Einsteigen, wo die Namedropping-Frequenz nicht gleich alle Aufmerksamkeitsseismografen zum Erglühen bringen. Einmal da beginnen, wo die bildende Kunst nicht gleich um den vordersten Platz im diskursiven Getöse ringt. Jenen, die mit der österreichischen Kunstgeschichte vertraut sind, wie auch jenen, die sich für die Avantgarde der 1960er Jahre interessieren, ist Martha Jungwirth wahrscheinlich bekannt. Allerdings ist die Präsenz des Werkes der Künstlerin eher mit der eines Phantoms vergleichbar. Lediglich in Gruppenausstellungen – häufig in der Sammlung Essl – oder kleineren Einzelprojekten taucht Jungwirth auf. Warum eigentlich? Weil Frauen der Nachkriegsavantgarde in einer männlich dominierten Szene überhaupt erst spät wahrgenommen wurden? Weil die lose Gruppe „Wirklichkeiten“, zu deren Gründungsmitgliedern Martha Jungwirth 1968 als einzige Frau zählte, doch nicht jene Signifikanz hatte wie der Aktionismus, der phantastische Realismus oder die Neuen Wilden? Oder: Weil die Documenta 6 unter Manfred Schneckenburger, an der Jungwirth immerhin teilgenommen hat, sich nicht derart nachhaltig in die Geschichte einschrieb wie die Kasseler Ausstellungen eines Harald Szeemann oder einer Catharine David.
Auch wenn vieles aus dem Blickwinkel junger Szenen der Gegenwart Äonen weit zurückliegen mag: Das Label „Wirklichkeiten“, unter dem sich die Gruppe um Wolfgang Herzig, Kurt Kocherscheidt, Peter Pongratz oder eben Martha Jungwirth für eine Ausstellung in der Secession im Jahr 1968 formierte, hatte progressiven und damals politischen Charakter. Während es draußen um die harten gesellschaftlichen Realitäten ging, setzte sich die Gruppe von den Tendenzen des international verbreiteten Informel in Richtung eines satirischen sozialkritischen Realismus ab.
Dabei schlug Martha Jungwirth einen eigenständigen Weg ein, in dem sie das Medium der Malerei selbst, das wieder einen seiner formalen Endpunkte erreicht hatte, hinterfragte. Visuell reflektierte sie in ihren Bildern die Möglichkeiten der Abbildung von Alltagsgegenständen oder von Motiven urbaner Szenarien. Im Vordergrund blieb dennoch das Gestische, blieben mit Spannung geladene Markierungen auf Leinwand. Später spielen dann auch die Bildträger selbst eine wichtige Rolle; Seiten aus Lieferbüchern oder spezielle handgeschöpfte Papiere. Erstmals erhält jetzt die 1940 geborene Martha Jungwirth eine Retrospektive, die das Œuvre der Künstlerin aus über fünf Jahrzehnten umfasst: In der Kunsthalle Krems. Ein bedeutendes Projekt, das dem Werk der Malerin relativ spät endlich den entsprechenden Raum gibt. Ausdrücklich sei darauf hingewiesen, weil es so gar nicht im Strom der Zeit liegt. Dass in der Kunsthalle Krems auch Luis Buñuel und Salvador Dalí als Weltstars mit ihrem frühen filmischen Werk „Ein andalusischer Hund“ die Bühne einnehmen, soll nicht unerwähnt bleiben, die Geschichte sei aber bewusst von der anderen Seite her aufgerollt.
Umgekehrt wäre es unmöglich, hier nicht auf Hans Hollein (1934–2014) zu verweisen. Ja, freilich: im Detail oft zu verspielt, die Postmoderne mit ihren Säulchen viel zu weit getrieben, phasenweise zu dekorativ. Das Museum Moderner Kunst in Frankfurt: ein Torteneck. Sein Haas Haus am Stephansplatz im Inneren zu kleinteilig. Einige der latenten Kritikpunkte dürften wohl weiterhin bestehen bleiben. Doch ebenso zählt Hans Hollein zu den großen Vordenkern und kulturell prägenden Protagonisten der letzten Jahrzehnte. Nicht allein sein Ideenreichtum, mit dem er sich von Anfang an von Bauwirtschaftsfunktionalismus absetzte, nicht allein das Museum Abteiberg in Mönchengladbach (1972–82) oder seine mutige architektonische Setzung auf dem Wiener Stephansplatz mit eben genannten Neubau des Haas Hauses machen seine enormen Leistungen aus. Auch mit seiner Kompetenz Architektur, Kunst und Geistesgeschichte zu vernetzen, veränderte er unseren Blick auf das 20. Jahrhundert. Erwähnt sei bloß die Ausstellung „Traum und Wirklichkeit 1870–1930“, 1985 im Wiener Künstlerhaus, die Jugendstil, Architektur, Malerei, Wiener Werkstätten und so unterschiedliche Maler wie Klimt und Schiele, die Wiener Werkstätten, Otto Wagner und Adolf Loos – all diese Phänomene – zusammenführte und vor dem Hintergrund der untergehenden Monarchie als Wiener Moderne in Szene setzte. Erst durch das gestalterische Konzept Holleins wurde dieses bis heute nachhaltig wirkende Projekt zu jener Verdichtung, die historische und kulturelle Narrative auf einem Erlebnis Parcours zusammenführten. Weit der Zeit voraus war auch sein Schmuckgeschäft Schullin (1973) in Wien und natürlich sein mobiles, aufblasbares Büro (1969), eine Vision, die heute durch Laptop und iPhone eingelöst wurde. Basierend auf erstmals in dieser Form gezeigten Skizzen und Plänen sowie mit neuen fotografischen arbeiten der beiden Kunstschaffenden Aglaia Konrad und Armin Linke führt das MAK in Wien nun durch das kaum überblickbare Werk des Künstler-Architekten, der im vergangenen April verstorben ist.
Man müsste einmal Zahl und Frequenz der Kunstereignisse und Ausstellungen in Wien vermessen. Neuerdings lässt sich auch die Nacht inmitten der Kunst verbringen. Es geht nicht mehr um die Erzeugung anderer Wirklichkeiten. Die Kunst selbst ist die neue Wirklichkeit. Carsten Höller konzipierte seine Ausstellung der TBA 21 im Augarten und im Belvedere als Reihe experimenteller Situationen. Ort für einen Höhepunkt ist ein Aufzugsbett, das für eine Nacht direkt im Ausstellungsraum Augarten für eine Übernachtung alleine oder zu zweit gebucht werden kann. Per Knopfdruck geht es aufwärts. Zu zweit vielleicht sogar noch höher. Ja, high kann sie machen, die Kunst, wo sie einen aus der Wirklichkeit führt. Auch im mit Salzwasser gefüllten „Hohen Psychotank“ können entkleidete Besucher der Ausstellung einen daseinsentrückenden Schwebezustand erfahren.
Entlang der Tangente der Zeit führt die Perspektive in Richtung Oktober. Aus dem Blickwinkel des beginnenden Sommers eine irreale Vorstellung, dennoch sei auf jene Tage im Herbst verwiesen, in denen Kunst und Glamour aufeinandertreffen. Durch die Setzung ihrer Schwerpunkte führt die Kunstmesse VIENNAFAIR ihr Publikum zugleich an die kulturelle Wirklichkeit zahlreicher süd- und osteuropäischer Länder heran. Etwa wird im Rahmen des OMV Special Projects DIALOG: NEW ENERGIES ein kuratorisches Konzept realisiert, das in einer Art erklärenden Chronik die bedeutendsten Communities zeitgenössischer Kunst in Rumänien näher bringen möchte. Vorgestellt werden etwa künstlerische Positionen, die während der Zeit des Kommunismus unterdrückt wurden, jetzt aber breite Beachtung finden. Mehr als andere Kunstmessen erhebt die VIENNAFAIR den Anspruch, über ihre Funktion für den Markt in Wien auch Schnittstelle für Information zu sein. „Wir wollen die VIENNAFAIR The New Contemporary nicht als isolierten Verkaufsort für Kunstwerke inszenieren, sondern ein breites Verständnis für internationale zeitgenössische Kunst schaffen und den Besuchern wie den teilnehmenden Galerien die Möglichkeit bieten, neue Netzwerke zu knüpfen und ihr Wissen zu erweitern. Mit der zehnten Ausgabe der VIENNAFAIR weisen wir einen Weg in die Zukunft der Vermittlung zeitgenössischer Kunst und der Erschließung neuer Marktfelder für die Galerien“, so Christina Steinbrecher-Pfandt, Künstlerische Leiterin der VIENNAFAIR The New Contemporary, zum Konzept für die zehnte Ausgabe der Messe für zeitgenössische Kunst in der Bundeshauptstadt.
Martha Jungwirth Retrospektive
Luis Buñuel / Salvador Dalí
Ein andalusischer Hund
Kunsthalle Krems
13. Juli — 11. September 2014
HOLLEIN
MAK Wien
bis 5. Oktober 2014
Carsten Höller: LEBEN
Thyssen-Bornemisza Art Contemporary–Augarten und Belvedere Wien
bis 23. November 2014
VIENNAFAIR The New Contemporary
Vienna International Art Fair
2.–5. Oktober 2014 Messe Wien