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Ich musste nur da sein

Kristen Stewart ist endgültig kein Jungstar mehr. Als eine der verblüffendsten, ausdrucksstärksten Schauspielerinnen der aktuellen Kinowelt ist sie mit 32 Jahren eine große Tochter der Stadt Los Angeles. Und bald im neuen Film von David Cronenberg zu sehen.

Kristen Stewart in „Personal Shopper“ (2016). Regie: Olivier Assayas

Kristen Stewart hat in ihrem Leben schon fast fünfzig Filme gemacht. Dabei ist sie erst Anfang dreißig. Obwohl sie schon im Kindesalter mit der Schauspielerei begann, käme sie nicht auf diese beeindruckende Anzahl, hätte sie sich nicht geradezu waghalsig – wie sie selbst gerne betont – in die unterschiedlichsten Filmabenteuer gestürzt. Rein inhaltlich lässt sich durch ihre Filmografie dementsprechend nur sehr schwer ein klarer roter Faden ziehen, Kristen Stewart ist fasziniert von inneren Gefühlswelten, vielleicht von Unscheinbarem, scheinbar immer aber vom Ephemeren. Genau in solcher Flüchtigkeit drückt sie unbeschreibliche Bedeutung aus – die von ihr dargestellten Charaktere sind dann am interessantesten, wenn sie nicht vollständig zu erfassen sind. Wie auch in vielerlei anderer Hinsicht ist Twilight in ihrem Schaffen dahingehend eine Ausnahme: Nachdem ihre Fans sie dort über fünf Teile (2008–2012) hinweg begleiten konnten, ist die geheimnisvolle Bella Swan vielleicht sogar eine der durchschaubarstender von ihr dargestellten Figuren.

Mit Robert Pattinson in „Twilight“ (2008). Regie: Catherine Hardwicke

Aufgefallen war sie der Regisseurin des ersten Twilight-Films in Into the Wild (R: Sean Penn, 2007), dort fesselt sie in einem Kurzauftritt. Schon vor und während der Vampirzeit spielte sich Stewart durch diverse Indie- und Arthouse-Filme, und bereits in diesen scheint einiges angelegt, das die Schauspielerin auch weiterhin auszeichnen sollte: In Adventureland (R: Greg Mottola, 2009) belebt sie den Zwischenraum des Coming-of-Age, in Floria Sigismondis The Runaways (2010) spürt sie der Biografie einer realen Person nicht analytisch-nüchtern nach, sondern sich in diese auf Gefühlsebene hinein. 2014 schließlich zeigt die US-Amerikanerin gleich in zwei Filmen eindrucksvoll auf, wie maßgeblich eine vermeintliche Nebenrolle einen Film mittragen kann: Als Tochter Julianne Moores – die für ihre Verkörperung einer relativ früh an Alzheimer erkrankten Sprachwissenschaftlerin den Oscar erhielt – in Still Alice und als Assistentin Juliette Binoches in Clouds of Sils Maria von Olivier Assayas, ein Filmemacher, der heute noch zu einem der Lieblingsregisseure Stewarts zählt. Für die Arbeit in der französisch-deutsch-schweizerischen Produktion erhielt sie als erste amerikanische Schauspielerin den begehrten César für die „meilleure actrice“ in einer „second rôle“. Beide Filme verdeutlichen übrigens dank der Performance Stewarts, wie treffend der Begriff „supporting role“ und wie unpassend der Begriff „Nebenrolle“ (respektive im Französischen wörtlich „zweite Rolle“) ist. Im kongenialen Duo mit dem französischen Autorenfilmer gelingt zwei Jahre später mit Personal Shopper ein wichtiger Film des westlichen Kinos der Zehnerjahre, der vielleicht immer noch unterschätzt wird – dies ist zwar ob seiner bei vielen auf Unverständnis stoßenden Seltsamkeit kein Wunder, aber Kristen Stewart etabliert sich darin als eine Künstlerin ihres Fachs, der ein umwerfendes gewisses Etwas ohne jeden Zweifel nicht mehr abzusprechen ist.

Mit Emile Hirsch in „Into the Wild“ (2007). Regie: Sean Penn

„Clouds of Sils Maria“ (2014). Regie: Olivier Assaya

Sie lädt das Ungreifbare auf und strahlt es in die Welt hinaus. So liegt es denn auch nicht an ihr, dass das Biopic Seberg (2019, R: Benedict Andrews) – dass die Wahl für die Besetzung der Nouvelle-Vague-Ikone Jean Seberg auf sie fällt, überrascht schon aufgrund der jüngeren französischen Erfolge nicht –, sowohl an den Kassen als auch bei der Kritik insgesamt auf wenig Begeisterung stößt. Erst als Stewart auf Pablo Larraín trifft und mit ihm bildgewaltig und furios die in den Bann ziehende und gleichermaßen unbändige wie filigrane Präsenz von Diana, Princess of Wales, auf die Leinwand bringt, geschieht es also: Mit Spencer (2021) wird klar, wie außergewöhnlich gut es Kristen Stewart auch als historische Person versteht, die Essenz innerster menschlicher Emotionen nach außen zu tragen, ohne das Korsett klassischer Dramaturgie. Oft nur durch die Impulsivität in Gesten und Bewegungen, einzelnen Worten. Letzteres gelingt ihr in rein fiktiven Figuren, wie angedeutet, schon länger eindrucksvoll – ohne eine begeisterte Erwähnung ihrer unter die Haut gehenden Realness in Kelly Reichardts Certain Women (2016) etwa kommt ein Text wie dieser ebenfalls nicht aus. Dort verzaubert nicht nur, wie sie alltäglichste Handlungen besonders wirken lässt, sondern zeigt sich auch, wie sehr der echte, in L. A. geborene Mensch, der sie ist, stets mutig miteinfließt: Mindestens eine Szene ist umso beeindruckender, weiß man, dass die mit einer Frau verlobte Künstlerin tatsächlich Angst vor Pferden hat. Von Ängsten erzählt sie auch im nachfolgenden Interview mit Vicky Dearden, zum Beispiel von ihrer Angst vor Wasser, mit der sie sich selbst in ihrem ersten eigens verantworteten Kurzfilm Come Swim (2017) auseinandersetzt – hat jemand aber, wahrscheinlich eher zufällig, den Meeresgrund-Grusel Underwater (R: William Eubank, 2020) mit ihr in der Hauptrolle gesehen, so muss die späte Reaktion nun heißen: Hut ab. Ebenfalls 2020 zumindest im Kino untergegangen (dem Streamingdienst Hulu bescherte er grandiose Zahlen) ist der Weihnachtsfilm Happiest Season, womit zwei als Crowdpleaser angedachte Filme pandemiebedingt nicht oder kaum auf der großen Leinwand zu sehen waren. Richtig schade ist das mitnichten, denn ganz getreu ihrer schier unendlichen Wandelbarkeit und unbeirrt eigenständigen Rollenauswahl verspricht Stewarts nächster großer Kinofilm nach Spencer dafür abermals ein absolutes Highlight zu werden – auf einmal Unterwasser- und zweimal Festtagshorror folgt nun die neueste Körper-Vision David Cronenbergs: Crimes of the Future.

Diese macht uns Stewart in einer allerletzten Antwort kurz und knackig schmackhaft, davor lesen Sie auf den nächsten Seiten unter anderem über die Anfänge einer schon jetzt großen Karriere, das Außerweltliche von Assayas und Larraín, den Weg zu einer glücklichen nicht-heterosexuellen Partnerschaft und – man darf sich freuen – erste Ausblicke auf Kristen Stewarts erste eigene Regiearbeit in Spielfilmlänge.

Sie wuchsen im San Fernando Valley auf, als Kinderdarstellerin mit Eltern im Showbusiness – wie war das?

Meine Güte, ich kam zu ziemlich jeder Nacht-Stunde aus meinem Schlafzimmer gelaufen und wollte ihnen etwas vom Catering abluchsen und all die seltsamen Orte riechen, an denen die beiden den ganzen Tag waren. Das konnte um drei Uhr nachts sein, sie wollten, dass ich zurück ins Bett gehe, und ich fragte, „Was habt ihr heute gemacht?“ Sie haben mir von Geburt an diese Art von Eifersucht anerzogen. Ich wollte unbedingt ans Set! Und dann fing ich ziemlich früh an, zu Castings zu gehen und meine Mutter hatte große Angst davor, eine „stage mom“ zu werden, das kann ich Ihnen sagen. Sie ließ es mich trotzdem machen. Ich war sehr schüchtern und sie sagte zu mir, „Bist du sicher, dass du das machen willst? Vielleicht gefällt es dir nicht gut.“ Aber ja.

Sie waren acht Jahre alt, als Sie in einem „Flinstones“-Film („The Flintstones in Viva Rock Vegas“, Anm.) mitgespielt haben – hat es Sie da gleich so richtig gepackt?

Also, meine Mutter ist Skript-Supervisorin und hat diesen Film gemacht und war auch mit dem Regisseur sehr gut befreundet. Er war also quasi ein Freund der Familie, wie ein Onkel. Und er sagte, wenn ich Schauspielerin werden will, dann los, vor die Kamera mit mir. Das Bedürfnis danach hatte ich schon entwickelt. Ich wollte ja nie weg vom Set. Alle meine Neigungen bestätigten sich, und ich wurde für einen richtig seltsamen, originellen Indie-Film gecastet, The Safety of Objects von einer Frau namens Rose Troche. Ich hatte schon eine Weile lang Vorsprechen gehabt und mochte die Erfahrung nicht sehr gerne, etwa vor Produzenten zu tanzen. Um sie dann sagen zu hören, ich solle heimgehen, und ich dachte mir nur, „Ja, was du nicht sagst.“ Diesen Film habe ich dann zu dem Zeitpunkt bekommen, als meine Kapazitäten dafür, mich bei kommerziellen Castings demoralisieren zu lassen, aufgebraucht waren. Und ich war neun oder zehn Jahre alt und dann war da dieses Gefühl, dass dieser Erwachsene im Raum von etwas berührt war, das ich machte. Plötzlich teilt man ein Gefühl, der Raum verändert sich, ich wusste: „Oh mein Gott, ich bin eine Schauspielerin und ich will niemals keine Schauspielerin sein …“

Lesen Sie das vollständige Interview in der Printausgabe des FAQ 65
Interview: Vicky Dearden

 

| FAQ 65 | | Text: Jakob Dibold, Vicky Dearden
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