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In Wanderschuhen auf die Weltbühne

Black Country, New Road waren ein siebenköpfiges Spektakel – bis das Herz der Gruppe ausstieg. Wer ist die britische Band, die gerade alle hypen?

Foto: Rosie Foster

Mit Augen-zu-und-durch-Attitüde kommt man bei Black Country, New Road nicht weiter. Die siebenköpfige Band aus London ist jung, trägt bunte Wanderschuhe zu ausgebeulten Blue Jeans und ist spätestens seit ihrem Debütalbum kein Geheimtipp mehr. Dass diese Veröffentlichung weniger als ein Jahr her ist, hat man nicht vergessen. Kulturredaktionen zwischen Rolling Stone und Waldviertler Anzeiger haben „For the First Time“ gesalbt, manche große Vergleiche angestellt und andere gar eine „musikalische Revolution“ erlauscht. BC, NR streckten die Arme nach Auszeichnungen und Preisen aus. Die Verleihung des Mercury Music Prize verwandelte man – mit Taucherbrille und Schnorchel – in eine Fashion Show, die Harmony Korine nicht besser hätte inszenieren können. Das Publikum liebte es. Kein Wunder, die Sieben sind weiß, ein bisserl queer und mit genügend poshem Anstand gesegnet, um auf keiner Dinneparty negativ aufzufallen. Für distinguierte Bobos sprudelt daraus die Quelle des Glücks – mit „Ants From Up There“ ist nun der Nachfolger erschienen.

Vergleiche mit Uralt-Post-Rockern wie Tortoise und Slint fallen nicht ohne Grund. Black Midi, eine aktuell ähnlich gehypte, für alle mit mathematischen Schleudertrauma aber zu verkopfte Gruppe, sind gute Freunde. Man macht nicht nur zusammen Musik, sondern teilt auch die Affinität zu echten Instrumenten. Laptops sind out. Der einzige Apfel, den man auf der Bühne findet, liegt angebissen auf dem Klavier der Pianistin. Das ist cool. Und blieb nicht unbeobachtet. Das britische Indie-Label Ninja Tune hat die geballte Millennial-Angst unter Vertrag genommen. Auf Bandfotos sehen die vier Buben und drei Frauen so aus, als hätte man den Cast von Friends in den späten Neunzigern schockgefrostet, um ihn zweieinhalb Jahrzehnte später über den Atlantik zu schippern und im Hafen von Dover über Bord zu werfen. Erst aufgetaut, springen einem sieben Leute in ihren Zwanzigern an die Lauscher und klopfen ehrliche Musik aus ihren Instrumenten. Eine, die Rock in den Jazzclub verlegt und Jazz auf Menschen zuschneidert, die mit 35 Lenzen ihre alten Band-Shirts zum Moshpit beim Zoom-Konzert überstreifen.

Foto: Rosie Foster

Das hat alles gute Gründe, die man nicht im Alter der Besetzung suchen sollte, sondern in der Art, wie sie Musik machen – für sich und doch gemeinsam. Fast so wie eine Wohngemeinschaft, die an einem Dienstagabend noch für fünf Achterln in Ehren zusammenkommt und dabei „Wonderwall“ in Weinseligkeit intoniert. Regelmäßigen Alkoholkonsum darf man BC, NR allerdings nicht unterstellen. Auf der Bühne steht Wasser, der Wein wird erst zur Zugabe entkorkt. Das verspricht Klarheit im Kopf und führt zu einer Versiertheit, die sich auf ihr Spiel überträgt. Allein die Violinistin prügelt auf ihrem Instrument herum, man könnte glauben, sie stäche jeden Moment einen Bystander für eine Packung Menthol-Zigaretten ab. Isaac Wood, der mittlerweile ausgestiegene Sänger, war die perfekte Mischung zwischen Mark Kozelek auf Speed und Kurt Vonnegut auf Britisch. Und Bassistin Tyler Hyde hat als Tochter von Trainspotting-Underworld-Hälfte Karl Hyde schon auf deren Technoplatten mitgeträllert. Ist aber egal, weil BC, NR tatsächlich anders klingen, also den besten Johnny aus dem Jackie-O-Motherfucker-Harem geraucht haben, Ornette Coleman zum Bio-Brunch auflegen und zum Dessert eine Dose Ege Bamyasi runterwürgen.

Sofern man nicht zufällig eine Kollektion an Tartan-Schals in der Frühlings-Garderobe versteckt hat, rollt man sich angesichts dieser Abgezocktheit vor lauter Freude auf dem Boden. Oder klatscht wie beim einzigen Österreichauftritt im Zuge des letztjährigen Donaufestivals brav Beifall. Schließlich sind die Songs, die BC, NR schreiben, länger als der Spotify-Algorithmus erlaubt. Sie bauen sich in Crescendi auf, zerfleddern in Saxophonhülsen, fügen sich in Geigen-Arpeggien zusammen und enthalten sich am Ende doch einer festen Form wie der Haarreifen von Keyboarderin May Kershaw. Dass manch kulturbeflissener Weltgeist in dieser existenzialistischen Geworfenheit schon Formen von Klezmer, einer jüdischen Volksmusiktradition, erkannt haben will, sagt weniger über die Band aus als über die Zielgruppe, die sie mit ihrem Sound anspricht …

Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 64

 

Black Country, New Road
Ants From Up There
(Ninja Tune)

 

 

| FAQ 64 | | Text: Christoph Benkeser
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