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Stream a Little Stream

Wann immer man in den letzten Jahren deutschsprachige Online-Foren zu den Themen Streaming und/oder US-Fernsehserien durchstöberte, stieß man auf Kommentare, die ungefähr so lauteten: „Wenn es hierzulande einen guten Streamingdienst gäbe, würde ich gern dafür zahlen.“ Doch die (legale) Streaming-Revolution ließ in Österreich und Deutschland lange auf sich warten. Und dass, obwohl es in Deutschland eigentlich Dutzende Anbieter gab beziehungsweise gibt. Doch sind diese entweder der breiten Öffentlichkeit unbekannt oder sie vermögen in puncto Userfreundlichkeit und Angebot nicht zu überzeugen. Die Konsequenz war eine Explosion von illegalen Downloads (der Rekordhalter in dieser Kategorie ist seit Jahren die millionenfach über Downloadportale wie Pirate Bay heruntergeladene HBO-Fantasyserie Game of Thrones): Die User sahen sich Fernsehserien und Filme an, aber sie zahlten nicht; Produzenten und Anbieter konnten potenzielle Einnahmequellen im Ausland nicht abschöpfen. In einer Medienlandschaft im Umbruch, in der Konsumenten zunehmend flexibler werden, wollen Serien-Junkies hierzulande eben nicht mehr monatelang darauf warten, bis sie endlich eine der US-Qualitätsshows sehen dürfen, noch dazu oft in zweifelhafter Synchronisation. Doch vor kurzem kam Bewegung in die Sache. Im September startete das US-Unternehmen Netflix, der größte Player im Bereich des Videostreaming, in Österreich, Deutschland, der Schweiz, Belgien, Luxemburg und Frankreich. Konkurrent Sky stieg vor kurzem ebenfalls in den Streamingbereich ein und auch öffentlich-rechtliche Sender wittern ein neues Geschäftsfeld.

Marktführer Netflix

Das 1997 von Reed Hastings gegründete Unternehmen Netflix macht aktuell einen Umsatz von 5 Milliarden Dollar pro Jahr, weltweit zählt man rund 50 Millionen Kunden in mehr als 40 Ländern. Startete Netflix zunächst als Service, bei dem man Videos per Post ausleihen konnte und sich nicht über lästige Überziehungsgebühren – wie seinerzeit bei Videotheken – ärgern musste, folgte 2007 der Einstieg in den Video-on-Demand-Bereich. Neben CEO Hastings ist es dabei vor allem ein Mann, der das Unternehmen prägt: Der seit 2000 für den Content zuständige Ted Sarandos. Sarandos wollte sich nicht mit der Ausstrahlung von eingekauften Filmen und TV-Produktionen begnügen, zudem war ihm bewusst, dass man aus lizenzrechtlichen Gründen nicht alles bekommen konnte, was man wollte. Also rief Sarandos 2011 die sogenannten „Netflix-Originals“, vom Unternehmen selbstproduzierte Serien, ins Leben. Sarandos hatte den richtigen Riecher, gleich die erste Produktion wurde ein Hit: In House of Cards, der amerikanischen Version einer britischen Serie, spielt Oscarpreisträger Kevin Spacey (American Beauty) einen demokratischen Kongressabgeordneten, der die Macht in der Schlangengrube Washington an sich reißen will und dabei vor nichts zurückschreckt. Seine nicht minder skrupellose Frau spielt Robin Wright (A Most Wanted Man), als Produzent und Regisseur mehrerer Episoden fungierte kein Geringerer als David Fincher (Se7en, Gone Girl), einer der renommiertesten Filmemacher des US-Kinos. Soviel geballtes Talent hatte natürlich seinen Preis, doch für Netflix rentierte sich das Wagnis: Die Serie erhielt zahlreiche Auszeichnungen und geht bald in die dritte Staffel. Was Zuschauerzahlen betrifft, ist man auf Schätzungen angewiesen, da Netflix sich diesbezüglich in Schweigen hüllt; dass die Serie überaus populär ist, kann man etwa hohen User-Wertungen auf der IMDb oder einer rekordverdächtigen Zahl Twitter-Meldungen entnehmen. Zweifelsohne waren die Netflix-Originals ein revolutionärer Schritt – nie zuvor hatte ein Internetanbieter sich an vergleichbare Großproduktionen gewagt. Gerade zum Start im deutschsprachigen Raum sah es allerdings so aus, als müsse Netflix auf House of Cards verzichten: Die Ausstrahlungsrechte hatte man an Sky abgetreten. Doch in letzter Minute gab es Entwarnung: Die ersten beiden Staffeln finden sich im Angebot (Für die dritte Staffel liegen die Erstausstrahlungsrechte wieder bei Sky). Nachdem sich House of Cards als Hit entpuppt hatte, zog Netflix mit weiteren Produktionen nach, darunter die ebenfalls sehr populäre, in einem Frauengefängnis spielende Serie Orange is the New Black. Serien sind jedoch nicht alles: Das Netflix-Angebot in Österreich – wahlweise im Original mit optionalen Untertiteln oder in Synchronversion verfügbar – umfasst Kinofilme zwischen Blockbuster (Marvels Comicadaption Captain America), Dokumentarfilmen (Roman Polanskis Weekend of a Champion) und Arthouse (Jim Jarmuschs Only Lovers Left Alive). Spezielle Algorithmen machen den Nutzern auf Basis bereits angesehener Filme Vorschläge, die Preise sind als günstig einzustufen: Das günstigste Abo kostet 7,99 Euro (Streaming auf einem Gerät, Standardqualität), das teuerste 11,99 Euro (Streaming auf bis zu vier Bildschirmen gleichzeitig, auch Ultra-HD).

Hierzulande ist das Angebot aber sicherlich noch ausbaufähig – in den USA sind via Netflix mehrere tausend Filme und Serien erhältlich, in Österreich und Deutschland deutlich weniger (auch hier ist das Unternehmen mit Zahlen zurückhaltend). Auf diese Diskrepanz angesprochen, meint Joris Evers, Head of Communications for Europe: „Zum Start hatte Netflix das kleinste Angebot, dass es in diesen Märkten jemals geben wird. Es stimmt, der Fernseh- und Filmbereich ist ausgesprochen regional oder sogar lokal, wenn es um die Lizensierung der Inhalte geht. Daraus ergibt sich, dass man nicht einfach einen Schalter umlegen kann, wenn man Netflix in ein neues Land bringt. Um den Kunden in diesem Land zu erlauben, sich für unseren Dienst anzumelden, müssen wir zusätzlich zur Lokalisierung des Dienstes auch die Rechte für jeden Markt erwerben. Jetzt fügen wir regelmäßig neue Titel hinzu, die zum einen die Auswahl erweitern und zum anderen das Netflix-Angebot an die Vorlieben der Mitglieder in diesem spezifischen Markt anpassen.“

Und der Markt ist unbarmherzig. Als in den USA publik wurde, dass Netflix weniger neue Abonnenten als geplant akquirieren konnte, ging der Aktienkurs des Unternehmens nach unten. Doch noch sitzt Netflix fest im Sattel – die Frage ist, wie das Unternehmen auf die Konkurrenz reagiert, wie attraktiv man den Mix aus künftigen Eigenproduktionen und zugekaufter Ware gestalten kann. Rechzeitig für Weihnachten kündigt Evers die Netflix-Originalserie Marco Polo (die unter anderem in Italien und Malaysien mit einem Budget von 90 Millionen Dollar gedreht wurde) an, die in Ultra HD 4K gedreht wurde und ab 12. Dezember in Österreich zu sehen sein wird.

Neuer, umkämpfter Markt

Doch die Konkurrenz schläft jedenfalls nicht. Einer dieser Konkurrenten ist der bereits erwähnte, in mehreren europäischen Ländern verfügbare Bezahlsender Sky, der heuer erstmals nach sieben Jahren wieder schwarze Zahlen schrieb. Auf die Präsenz von Netflix reagierte Sky vor einigen Wochen mit dem Dienst Sky Online. Im Vergleich zum bisherigen Sky-Angebot setzt man mit dem Premium-Streaming-Dienst auf Flexibilität (der Kunde kann monatlich kündigen) und Kostengünstigkeit: Das Starterpaket schlägt in Österreich mit 9,90 Euro zu Buche und bietet neben 20 ausgewählten Themensendern und Familienprogrammen auch Sportnachrichten. Auch kann man mit dem Starterpaket auf die 2013 gelaunchte Video-on-Demand-Plattform Snap by Sky zugreifen. Ein zweites Paket ist mit 19,99 Euro zwar teurer, bietet aber auch relativ aktuelle Filme, darunter das Formel-1-Drama Rush.

Kai Mitterlechner, Geschäftsführer von Sky Österreich, sieht das Medienverhalten der Österreicher flexibel und erteilt dem Klischee, wonach der Österreicher ein Gewohnheitstier sei, eine Absage: „Im Gegenteil. Die Österreicher sind aufgeschlossen und die veränderte Mediennutzung und Nachfrage nach unseren Produkten spiegelt das auch deutlich wieder. Wir haben unser Geschäftsmodell daher auch konsequent auf den fortschreitenden Medienwandel ausgerichtet.“ Und Mitterlechner ist sich der Stärken von Sky, die im großen Umfang des Angebots liegen, bewusst: „Sky verfügt über langfristige und umfangreiche Lizenzvereinbarungen mit den großen Hollywoodstudios und zahlreichen Independents. Außerdem haben wir unsere exklusive Partnerschaft mit HBO bis 2020 verlängert. So besitzen wir unter anderem exklusive Erstausstrahlungsrechte für unzählige Blockbuster und herausragende Serien wie True Detective, die nur wenige Stunden nach US-Start auf Sky Online zu sehen sind.“ Derzeit hält Sky Österreich bei 327.000 Kunden, zu den meistgesehenen Serien des Portals zählen Game of Thrones (4. Staffel) und die Zombie-Serie The Walking Dead (5. Staffel). Obwohl es für Sky gerade gut läuft, zeichnet Mitterlechner ein diffiziles Bild der audiovisuellen Mediensituation hierzulande: „Ich würde den österreichischen Markt als einen schwierigen Markt bezeichnen, weil der öffentlich-rechtliche Sektor sehr stark ist. Aber auch so ein Markt kann sich auf Dauer nicht einer Veränderung, die vom Kunden kommt, entziehen.“

Der oben bereits angesprochene US-Sender HBO, der als Synonym für Qualitätsserien steht, hat übrigens angekündigt, selbst eine Streaming-Plattform zu starten, 2015 will man online gehen. Zunächst ist ein Start exklusiv in den USA vorgesehen, doch HBO-Chef Richard Plepler sprach zumindest vage davon, sich auch ein internationalen Angebot vorstellen zu können. Ausschließlich mit US-amerikanischer IP-Adresse verfügbar ist das Angebot der in den Vereinigten Staaten populären Internetplattform Hulu, die von mehreren Medienkonzernen betrieben wird. Pläne, das Angebot auch in Übersee zugänglich zu machen, finden sich dort momentan nicht.

Zunehmend beliebt sind auch die vom Online-Versandhändler Amazon produzierten Webserien, die via Amazon Instant Video vertrieben werden. Amazon produziert dabei zunächst Pilotfolgen und lässt die User darüber abstimmen, welche der Piloten schlussendlich produziert werden sollen. Noch kann Amazon was Popularität betrifft, nicht mit den großen Playern mithalten, doch kommen Produktionen wie etwa die Comedy-Serie Alpha House, in der John Goodman einen US-Senator spielt, der mit Amtskollegen in einer WG in Washington lebt, bei der Kritik bereits sehr gut an. Es wird sich zeigen, ob Amazon hier einen langen Atem hat – Unternehmensgründer Jeff Bezos ist jedenfalls bekannt dafür, große Budgets für Projekte locker zu machen, von denen er persönlich überzeugt ist. Doch auch abseits von Eigenproduktionen ist Amazon aktiv: Ende November startete das Unternehmen sein Abo-Service „Amazon Prime“ auch in Österreich. Im Package inkludiert ist neben Gratis-Warenlieferung der schon erwähnte Video-on-Demand-Dienst Amazon Prime Instant Video. Amazon-Kunden können um 49 Euro im Jahr auf 13.000 Titel zugreifen, darunter finden sich Hits wie die Terrorismus-Serie Homeland oder Filme wie Tarantinos Western Django Unchained. Ein Manko: Nicht alles gibt es in der Originalfassung.

In Europa schwimmen immer mehr Fernsehsender mit dem digitalen Strom. In Deutschland etwa planen laut „Handelsblatt“ Produzenten eine Videoplattform, an der sich auch eine Tochter der ARD beteiligen soll. Hierzulande will der ORF ebenfalls mitmischen – laut Medienberichten steht ein Einstieg des öffentlich-rechtlichen Senders beim Filmabrufportal Flimmit, das sich auf Filme abseits des Mainstreams spezialisiert hat, unmittelbar bevor. In Sachen Information hinkt der ORF den Privaten jedenfalls hinterher: Während die Chefs von Netflix oder Sky persönlich antworten, hüllt sich die Pressestelle des ORF auf die Frage, welche Strategien man mit dem Einstieg bei Flimmit verfolge, in Schweigen. Wie auch immer: Der hiesige Kampf um Anteile am Streaming-Kuchen hat gerade erst begonnen, für Marktbeobachter werden die nächsten Monate besonders spannend. Dann wird man sehen, wer im deutschsprachigen Raum die Favoritenrolle übernehmen und ob das Angebot dafür sorgen wird, die Zahl der illegalen Downloads zu senken.

| FAQ 30 | | Text: Oliver Stangl
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