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Wien im Wandel

Die Geschichte der Wiener „Street Photography“ von den 1860er Jahren bis heute

Unbekannt, „An der Ferdinandsbrücke“, Wien um 1911. Sammlung Wien Museum

Wenn die Straße ein Seismograf für Veränderungen der Gesellschaft ist, blitzt im Wien Museum (MUSA) ein Überblick des Wiener Städtischen auf. Mit der Ausstellung Augenblick! Straßen-fotografie in Wien zeigt man von 19. Mai bis 23. Oktober 2022 Perspektiven einer Großstadt im Wandel der letzten 150 Jahre. Von den Anfängen der Fotografie in der ausgehenden Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zum Instagram-Filter der Gegenwart lässt sich dort mit der sogenannten Street Photography die Schnappschuss-Kategorie der Fotografie erkunden. Schließlich entzieht sich die Straßenfotografie der gestellten Richtung wie ein Flaneur auf den Einkaufsstraßen der Großstadt. Manchmal treibend, oft wiederkehrend, mit einer gewissen Distanz, gleichzeitig der Blick befreit für abwegige Dinge, die von der Situation zum Momenthaften übergehen, nimmt sie die Rolle der teilnehmenden Beobachterin ein. Als solche dokumentiert die Fotografie der Straße nicht nur das Alltägliche, sondern deckt das Besondere im Banalen auf. Passanten, die sich in den Schaufenstern der Einkaufsstraßen spiegeln, Werbung an den Wänden vergangener Häuser, ein grantiger Blick aus dem Autofenster – Details, die in der unmittelbaren Bewegung untergehen und eine neue Wirklichkeit im Dazwischen offenlegen. Ein Dazwischen, das mit dem Auslöser beginnt und sich in den Augen der Betrachter abbildet. Straßenfoto- grafie erhält dadurch den Charakter einer Lektüre des Städtischen.

Franz Hubmann, Ungewöhnlicher Pflanzentransport, Wien 1954. Sammlung Wien Museum © Franz Hubmann / Imagno / picturedesk.com

Auslagen, Gesichter, Cafés, die Straßen am Ring, der Regen über Wien – die Perspektive wandelt in Motiven des Moments und setzt sich doch in neuen Bezügen zusammen. Augenblick! Straßenfotografie in Wien nimmt dadurch eine Rolle des Vergangenheits-Chronisten ebenso ein wie die einer Entdeckerin des Kommenden. Sie erzählt von einem Narrativ, das sich im Raum bewegt, nicht zwingend in der Abfolge der Zeit. In den Fotografien von Elfriede Mejchar, Barbara Pflaum, Ernst Haas und Franz Hubmann fallen Geschichtlichkeit und das Orthafte dennoch zusammen. Der Bezug ist Wien, der öffentliche Raum ein Ort der Handlung – in ihm wandert der Blick auch in der Zeit. Schließlich entsteht Straßenfotografie heute, wenn sich der Bildschirm des Smartphones zum Ausschnitt des Instagram-Hashtags verzieht. Wirklich gute Straßenfotografie erkannt man daran, dass sie etwas freilegt, was zuvor nicht ersichtlich war. Ein Blick, eine Geste, die Stimmung des Momenthaften im Augenblick.

 

AUGENBLICK!
Straßenfotografie in Wien
19. Mai 2022 bis 23. Oktober 2022

Wien Museum MUSA
1010 Wien, Felderstraße 6–8
www.wienmuseum.at

 

| | Text: Christoph Benkeser
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