Die erste Welle – Filme aus der frühen Werkphase Jean-Luc Godards, mitunter als „romantische Phase“, in ihren späteren Teilen auch als „soziologisches“ beziehungsweise „essayistisches Œuvre“ bezeichnet – treibt bis an den Vorabend des Pariser Mai 68, als Godard ein Ende des Kinos erklärt hatte. Er gilt als einziger Filmemacher, der seine Arbeit durch die Ereignisse von 1968 in Frage gestellt sah.
Am Anfang wusste Jean-Luc Godard, er wollte einen Film über den Tod drehen, den Todestrieb des Helden. Godards Spielfilmdebüt, À bout de souffle, gilt als ein Film, der mit einem Mal so frei mit seinen Elementen umging, so souverän bis dahin herrschende Regeln brach, dass sich bis heute an ihm das Kino als ein Ganzes studieren lässt. Alles wurde binnen vier Wochen aus der Hand gedreht, vorwiegend Außenszenen, ohne Drehbuch. Später, in seiner „Einführung in die wahre Geschichte des Kinos“ [Paris, 1980; dt.: 1981] erklärte Godard: „Ich habe meine Filme eher so gemacht wie zwei, drei Jazzmusiker arbeiten: Man gibt sich ein Thema, man spielt, und dann organisiert es sich von selbst. (…) Nicht daß Bleistift und Papier an sich schlecht wären. Was schlecht ist am Kino, so wie es gemacht wird, ist, daß sie immer zu einer bestimmten Zeit gebraucht werden, nämlich vorher. Ein bißchen vorher, ein bißchen nachher – das fände ich gut, aber nicht immerzu.“ Aufgenommen wurde das Leben, „wo es ist“ (Godard), ohne Kunstlicht, mit hochempfindlichem Ilford-HP 5-Filmmaterial; Jump-Cuts (aufgrund von Kürzungszwängen), bewusst falsche, d.h. gegen die Hollywood-Dramaturgie geschnittene Anschlüsse, auch Achsensprünge haben die ohnehin elliptische Erzählweise des Films radikalisiert – rückblickend sprach Godard, trotz Gangster-Sujet, von einem Dokumentarfilm über Jean Seberg und Belmondo und sah À bout de souffle auch als einen „Film ohne Regeln oder dessen einzige Regel hieß: Die Regeln sind falsch oder werden falsch angewendet.“ (1980). „Wo alle anderen auf Kontinuität aus sind und auf Flüssigkeit, zerstückelt er – auch in der Hoffnung, daß, wenn zwei verschiedene Dinge aufeinanderstoßen, das von selbst ein kleines Drama mit Pathos ergibt. Er macht Montagekino – wenn man es möglichst weit versteht und an Zerlegen denkt und Komposition. Die Abfolge der Einstellungen ist für ihn kein Mittel zur Illusionierung.“ (Frieda Grafe, 1981)
Die intendierte Hommage, die À bout de souffle an den Film noir darstellen sollte, zeigt sich bereits in der Widmung an die „Monogram Pictures“, jene Produktionsgesellschaft, der das Genre bedeutende Werke zu verdanken hat. Godard testet und reflektiert die Erzählweisen dieses Gangsterfilmtypus, inkludiert auch Versuche zur Theatralität des Kinos, zum Kammerspiel, zu denken an die Szene in dem kleinen Hotelzimmer, in dem der Gangster Michel (Jean-Paul Belmondo) und seine amerikanische Freundin Patricia (Jean Seberg) über die Aussichten ihrer Beziehung reden. „Ein Licht wie in Patricias Hotelzimmer hatte man bisher im Film überhaupt noch nicht gesehen“ (Martin Schaub, 1979) – hier wird der Zuschauer zum Betrachter eines Kammerspiels, das ihn durch die „vierte Wand“ in die Szene blicken lässt, aber im nächsten Moment schon, über eine verschachtelte Montage näher rückend, involviert.
Vollständiger Artikel in der Printausgabe.
Jean-Luc Godard. Die erste Welle,1951–1967
Österreichisches Filmmuseum
12.März bis 9. April 2015