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Auf der Suche nach der Neuen Welt

Von 15. bis 31. Juli 2022 sollen bei Glatt&Verkehrt „Brückenschläge zwischen Alter und Neuer Welt“ gelingen. Ein Programmüberblick zur 26. Ausgabe des Kremser Festivals.

Archie Shepp © Magdalena Blaszczuk

Zwischen Grünem Veltliner und Brettljause fehlt zur musikalischen Sommerfrische: Glatt&Verkehrt, das Sag-niemals-Weltmusik-Festival in der Wachau. Mitten im Hochsommer verbringen tausende Musikfans manche Hundstage in Krems und Umgebung – im Schatten der Weinreben, bei Stimmen aus aller Welt. Auch im 26. Jahr von Glatt&Verkehrt reihen sich Premieren und Programmhighlights auf der Hauptbühne im Winzer Krems. Festivalleiter Albert Hosp und Kurator Johann Kneihs drücken Newcomer wie lebenden Legenden das Mikrofon in die Hand. Ausgefallene Konzert-Orte wie das Benediktinerstift in Göttweig, der Wappensaal in der Gozzoburg und das Schloss Spitz sorgen für Entdeckungspotenzial. Selbst bei Altbekannten und Wiederkehrenden.

Ernst Molden und das Frauenorchester. Foto: Stephan Mussil

Zum Eröffnungswochenende in der Idylle leiten Ernst Molden und das Frauenorchester die „neiche Zeit“ ein (15. Juli). Aus diesem Anlass wird das Publikum mit umgedrehten Vorzeichen konfrontiert: Sibylle Kefer, Marlene Lacherstorfer und Maria Petrova sowie der Wiener Liedermacher mit der Marlboro-Stimme treten im Schloss zu Spitz auf. Das Džambo Aguševi Orchester reist aus Nordmazedonien an, um Balkan-Blues und Tuba-Tröten mit der Besetzung einer Fußballmannschaft auf die Bühne zu bringen (16. Juli). Außerdem am Sonntag: Der beste Wiener Schmäh in Vier-Minuten-Songs seit Kreisler und Hirsch als Sonntagsmatinee für alle zwischen erstem Milchzahn und letzter Kukidenttablette – mit den ewig währenden Strottern und Peter Ahorner als reimender Jukebox.

Ye Vagabonds. Foto: Steve O’Connor

Die traditionellen Konzertabende im Winzer zu Krems warten derweil mit internationaler Starbesetzung auf. Während der heimische Schriftsteller Christoph Ransmayer zum Auftakt am 27. Juli aus Geschichten aus „fernen und nahen Welten“ liest, fiedelt der Sister-Act um Brittany / Nathalie Haas zum Spritzertreiben auf. Die Dubliner Folk-Barden Ye Vagabonds geben die klischeebefreite Version von Mumford & Sons als Österreich-Premiere – dafür tauschen sogar eingefleischte Achterl-Trinker den Veltliner gegen ein Glas Guiness. Allzu lange würde man nicht von der irischen Romantik nippen. Mit Alba Carmona kommt eine Stimme zum Glatt&Verkehrt, die Herzschmerz, Sehnsucht und Heiterkeit vereint. Zwischen portugiesischem Fado und andalusischem Flamenco darf man sich für die Dauer ihres Konzerts wie in einer Hafenstadt am Mittelmeer fühlen.

Alba Carmona & Jesus Guerrero. Foto: Nia Rosas

Für feuchte Augen unter Jazz-Fans dürfte nicht nur der Zigarrenrauch, sondern auch die Anreise von Archie Shepp sorgen. Der 85-jährige Altmeister, Aktivist und Alleskönner jettet allerdings nicht nach Krems, um den weißen Anzug zur Sommerfrische zwischen Weinbergen aufzubügeln. Er kommt für seine Gala beim Winzer (28. Juli). Im Zusammenspiel mit der französischen Sängerin Marion Rampal lüftet der ewige Rebell und Klanginnovator den Jazzkeller durch. Der Mief alter Männer-Flatulenz muss raus, eine neue Generation zieht ein. Ein Highlight, das von Áššu, einem Dreiergespann aus dem hohen Norden, begleitet wird. Die Sonne geht dafür trotzdem nicht unter – im Schamanen-Sprech zupft sich die norwegisch-finnische Produktion quer durch die Sounds der südlichen Hemisphäre.

Marala Trio. Foto: Jordi Ortol & Miriam Ribes

Zum Beginn des Abschlusswochenendes lässt sich die Gozzoburg, ein Bürglein inmitten von Krems, erkunden. Das spanische Marala Trio trällert dort im historischen Wappensaal in ein spezielles Kunstkopf-Mikrofon und sorgt damit für ein 3D-Erlebnis in den Ohrwascheln. Las Lloronas eilen derweil auf die Bühne des Winzer, um den Feel-Good-Folk aus der Dreifaltigkeit aus Klarinette, Ukulele und Gitarre einzuläuten (29. Juli). Was auf Brüssels Straßen begann, führt inzwischen nicht nur in österreichische Weinregionen, sondern in Konzertsäle auf der ganzen Welt. Die kennt der Aquaman Danyèl Waro seit Jahren. Seine kreolischen Insel-Vibes kaltverformen sich bei Glatt&Verkehrt mit der österreichischen Dreierkombi Interzone – eine Band, die zuletzt ihr Zehnjähriges gefeiert hat und Lust macht auf Jazz, der einem die Gehörgänge durchputzt wie unverdünntes Listerine aus der Naturkosmetik-Abteilung.

Otto Lechner. Foto: Magdalena Blaszczuk

Für Freundinnen und Freunde der Knöpferlharmonika spielt am Samstag (30. Juli) die Musi. Otto Lechner, der Quetschen-Maestro, hängt sich dafür eigens-exklusiv den Leierkasten um und bucht ein Ticket zum Mond. Weil wir uns dort schon länger nicht mehr umgesehen haben. Und weil er Pink Floyds Evergreen „The Dark Side of The Moon“ auf der Harmonika zurechtzieht. Wem der Trip auf die dunkle Seite der Macht nicht bekommen sollte, sippt – ganz österreichische Krisenintervention – mit der brasilianisch-italienischen Sexer-Partie Ayom am Ramazotti unterm Zuckerhut.

Ayom. Foto: Gianni Ugolini

Weltenbummelnde verdrücken am letzten Juli-Tag ein Tränchen, gießen dafür aber Spritzwein nach. Das Festival geht in die Schlussphase. Davor setzt die Stimmungskanone am Schlagwerk, Bernhard Schimpelsberger, ausnahmsweise nicht zum zehnminütigen Schlagzeugsolo an. Schließlich schüttelt neben ihm Michael Ruzitschka mehr lateinamerikanische Rhythmen aus seinen Fingern als manch andere aus ihrer Hüfte. Zusammen mit Vincent Ségal, dem heimlichen Partner in Crime von Sting und Costello, rollen sie den roten Teppich für Perus ehemalige Kulturministerin aus. Susana Baca, die „Grand Dame Lateinamerikas“, hat die musikalische Tradition ihres Landes in die Welt getragen. Dafür räumte sie mehrere Latin Grammys ab und veröffentlichte auf dem Label von Talking Head David Byrne. In Krems (31. Juli) präsentiert sie ihr aktuelles Album zum Festivalausklang.

www.glattundverkehrt.at

 

| FAQ 66 | | Text: Christoph Benkeser
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