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Ende der Pause

Natalie Merchant bekam ihre Stimme zurück und schreibt die besten Songs ihrer Karriere.

Foto: Jacob Blickenstaff

Nicht jede Rückkehr eines Künstlers nach einer längeren Schaffenspause ist mit Sehnsucht und Neugier verbunden. Oft mischt sich in die Neugier auch Angst, dass dem Publikum nur ein Abklatsch früherer Großtaten vorgeworfen wird und dass vielleicht noch mit einer Kampagne, die ein großes Comeback verspricht.
Im Fall von Natalie Merchant kann man sich jede Angst sparen, denn obwohl sie seit neun Jahren kein Album mit neuen Songs veröffentlicht hat, ist ihre innere Qualitätskontrolle stets aktiv – und die eigenen Ansprüche waren immer hoch. In den Achtzigern wurde sie, noch als Teenager, als Gesicht der Indiepoplieblinge 10.000 Maniacs zum Postergirl für selbstbewusste Songwriterinnen, ein Beruf, der damals noch in den Kinderschuhen steckte und definitiv mit einer Menge männlicher Vorurteile zu kämpfen hatte. Nach dem Ende der Band schuf sie mit ihrem Soloalbum „Tigerlily“ die Blaupause für ein persönliches Album, das den Sprung in den Mainstream schaffte. Die Songs funktionierten im Wohnzimmer allein oder zu zweit genauso wie als Hintergrund bei Starbucks oder jeder anderen hippen und gesunden Tränke.

Foto: Jacob Blickenstaff

Als Kind einer Alkoholikerin wollte Merchant ihre Kunst nicht über ihre Tochter stellen, aber da diese mittlerweile aufs College geht, war der Weg zurück an den Schreibtisch und ins Studio frei. Wenn da nicht jener Tag im Jahr 2018 gewesen wäre, an dem sie in London durch das Victoria & Albert Museum schlenderte und plötzlich ihren Arm nicht mehr spürte. Bei der Notoperation wurden die Stimmbänder verletzt und Merchant konnte plötzlich nicht mehr singen. Die Prognosen waren ungewiss und die Künstlerin dachte schon über zukünftige Beschäftigungen wie Gartenarbeit oder Malerei nach. Am Ende dauerte der Heilungsprozess lange, aber er gelang.
Nach fast einem Jahrzehnt abseits des Rampenlichts veröffentlicht Merchant nun „Keep Your Courage“ – und erfüllt alle Hoffnungen, die in sie als Songwriterin und Sängerin gesetzt wurden. Ihre Stimme ist etwas tiefer und rauer geworden, aber genau das unterstreicht ihre sanfte Souveränität, die sie so unnachahmlich ausstrahlt. Die Musik ist durch die Bank großartig arrangiert, man höre nur die von den Bläsern getriebene Ode an die Liebe „Come on Aphrodite“. Generell gilt, dass hier kein Ton zu viel und zu wenig eingesetzt wurde.

Die Tour von Natalie Merchant macht leider um den deutschsprachigen Raum einen großen Bogen, aber immerhin gibt es diese Songs, die die Rückkehr einer Großen bestätigen.

 

Natalie Merchant – Keep Your Courage
(Nonesuch / Warner)

 

| FAQ 70 | | Text: Günther Bus Schweiger
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