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Ganz schön bunt

Der Bildband „House of Joy“ widmet sich dem Farbrevival im Bereich des Interior Design.

Camille Walala „Salt of Palmar“ Belle Mare, Mauritius. Foto: Tekla Evelina Severin, House of Joy, gestalten 2022

Freunde von Design (egal ob retro oder aktuell) und Pop Art dürften bei der Lektüre des kürzlich erschienenen Bandes „House of Joy“ durchaus das empfinden, was der Titel verspricht: Freude (und nein, man sollte den Titel nicht allzu wörtlich ins Deutsche übersetzen). Dass der Grund für diese Glückseligkeit im Auge des Betrachters liegt, ist dabei ein Umstand, den Mitherausgeberin Elli Stühler in ihrem Vorwort nicht leugnet. Ästhetik wird hier nicht wie so oft als absolute Größe, sondern als etwas Individuelles gesehen – ein Umstand, der das Buch gleich zu Beginn sympathisch macht.

Aktuell lasse sich jedenfalls eine besonders starke Vermischung verschiedener Ästhetiken beobachten, so die Designspezialistin. Die in den letzten Jahren eher dominierende Zurückhaltung in Form und Farbe weiche immer mehr einer neuen Buntheit, wobei sich kräftige Töne durchaus mit zurückhaltenden Elementen kombinieren ließen. Für das Comeback der Farben gibt es auch schon konkrete Namen: Maximalismus, High Camp oder Memphis Revival etwa. Es sei ein Missverständnis, dass farbenfrohe Räume nicht elegant sein können, so Stühler; man müsse vielmehr mit der Auffassung aufräumen, wonach nur minimalistische Heime mit den „erwachsenen“ bzw. „seriösen“ Grundfarben Grau und Beige kultiviert seien. Farbeinsatz ermögliche es, Räume größer oder kleiner wirken lassen, ja, sogar ins Wetter eingreifen: Pastellfarben könnten natürliches Licht so modifizieren, dass auch Räume im Erdgeschoss hell und freundlich wirkten. Außerdem sind da noch die psychologischen Effekte – Studien zufolge gelten warme Farben wie Gelb, Orange, Pink und Rot als „happy colors“, die sich positiv aufs Gemüt auswirken.

Immer mehr Designer Ende zwanzig bzw. Anfang dreißig lassen sich bei der Arbeit von ihren Jugendtagen inspirieren. Zitiert wird hier beispielsweise die hippe Londonder Künstlerin Coco Lom, die von der Buntheit ihrer Kindheit in den neunziger Jahren schwärmt. Und selbstverständlich kommen in „House of Joy“ auch die Achtziger Jahre vor – beispielsweise mit Entwürfen der Memphis-Design-Gruppe. Man sieht also: Es müssen nicht immer die Sechziger Jahre sein. Bei viele Mitdreißigern oder Mitvierzigern werden die versammelten Entwürfe in diesem Buch also definitiv Kindheitserinnerungen auslösen.

Ghislaine Viñas (interior design) and Chet Callahan (architecture), Cummings Estate,
Los Angeles, CA, USA. Foto: Garrett Rowland, House of Joy, gestalten 2022

Von Mauritius bis Amsterdam

Im Buch gibt es über 30 spannende Beispiele verschiedener Stilrichtungen: Eines davon ist das Boutique-Hotel Salt of Palmar auf Mauritius, das von der in London lebenden Camille Walala – in Zusammenarbeit mit dem mauritanischen Architekten John-François Adam – ausgestattet wurde. Farben spielen im Alltagsleben von Mauritius eine wichtige Rolle, und das Hotel spiegelt dies unmissverständlich wider. Für authentisches Flair sorgt zudem der Umstand, dass die Arbeit lokaler Künstler – darunter Korbflechter und Keramiker – für die Gestaltung des Interieurs herangezogen wurden. Hinzu kommen zahlreiche kulturelle Einflüsse, darunter aus Indien, Frankreich oder Afrika. Knallige Farben wie Blau, Grün oder Gelb sind praktisch eine Garantie dafür, dass man beim Aufenthalt in diesem Hotel seine Alltagssorgen schnell vergisst.

Das sonnige Kalifornien ist mit einer eklektizistischen Arbeit des Büros Bells + Whistles vertreten. Das Team stattete das Marrow Midcentury Home, das vom modernistischen Architekten-Trio William F. Cody, Donald Wexler und Richard Harrison entworfen worden war, mit einer Vielzahl neuer Designthemen aus. Die Arbeit an einem Gebäude, dem architektonische Bedeutung zugemessen wird, kann durchaus einschüchternd sein – was die Designer auch unumwunden zugeben – aber das Ergebnis spricht letztlich für sich: Die klaren Linien des Hauses wurden gekonnt mit Farben und organischen Farben kontrastiert und erinnern ein wenig an die Arbeit Salvador Dalís. Die Idee zu einer den Kakteen-Garten zierenden Disco-Kugel kam allerdings nicht aus dem Design-Büro sondern war ein Wunsch der Tochter der aktuellen Besitzer.

Bells + Whistles, Marrow Midcentury, Rancho Mirage, CA, USA. Foto: Madeline Toll, House of Joy, gestalten 2022

Kalifornien mit seiner Vorliebe für Stilmix kommt naturgemäß mehr als einmal vor: So wurde dem 120 Jahre alten Cummings Estate eine ähnliche Behandlung wie das Midcentury Home zuteil. Das Haus wies Einflüsse aus diversen Stilrichtungen auf (darunter besonders spanische Elemente), was die Innenarchitekten Ghislaine Viñas und Chet Callahan für ein spielerisches Aufeinandertreffen von alt und neu nutzten. So wurde etwa ein zweistöckiger, verglaster Terrazzo-Anbau errichtet. Jedes Zimmer erzählt eine eigene Geschichte, wozu klobige Möbel, Farbakzente und eine gut sortierte Kunstsamm-lung beitragen. Unter den eigenen Möbelentwürfen von Ghislaine Viñas ragt besonders ein mintfarbener Frühstückstisch mit perforierter Basis und gezackter Konsole heraus.

Gehen wir noch kurz auf ein besonders knalliges Beispiel aus Europa ein: Rolf Snoerens Penthouse in Amsterdam wurde von Studio Job entworfen – und balanciert auf dem schmalen Grat zwischen Individualismus und Verrücktheit. Anders sollte es auch gar nicht sein, denn Penthousebesitzer Snoeren ist Avantgarde-Fashiondesigner. Langeweile oder Normalität waren streng verboten, daher verwundet es nicht, dass sich hier Lampen in Bananenform finden oder Stühle in Hamburgerform daherkommen. Neben den prominent vertretenen Farben Pink und Rot finden sich auch jede Menge Kunstwerke (darunter David Hockney). Backsteinwände werden von Kachelästhetik abgelöst und diese wiederum von glatten Mauern. Uniformität ist hier untersagt, das Auge soll gefordert werden und die vielen Details sollen zu immer neuen Entdeckungen einladen. Ein Beweis dafür, dass man sich auch im Alter nicht unbedingt erwachsen geben muss.

Office S&M, Mo-tel House, London, U. K., Photo French + Tye, House of Joy, gestalten 2022

Neben diesen ausführlichen Vorstellungen von Häusern und Apartments behandelt das Buch auch überblicksartig verschiedene Designelemente – beispielsweise die Kombination von geraden Linien und Kreisform, die anhand eines spannenden Küchenentwurfs des Architekturbüros Office S & M analysiert wird: In dieser Kochstube der besonderen Art findet sich zwischen Herd und Abwasch eine hellblauen Gewölbekonstruktion, die ein Gästebad verbirgt. Effizienz trifft auf Verspieltheit im besten Spätachtziger-Look. Übrigens kommen auch wieder Möbel in Mode, die nicht wirklich platzsparend sind und einfach gemütlich wirken, wobei hier die schon erwähnte Memphis-Design-Gruppe aus den achtziger Jahren Pate stand. So hat sich die deutsche Designerin Swantje Hinrichsen am Übergang von den Achtziger zu den Neunzigern inspirieren lassen: Sie ist im Band mit einem Raum vertreten, in dem ein großes fliederfarbenes Sofa auf jede Menge Objekte in Pastell trifft.

Die versammelten Beispiele in „House of Joy“ können durchaus inspirierend sein – und auch wenn man nicht gleich damit beginnt, sein Heim in knalligen Farben auszustatten, so wird sich mancher vielleicht bei der Überlegung ertappen, den einen oder anderen Farbklecks in seine Behausung hineinzulassen.

House of Joy
Playful Homes and Cheerful Living
gestalten, 2022

Hardcover, 256 Seiten

 

 

| FAQ 66 | | Text: Oliver Stangl
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