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Wenn die Elfen Trauer tragen

Text: Bert Rebhandl | Fotos: Viennale

Das Jahr 2014 wird beinahe zu Ende sein, wenn die diesjährige Viennale beginnt. Und man kann jetzt schon eine Ahnung davon haben, unter welchen Stichworten es in der Geschichte später einmal verzeichnet werden wird: Ende einer Nachkriegsordnung, Nachwehen des 20. Jahrhunderts, Gegenrevolution. Wie kann ein Filmfestival darauf reagieren? In einigen Fällen versteht sich die Sache von selbst. Sergei Loznitsas Dokumentarfilm Maidan ist unumgänglich, wenn man einen Eindruck davon bekommen möchte, was in der Ukraine geschehen ist. Und zwar gerade deswegen, weil hier nicht ein Aufstand gefeiert wird, den man dann patriotisch-aufgeregt gegen einen russischen Aggressor verteidigen könnte. Loznitsa begriff von Beginn an, dass er es mit einer außergewöhnlichen Manifestation von Freiheitswillen zu tun hatte, dass aber der Nebel und die Finsternis, die zu durchdringen sind, ungeheuer stark sind. Sein Film ist zugleich ein großes Dokument und eine große Metapher. In der Ukraine wird er nicht geliebt, weil er zu pessimistisch erscheint. Doch er zeigt eben, wie nahe Heldenmut und Verzweiflung beisammen liegen, wenn ein Gemeinwesen entstehen soll, das nicht Räubern gehört.

Österreich hat von seinen Geburtswehen nur noch einen ungefähren Begriff, die entscheidenden Jahre 1918, 1934, 1955 liegen lange zurück. Und ein Festival wie die Viennale, das eigentlich alljährlich das Publikum auch auf seine eigene privilegierte Beobachterrolle verweisen müsste, zeugt auch von der Erfolgsgeschichte dieses Staats mit seiner gut funktionierenden Hauptstadt. Aus der sicheren Distanz eines Innenstadtkinos kann man sich bei der Viennale die Welt vorführen lassen.

Nicht überall steht so viel auf dem Spiel wie bei Loznitsa. Doch gerade bei ihm wird auch deutlich, dass Revolutionskino nicht einfach eine Sache der Inhalte ist. Die IS-Videos und die Propaganda in den digitalen Netzwerken weisen dem Filmemachen noch einmal eine neue Rolle zu. Gerade vor diesem Hintergrund könnte sich eine der Nebenreihen bei der Viennale 2014 als besonders relevant erweisen: Bei „Revolutionen in 16mm “ geht es zuerst einmal um Formatfragen, um ein schnelles, bewegliches Filmemachen, das sich dann aber eben auch – siehe zum Beispiel den hier vertretenen Japaner Shinsuke Ogawa – in den Dienst einer langen Aufbauarbeit und zugleich eines umstürzlerischen Willens stellen lässt.

Spuren des Revolutionären ziehen sich durch das gesamte Programm, sie finden sich in dem philippinischen Epos Mula sa Kung Ano ang Noon (From What is Before) von Lav Diaz, das mit einer Folterszene endet, in der sich eine linke Guerilla schuldig macht, oder in einer in autoritärem Dogmatismus und Führerkult erstarrten, alten Revolution wie der in Nordkorea. Yoo Soon-Mi zeigt in ihrem Dokumentarfilm Songs from the North, wie die offizielle Ideologie des „einsamsten Landes“ der Welt die Tatsachen verkehrt.

Auch Algerien ist ein Land, das in postrevolutionärer Pose erstarrt ist. Die Viennale schlägt in diesem Jahr mit Tariq Teguia einen Filmemacher aus dem Land im Maghreb vor, der bisher in Österreich eindeutig zu wenig Beachtung gefunden hat, während er in Frankreich zum Beispiel intensiv rezipiert wird. Es gibt allerdings nur drei Langfilme von ihm, von denen sich Zanj Revolution (2013) durchaus als Schlüsselwerk dieser Viennale sehen ließe: Nicht nur taucht hier eines der (Un-)Worte des Jahres auf (Kalifat), es zeichnet sich auch ein Bild eines arabischen Großraums ab, der eben nicht imperial, sondern als ein Netz von Bewegungen „von unten“ gedacht wird.

Es zählt zu den Glücksfällen für ein Festival, wenn sich dann auch noch die zentralen Programmentscheidungen mit den marginalen und avancierten gut verbinden lassen. Das ist in diesem Jahr bei Viggo Mortensen der Fall. Der dänische, längst in den USA heimisch gewordene Star verdient allein schon wegen seiner großartigen Auftritte bei David Cronenberg eine Zusammenschau. Doch in diesem Jahr tauchte er an unerwarteter Stelle auf. In Jauja von Lisandro Alonso spielt er einen dänischen Ingenieur und Militär, der im 19. Jahrhundert in Patagonien nach seiner Tochter sucht. Das ist in vielerlei Hinsicht eine Kollision von Welten, und zeugt doch von mehr als nur dem Willen eines Schauspielers, auch riskante Rollen anzunehmen. Mortensen betreibt hier ja im Grunde auch eine Kolonialgeschichte seines eigenen Herkunftslandes, er lässt diese Recherche aber gleichzeitig an sich geschehen. Eine brisante und spannende Verbindung, sicher einer der Höhepunkte dieses Kinojahres. Der Tribute für Mortensen enthält aber auch den (durchaus ansprechenden) ersten Teil der The Lord of the Rings-Trilogie. Das ist dann doch zumindest ein kleiner kultureller Clash, mit dem sich die Viennale beträchtlich streckt. Man kann gespannt sein, ob es zu Elfenaufkommen vor dem Gartenbau kommen wird.

Das reguläre Spielfilmprogramm teilt sich wie gewohnt in eine Reihe von Vorpremieren von Titeln, deren Rang schon einigermaßen klar einzuschätzen ist: Dominik Grafs Die geliebten Schwestern, ein Höhepunkt im Werk des Regisseurs, verdient unbedingt eine Sichtung in der langen Version; ebenso macht Lars von Triers Nymph()maniac vor allem im Director’s Sinn. Christian Petzolds bisher bester Film, Phoenix, kann man sich zwar auch bald im Kino ansehen, gleichwohl verdient diese ungeheuer dichte Studie zur deutschen Vergangenheitsbewältigung eine festliche Gala. Ein Akzent wird dabei allerdings auf einem traurigen Umstand liegen. Phoenix ist die letzte Zusammenarbeit zwischen Petzold und dem kürzlich verstorbenen Harun Farocki, dem die Viennale unter dem Titel „Die Inschrift der Welt“ auch ein Gedenkprogramm widmet. Petzold und Farocki haben gemeinsam geschrieben, mit Phoenix haben sie sich viele Jahre beschäftigt, das Ergebnis ist beeindruckend. Und Nina Hoss ist in der Rolle einer Rückkehrerin aus den Lagern 1945 so stark wie noch nie.

Neue Filme von Jean-Luc Godard sind vom internationalen Betrieb zuletzt gelegentlich eher mit ratlosem Achselzucken aufgenommen worden. Doch als Adieu au langage 3D dieses Jahr in Cannes Premiere hatte, war das Interesse wieder sehr groß. Die enorme Wirkungsgeschichte des französischen permanenten Revolutionärs des Kinos kann man etwa bei Tariq Teguia sehen, der sich stark auf Ici et ailleurs bezieht, Godards Palästinafilm aus den frühen 1970er Jahren.

Noch ein Wort zu dem österreichischen Anteil an der Viennale: Sudabeh Mortezais Macondo kehrt ein Dreivierteljahr nach der Weltpremiere auf der Berlinale von einer langen Festivaltour nach Wien zurück; Hubert Saupers We Come as Friends lief auch in Berlin und in Sundance, hat seither aber nicht ganz so große Wellen geschlagen wie vor einigen Jahren Darwin’s Nightmare. Halbe Welt erinnert an Florian Flicker, einen der vielen Verluste dieses Jahres. 2014 erlaubt eigentlich kein Festival, das einfach Filme auf die Tagesordnung setzt. Andererseits ist das die einzige Möglichkeit. Die Viennale hat insgesamt eine gute Balance gefunden zwischen einem ganz normalen Filmfestival und einem, das sich von den ungewöhnlichen Umständen der Gegenwart doch angemessen verstören lässt.

VIENNALE 2014 

23. Oktober bis 6. November 

Programm online ab 15. Oktober

www.viennale.at

Retrospektive John Ford: Ein Programm von 

Viennale und Österreichischem Filmmuseum

16. Oktober bis 30. November

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