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Poesie verpflichtet

Text: Günther Bus Schweiger | Fotos: Charlotte Goltermann / UNIVERSAL

Sven Regener redet gerne und viel. Das ist kein Geheimnis und deshalb ist es ein ebenso rarer wie spannender Moment, wenn man den Gitarristen Jakob Ilja für ein paar Minuten ohne seinen jahrzehntelangen Bandkollegen erwischt. Die letzten Alben erschienen im Abstand von vier bis fünf Jahren, wie merkt er, dass sich die Band wieder findet und wieder aktiv wird? „Es gibt einfach eine fast naturgegebene Abfolge von Ereignissen. Wenn eine Platte rauskommt, folgt die Tour, dann kommen die Festivals im Sommer, dann die Nachfolgetour, die dann kleiner ist und dann erneut Festivals. Da sind wir dann schon im dritten Jahr und dann braucht man auch einmal Abstand, entweder für eigene Projekte oder einfach, um die Batterien aufzuladen. Und dann trifft man sich wieder, jeder hat ein paar Akkordfolgen, ein paar Fragmente. Wir improvisieren und manche Sachen bekommen ein Eigenleben. Wir spielen die dann immer wieder, bis eine Form da ist und wenn dann zwei Songs fertig sind, nehmen wir sie in drei oder vier Tagen auf und so geht es dann ein halbes Jahr weiter, bis dann zehn Songs fertig sind.“ Sven Regener hat Platz genommen und den letzten Satz gehört. „ Nach zehn Songs ruht der Löffel! Es ist dann einfach genug. Das Albumformat ist einfach unschlagbar: Fünf Songs auf der A-Seite, fünf auf der B-Seite. Seit 1992, da hatte die CD schon 90 Prozent Marktanteil, hat man das Format neu definieren wollen, aber die Leute sagen nach zehn Songs: „Danke, dass es das war, mehr kann ich auf einmal nicht wahrnehmen. Es gibt Formate, die funktionieren und das muss man nun auch mal akzeptieren. Und außerdem: Wer soll denn zwanzig neue Songs im Jahr verkraften, wo sollen die herkommen, wer soll sie denn hören und verarbeiten?“

Dieser Aussage kann man nur zustimmen und in dieser Frage ist das Festhalten an alten Strukturen auch leicht zu begründen. Regener ist aber frei nach dem Motto „Wie soll denn meine Arbeit sonst zum Endkunden kommen“ auch ein streitbarer Verteidiger des Systems der großen Plattenfirmen. Das hat ihm eine Flut von medialen Watschen eingebracht, an seiner Meinung aber nichts geändert. Mit diesem Festhalten an der Form outet er sich zwar als strukturkonservativer Verteidiger seines wirtschaftlichen Auskommens, aber in seinen Songs ist genau dieser Wesenszug sein großer Trumpf. Er kennt seine Stärken und spielt seine sprachliche Genauigkeit immer aus, ein Schlüsselsatz findet sich auf „Romantik“, der wahrscheinlich hellsten Stunde im Schaffen von Element of Crime: „Ohne Klarheit in der Sprache ist der Mensch nur ein Gartenzwerg“. Wittgenstein hätte diesen Satz wohl auch unterschrieben. Eingepackt ist dieser Satz in keine philosophische Abhandlung, sondern in den Song „Alle Vier Minuten“, eine sehnsüchtige Beschreibung des Berliner Nahverkehrs aus der Sicht des typischen, immer sehnsüchtigen Bohemiens. Einer Figur, die auch seinem erfolgreichsten (und bei weitem besten) Roman „Herr Lehmann“ entstammen könnte. Die literarische Karriere ruht nun zugunsten der Band, aber in einigen Jahren wird sicher eine Lehmann-Figur in einem bemitleidenswerten Transporter eine hoffnungsfrohe Band durch die deutschen Lande kutschieren und an vielen Theken haltmachen.

Element of Crime existieren seit 1985 und mussten lange auf den Erfolg warten. Ihre Konzerte in den immergleichen Klubs waren alkoholgetränkte Happenings für den kleinen Anhang und auch der Wechsel zu den deutschen Texten, entsprang mehr der Not als der Liebe. Doch Songs wie der Trennungsklassiker „Ohne Dich“ verbreiteten sich langsam, aber stetig und nach vielen Jahren des Aufbaus wurden aus den Klubs Säle, in den letzten Jahren gar Hallen. Ein großer Hit blieb ihnen immer erspart und so sind sie frei, Perlen aus dem Repertoire nach Lust und Laune in die Konzerte einzubauen. Wie geht es Regener, wenn er zu alten Songs greift? „Lieder, die wir spielen, haben sich zum Beispiel für mich verändert, seit mein Vater gestorben ist. Und ich kenne Geschichten von Menschen, die Lieder jetzt anders hören, seit nahe Angehörige verstorben sind, das ist dann deren Geschichte und deren Interpretation. Das kann ich ihnen nicht nehmen und das will und darf ich ihnen vor allem nicht nehmen. Das ist ein Riesenkompliment für uns, dass diese Lieder dafür taugen. Das ist der entscheidende Punkt.“ Die Inbrunst, mit der Regener diese Sätze sagt, lässt darauf schließen, dass sein Herz noch immer an jedem Song und jeder Zeile hängt. Ilja und er vertiefen sich kurz in eine Diskussion, welche Ansätze sie für welche Songs geplant hatten, aber dass sie im Laufe der Proben merkten, dass die Songs viel weniger Tempo und viel weniger Instrumente brauchten, als ihnen ursprünglich vorschwebte. Das zeigt auch wie vorsichtig sie mit ihrem Material umgehen, wie demütig sie diesen dienen.

Lieblingsfarben und Tiere erschien im Herbst und schaffte es an die Spitze der heimischen Albumcharts. Änderungen am Konzept, am Arbeitsrhythmus oder am Personal waren dafür nicht notwendig. Element of Crime schreiben in aller Ruhe ihre Songs, arbeiten lange mit ihnen, um den Rahmen zu schaffen, den sie verdienen. Am Ende stehen dann zehn poetische Betrachtungen des Zwischenmenschlichen, die wie immer ins Schwarze treffen. Und wie immer ist die Vollendung der großen Liebe nicht möglich. Doch der Gedanke, es nicht zu versuchen, noch wesentlich absurder. Die Songs loten die unzähligen Graubereiche der Liebe in möglichst verschiedenen Schattierungen aus, wobei immer klar ist, dass es irgendwie weitergeht. Man ist halt auch keine 26 mehr.

Wenn ein Album Lieblingsfarben und Tiere heißt, darf auch nach dem Lieblingsflughafen gefragt werden. Ilja besteht auf den neuen, noch länger auf seine Eröffnung wartenden Berliner Flughafen, denn „Das ist ein Thema, da rede ich gerne darüber – wer da kommt, wer da geht, wer Termine angekündigt, wer die dann wieder verschiebt, das hat einen hohen Unterhaltungswert und das können die wenigsten Flughäfen von sich behaupten.“ Bei Regener lasse ich die wie aus Pistole geschossene Antwort „Schwechat“ nicht gelten. Nach einer längeren Pause legt er sich auf Bremen fest: „Da kannst du direkt mit der Bim hinfahren!“ Es lebe die öffentliche Anbindung, die Genauigkeit in der Sprache und eine Band, die ihren Stärken vertraut.

Element Of Crime: Lieblingsfarben und Tiere (Universal) 

Live: 19. Februar, Maag Hall, Zürich 

21. – 22. Februar, Gasometer, Wien 

26. Februar, Zenith, München

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