele Arten der Gegenwart liegen eigentlich nebeneinander? Unwillkürlich stellt sich diese Frage nach dem nun folgenden Kameraschwenk. Können etablierte Giganten der Fotografie noch Aussagen über die Welt heute formulieren, oder blenden sie mit der Gewalt ihrer Bilder? Oft meint man, beide wären schon verglüht. Dann jedoch treten sie im Duo, im Dialog, in der gegenseitigen Aufladung, am inszenierten existenziellen Rand in einer gemeinsamen Show auf. Beide haben die Grenzen zwischen Kunst und Lifestyle ins Wanken gebracht. Der eine – Jue-rgen Teller – in der westlichen Fashion-Welt und Laufsteg-Szene, indem er das Ausgelaugtsein, die körperliche Überanstrengung des Models bei der Arbeit auf der Gegenseite von Glanz und Glamour schonungslos in einer Fotobeilage der Süddeutschen Zeitung brachte. Der andere – Nobuyoshi Araki – treibt mit seinen Bondage-Fotografien und sexuellen Szenarien an den Rändern Tokios zwischen Kunstwelt und Pornografie dahin. Für beide stand Björk Modell. Beide hatten ihren Höhepunkt in den 1990er Jahren. Wie weit es ihnen nun in ihrer gemeinsamen Ausstellung im Dialog miteinander und scharfen Kontrast zueinander gelingt, Welterfahrung als Überanstrengung am Rande existenzieller Abgründe in den Metropolen für unser Jetzt glaubwürdig visuell zu übersetzen, wird eine Ausstellung diesen April in der Galerie Ostlicht zeigen.

Lisl Ponger

The Vanishing Middle Class

Secession

Dienstag-Sonntag, 10–18 Uhr

bis 30. März 2014

Franz Graf – Siehe was dich sieht

21er Haus

Mittwoch-Sonntag, 10–18 Uhr

bis 25.05.2014

Araki Teller Teller Araki

Galerie für Fotografie OstLicht.

Mittwoch-Samstag, 12–18 Uhr

04.04. – 24.05.2014 

| FAQ 26 | | Text: Schöny Roland
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