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A Master of Space and Light

Von Christopher Frayling im Dialog mit dem Production Designer Ken Adam kommentiert, stellt ein neuer opulenter Bildband eine umfassende Werkauswahl aus dem Ken-Adam-Archiv vor.

Entwurf für den Gang in der Raumstation für Moonraker © 1979 Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc. and Danjaq LLC. All rights reserved.

Als im März 2016 die Nachricht publik wurde, dass die Archive der Deutschen Kinemathek Berlin die Sammlung des Production Designers Ken Adam von nun an online zugänglich machen würden, bedeutete das über die archivarische Erfassung und Konservierung dieses wichtigen gestalterischen Beitrags zur Filmgeschichte hinaus den Erhalt eines großen bildnerischen Lebenswerks für die Nachwelt. Adam selbst, der das alles erfunden, entworfen oder entdeckt, fotografiert und gebaut hatte, und der insbesondere mit seinem Flo-Master-Pen/Filzstift seit den 1950er-Jahren für eine Vielzahl stilistisch unverwechselbarer, dynamischer energiegeladener Filmräume verantwortlich zeichnete, starb 95-jährig in London kurz vor der Eröffnung seiner Lebenssammlung. Die Zugänglichmachung seiner Hinterlassenschaft rechtzeitig zu regeln, war ein außerordentlich weiser, geglückter Akt, der Adams Bildwerke und wie sie entstanden sind, der filmischen Phantasie von uns allen öffnet, für die sie schließlich geschaffen worden sind.

„Backroom boys“

Die Online-Präsentation der Deutschen Kinemathek bietet so etwas wie eine übergreifende, bestens verlinkte Internet-„Volksausgabe“ dessen, was mit dem hier vorgelegten Prachtband „The Ken Adam Archive“ in eine imposante repräsentative Buchform gebracht worden ist, die allein schon von der Anordnung der korrespondierenden Text- und Bildelemente auf jeder Seite her sich als überwältigend im positiven Sinne präsentiert. Erstmalig wird hier, jedes Stadium seiner Karriere betreffend, eine breite, umfassende Auswahl von Adams Design von der ersten Idee bis hin zu dem, was sich auf der Leinwand zeigt, geboten und treffend einander gegenübergestellt, durchweg kommentiert anhand von Interviews, die Christopher Frayling, der Historiker, ausgewiesene Adam-Kenner und Gesprächspartner mit dem Production Designer in den letzten Jahren seines Lebens geführt hatte; Monate hatten sie beide zudem mit der Auswahl des Bildmaterials zugebracht.

Das erste Buch des Taschen Verlags, das sich dem Werk eines Production Designers widmet, ist ein großes Debüt, das sich um die längst fällige Anerkennung der kreativen Rolle dieser Profession verdient macht, deren Vertreter zu Adams Schaffenszeiten nach seinen Worten gegenüber den Regisseuren lediglich einen Status von „backroom boys“ innehatten, denen allerdings nichts Geringeres als die Supervision alles Visuellen eines Films oblag, einer „world of its own“.

Ken Adam betrachtet während der Bauarbeiten sein Volcano-Set für You Only Live Twice
© 1967 Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc. and Danjaq LLC. All rights reserved.

„I love to draw very quickly, to let the ideas flow as fast as my imagination and hand will allow.“ Ken Adam

Die Konzeptzeichnung für das Volcano-Set in You Only Live Twice, Deutsche Kinemathek – Ken Adam Archiv
© 1967 Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc. and Danjaq LLC. All rights reserved.

„Treating reality in a theatrical way“

Sir Ken Adam (1921–2016) war einer der bedeutendsten Production Designer der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Mit seinen stilprägenden Sets hat der gebürtige Berliner, der in der Tiergartengegend am Matthäikirchplatz aufwuchs, Filmgeschichte gestaltet. Seine frühen Zeichnungen ab Ende der 1940er Jahre als Filmzeichner, dann Art Director hielt er in ihrer ausführlichen Präzision als Entwürfe bald für ungeeignet und versah sich mehr auf das Skizzenhafte, Imperfekte, das die Dreidimensionalität, den Charakter eines Szenenbilds stärker zum Ausdruck zu bringen vermochte, am besten in hartem Schwarzweiß. Expressive monochrome Zeichnungen wurden bald zu Adams „Trademark“, reduzierte Skizzen, die Licht und Raum vermitteln – in den Sixties begann man allmählich, vom Phänomen „The Adam Style“ Notiz zu nehmen; er selbst erklärte, in Übereinstimmung mit seinem Antrieb des „heightening of imagination“, methodisch gehe es ihm eher um den Aspekt: „treating reality in a theatrical way“. Als einer der ersten Art Directors in England wurde er mit dem Credit Production Designer ausgestattet, in der Phase, als er mit Regisseuren wie Jacques Tourneur das Horror Picture Night of the Demon (1957) oder mit Robert Aldrich Ten Seconds to Hell (1959) drehte, ein Filmdrama über ein Bombenentschärfungskommando, für dessen Filmbauten Ken Adam 1958 in seine Geburtsstadt, das nun von Bombardierungsbrachen und Ruinenarealen gezeichnete Berlin, zurückkehrte.

Nach Ansicht des hochdekorierten britischen Architekten Norman Foster steht Adam in der Tradition von Visionären wie Battista Giovanni Piranesi: Adam baute, was Piranesi entwarf, und er führe Raumentwürfe aus, die bei dem klassizistischen Architekten Étienne-Louis Boullée zu finden seien: „A master of space and light“ – ein großes Erbe. In unsere Kinoerinnerung einversenkt haben sich diverse unheimliche, auch kuriose Orte und Dinge wie eine Höhle im Herzen eines Vulkans, ein Bunkerraum unter schwerer Deckenschräge, dann auch Automobile wie der Aston Martin des Agenten Ihrer Majestät 007 mitsamt allen integrierten Bewaffnungsraffinessen bzw. Gadgets (Goldfinger) oder auch das „Chitty Chitty Bang Bang“-Vehikel aus dem gleichnamigen Musical-Film von Ken Hughes (1968).

Entwickeltes Konzept des Laserraums in Goldfinger
© 1964 Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc. and Danjaq LLC. All rights reserved.

Der amphibische Lotus Esprit in The Spy Who Loved Me
© 1977 Metro-Goldwyn-Mayer Studios Inc. and Danjaq LLC. All rights reserved.

James Bond und Dr. Strangelove

Durch seine herausragende Arbeit für sieben James-Bond-Produktionen in den 1960er- und 1970er-Jahren zwischen Dr. No (1962, Regie: Terence Young) und Moonraker (1979, Regie: Lewis Gilbert) ist er seit den Sechzigern berühmt geworden, wenngleich die Kooperation mit Stanley Kubrick in Gestalt vor allem jenes atomsicheren Lagebesprechungsraums der US-Führung in Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb (1964), des Entwurfs eines tief unter dem Pentagon gelegenen legendären „War Room“ – ein Kommandozentrum als Bunker, gleichsam die Raummetapher eines atomaren Weltkrieges – von all seinen Raumschöpfungen, reich an Machtzentralen und überzeitlich-sakralen Stätten, womöglich den Gipfel seines Schaffens darstellt; das Produkt des Kalten Krieges, der Ängste vor der Nuklearkatastrophe wurde ein „landmark“ der Popkultur, „the most warmly remembered of cold war artifacts“ (New York Times, 1994), aufgrund seines rabenschwarzen Humors.

Nicht zu vergessen natürlich auch der „Pyramid Control Room“ für Moonraker, ebenfalls das gigantische Headquarter des Bond-Schurken Blofeld, das im Innern eines Vulkans (You Only Live Twice; 1967, Regie: Lewis Gilbert) versteckt ist, und sicher auch der verschachtelte Palast des chinesischen Kaisers in der Verbotenen Stadt, für Bertoluccis The Last Emperor (1987) von Adam uncredited entworfen …

Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 70

 

The Ken Adam Archive
Christopher Frayling in collaboration with the Deutsche Kinemathek.
Directed and produced by Benedikt Taschen. Köln 2023, 360 Seiten.
Englisch. Hardcover, in changierenden Bicolor-Stoff gebunden, mit 4-Phasen-Hologramm, 36 x 36 cm. € 850,-
(Collector’s Edition von 1.200 Exemplaren, jedes nummeriert und von Sir Ken Adam signiert, mit einem gravierten Buchständer aus Acrylglas).

www.taschen.com
www.ken-adam-archiv.de

 

| FAQ 70 | | Text: Jörg Becker
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