Ryan Gosling ist wieder da. Und wie! Mit aller Wucht und jeder Menge Explosionspotential kämpft er in der Netflix-Produktion The Gray Man ums Überleben. Dabei ist Court Gentry aka «Sierra Six» selbst nicht zurückhaltend, wenn es ums Töten geht. Vor Jahren wurde er im Gefängnis von der CIA als Mann für besondere Aufgaben engagiert und zum Profikiller ausgebildet, der immer dann überall in der Welt zum Einsatz kommt, wenn sonst nichts und niemand mehr hilft. Doch als ihm bei einem Job in Thailand brisantes Material in die Hände fällt, wird er bald selbst zur Zielscheibe. Auf seiner Flucht kreuz und quer durch die verschiedensten Länder hängt sich der so psychopathische wie skrupellose Kollege Lloyd Hansen (Chris Evans) an seine Fersen und ein actionreiches Katz-und-Maus-Spiel nimmt seinen Lauf. Ach ja, und dann muss sich Six auch noch gemeinsam mit der Undercover-Agentin Dani Miranda (Ana de Armas) um die herzkranke Nichte seines früheren Mentors (Billy Bob Thornton) kümmern, aber das nur nebenbei.
Wer bei The Gray Man an James Bond oder Jason Bourne denkt, liegt zunächst nicht ganz falsch, aber die Verfilmung von Mark Greaneys gleichnamigem Roman will mehr. Unter der Regie von Anthony und Joe Russo, die sich mit der Avengers-Franchise längst in die Liga der Regisseur:innen mit dem höchsten Einspielergebnissen an den Kinokassen katapultiert haben, wird aus der Vorlage ein gewaltiges Action-Spektakel der Sonderklasse, für das der Streaming-Service keine Kosten und Mühen gescheut hat. Und Ryan Gosling, der hat sichtlich Spaß an seiner Figur, auch wenn das Ergebnis insgesamt wenig Tiefe oder Feingefühl verspricht.
Mr. Gosling, vor vier Jahren haben Sie nach Ihrem Erfolg als Neil Armstrong in Damien Chazelles First Man bewusst aus dem Filmgeschäft zurückgezogen. Was hat Sie daran gereizt, jetzt einen Actionhelden zu spielen?
Ich wollte schon immer einen richtigen Actionfilm machen, aber es hat eine Weile gedauert, unter den vielen Actionhelden, die gerade im Umlauf sind, das Richtige Projekt für mich zu finden. Bei The Gray Man musste ich nicht lange überlegen. Als ich wusste, die Russo-Brüder stehen dahinter, war mir schnell klar, das will ich machen, da will ich dabei sein.
Nach welchen Kriterien wählen Sie Ihre Projekte aus?
Kennen Sie Marie Kondos Aufräum-Show auf Netflix? Ein bisschen nach dem Motto: Wenn es Freude macht.
Sie haben in den letzten Jahren bewusst eine Auszeit genommen, um Zeit mit Ihrer Familie zu verbringen. Denken Sie jetzt anders über Ihre Karriere nach?
Sagen wir es einmal so, als ich zu Hause war, habe ich viel Netflix geschaut.
Was haben Sie sich da so angeschaut?
Das, was alle anderen auch geschaut haben. Es gibt ja unheimlich viel im Angebot. Seit wir Kinder haben, können wir nicht mehr so oft ins Kino gehen, und ich habe es zu schätzen gelernt, zu Hause Filme zu schauen. Für Leute wie uns ist es ein Riesenvorteil, die Möglichkeit zu haben, eine filmische Achterbahnfahrt wie sie beispielsweise dieser Film bietet, vom Sofa aus mitzuerleben.
Ist Ihnen die Entscheidung schwer gefallen, für ein paar Jahre auszusetzen?
Nein, ich wollte mit meinen Kindern zusammen sein. Sie wachsen so schnell, das wollte ich nicht verpassen. Und ich war sehr glücklich, dass ich ein paar Jahre zu Hause bleiben konnte. Aber ich muss auch mal wieder Geld verdienen, also war es Zeit, wieder zur Arbeit zu gehen. Abgesehen davon hatte ich auch große Lust dazu. Wenn man selbst entscheidet, eine Pause einzulegen, ist das etwas ganz anderes, als wenn dein Können auf einmal nicht mehr gefragt ist.
Die Actionszenen in diesem Film sind spektakulär. Six ist ständig in Gefahr. Sind Sie persönlich auch jemand, der das Adrenalin liebt? Gibt es etwas, wovor Sie Angst haben?
Ja, Fragen über meine Ängste zu beantworten. Nein, ganz im Ernst, ich liebe die Figur aus genau diesem Grund. Ich hatte schon als Kind immer ein Faible für Typen, die einfach nicht aufgeben, die immer weiter kämpfen, egal welche Hindernisse ihnen in den Weg gelegt werden, und die es irgendwie trotzdem schaffen, durchzuhalten. Das hat mich sehr inspiriert. Und Six ist so ein Typ. Er stürzt ohne Fallschirm aus einem Flugzeug und hat immer noch Hoffnung, dass er irgendwie lebend aus der Nummer rauskommt. Darin steckt etwas, eine geistige Haltung, die ich sehr bewundere. Deshalb fand ich es so spannend, diese Figur zu spielen.
Eine Rolle wie diese ist auch körperlich anstrengend. War es schwer, nach der langen Auszeit wieder in Form zu kommen?
Ja. Aber es ist immer schwer, Auszeit oder nicht. Es braucht ein ganze Armee. Ich hatte so viel Hilfe, so viele Stunt-Darsteller, die mich trainierten, mich in Form brachten, mir beibrachten, wie man kämpft. Ich hatte sogar eine Art echten «Gray Man» an meiner Seite, ein Ex-Delta-Force-Mitglied, der mich jeden Tag am Set begleitete, mir Ratschläge gab, wie ich mich verhalten oder was ich tun sollte. Er hatte wirklich tolle Ideen, die nicht im Drehbuch standen, zum Beispiel, dass man immer Skittles dabei haben sollte, weil sie eine gute Energiequelle sind. Außerdem hat er mir gezeigt, was man machen kann, wenn man irgendwo übernachten muss, wo man nicht sicher ist, wie zum Beispiel einen Zugabteil. Er riet mir, meinen Schnürsenkel an die Tür binden, denn wenn jemand versuchen würde, reinzukommen, würde man von der Bewegung aufwachen. Solche Sachen eben, die man sich nicht einfach ausdenken kann. Sowas lernt man mit Erfahrung.
Wie gut kommen Sie mit der Gradwanderung zwischen Ihrer Vaterrolle und dem Berufsleben klar?
Ich bin immer zuerst Vater, aber der Film bot auch eine Gelegenheit, an tollen Orten zu drehen und gleichzeitig mit meiner Familie zusammen zu sein. Es gab einen lustigen Moment, als wir die Szene auf dem Platz in Prag filmten, in der ich mit Handschellen an die Bank gefesselt dasitze und all die Explosionen hochgehen. Plötzlich klingelte mein Telefon und ich stieg kurz hinter die Bank, um den Anruf zu beantworten. Es war Eva (Mendes), die fragte, wie lange die Explosionen noch dauern würden, weil die Mädchen bald eine Zoom-Klasse hätten und es dafür zu laut sei. Wir wohnten in einem Hotel in der Nähe und sie konnten alles hören. Ich denke, das sagt alles.
Sie sind gleich wieder voll ins Geschäft eigestiegen und arbeiten derzeit an mehreren Filmen gleichzeitig.
Ja, mir macht die Arbeit gerade wieder unheimlich Spaß. Als nächstes steht für mich The Fall Guy auf dem Programm, wieder ein Actionfilm, diesmal von David Leitch, über einen Stuntman. Darauf freue ich mich sehr. Ich mache jetzt wirklich gerne Action, lieber als nur herumzustehen und zu reden.
Hat sich Ihre Motivation, was Sie als Schauspieler erreichen wollen, über die Jahre verändert?
Ich denke, ich bin jetzt einfach mehr mit den Dingen verbunden, die mich überhaupt erst dazu gebracht haben, Filme zu machen. Ich liebe es, die Art von Filmen zu drehen, mit denen ich als Kind aufgewachsen bin. Vor zehn Jahren war ich an einem anderen Punkt meiner Karriere. Damals entdeckte ich neue Arten von Filmen. Ich habe unheimlich viel über Film im Allgemeinen gelernt. Und ich wollte diese anderen Filme machen. Aber jetzt geht es mir eher so, dass es mich zurückzieht zum Actionkino und zu Komödien, zurück zu den Filmen, mit denen für mich alles begann.
Kann man sich, wenn es ums Kino oder Filmemachen geht, ver- und entlieben?
Nein, ich denke, es ist wie in jedem Job, man steht in einer bestimmten Beziehung dazu und hat Höhen und Tiefen. Filme sind einfach schon immer ein Teil meines Lebens gewesen. Es gab einen Deal in unserem Videoladen, da konnte man im Sommer vier Filme für vier Dollar ausleihen. Ich lebte mein Leben durch die Filme, die ich damals sah.
Erinnern Sie sich an Ihr erstes Filmerlebnis?
Ja, das war Bloodsport. In einem Kino. Ich weiß nicht mehr, auf jeden Fall viel zu jung, um diesen Film zu sehen. Aber das war mein erster Kinobesuch. Es war eine ziemliche Erfahrung.
Wie führen Sie Ihre Kinder an Ihre Filme heran? Da findet sich bisher noch nicht so viel, was Sie ihnen zeigen können.
Das stimmt. Barbie war eine Möglichkeit, das zu tun. Nicht unbedingt, dass ich den Film für sie gemacht habe, aber es war das erste Mal, dass sie eine Vorstellung davon bekamen, was ich beruflich mache. Obwohl sie überhaupt nicht verstehen können, warum ich Ken spielen wollte, denn niemand will mit Ken spielen. Aber genau deshalb müssen wir seine Geschichte erzählen.
THE GRAY MAN
Action-Thriller, USA 2022 – Regie: Anthony Russo, Joe Russo
Mit: Ryan Gosling, Chris Evans, Ana de Armas, Jessica Henwick, Regé-Jean Page, Wagner Moura, Julia Butters, Dhanush, Alfre Woodard, Billy Bob Thornton
Verleih: Netflix, 122 Minuten
Filmstart: 22. Juli 2022 (Netflix)