Langsam geht das Licht an und der Tänzer Francisco Camacho flaniert in Slow Motion von der Papp-Palme zum Papp-Schwan, dann zur Papp-Hütte. Während dieser einsame Truman interessiert seine kleine Kulissen-Gegend durchmisst, legen sich langsam die nervösen Töne übereinander und stellen, ganz im Kontrast zur unschuldigen Neugierde des sich darin bewegenden Körpers, eine Atmosphäre der Bedrohung her. Die Musik von Hahn Rowe deutet auf die Arbeit der Zerstörung voraus, welche das Bühnenbild von Doris Dziersk später einlösen wird. Da nimmt Camacho Platz auf dem Papp-Stuhl in der Papp-Hütte, wendet den Blick zaghaft dem Publikum zu – da setzt der Regen ein. Schier unaufhörlich fallen die Tropfen, bis all die verletzlichen Papp-Dinge, in sich zusammen gesackt, der Nässe nachgegeben haben. Beim Tanz in den Ruinen sucht Camacho Schutz unter dem Matsch gewordenen Material, schützt dann umgekehrt unablässig den Matsch vor den wiederkehrenden Regengüssen. Auch die verwirrend übergriffigen Besuche, die ihm von Kotomi Nishiwaki und Abraham Hurtado abgestattet werden, führen nicht dazu, dass dieser immer wieder neu und anders einsetzende Körperarbeiter sich unterkriegen lassen würde. Am Ende wird das Licht warm und sanft, so als wäre er wahrlich und trotz allem „blessed“.
„Ich wollte verstehen, wie wir trotz allem weitermachen; was uns am Laufen hält“, so die Tänzerin und Choreografin Meg Stuart, die 2007, also zwei Jahre nachdem insbesondere ihre Heimatstadt New Orleans vom Hurricane Katrina getroffen worden war, für „BLESSED“ erstmals wieder mit ihrem portugiesischen Kollegen Camacho zusammen arbeitete. 1991 hatten die beiden gemeinsam mit Carlota Lagido für „Disfigure Study“ kollaboriert, dem ersten abendfüllenden Stück Stuarts, nach dessen Premiere beim Klapstuk Festival in Belgien sie sich als eine epochemachende Künstlerin etabliert hatte. Wie sich da ein Körper aus einer angenommenen Neutralität in Überdehnungen und Überdrehungen hinein begibt, schneller und undurchschaubarer werdend, bis sich diese einstige „Neutralität“ als bloß eine der vielen möglichen Fragmentierungen erweist – das sollte paradigmatisch werden für Stuarts Suche nach Körpern, die auch jenseits einer Hierarchie von Zentrum und Extremitäten funktionieren. Und auch bei „BLESSED“, das nun im Kontext der Klimakatastrophe unter neuer Aktualität nach 2007 und 2018 zum dritten Mal im Rahmen von ImPulsTanz am 22. Und 24. Juli in der Halle G im Museumsquartier gezeigt wird, pendelt sich Camacho stur, als wäre er ein Lot, in immer neue Situationen ein.
Meg Stuart selbst wurde 1965 in den USA geboren, studierte und arbeitete zunächst in New York und gründete 1994, also drei Jahre nach ihrer ersten Premiere in Europa, die flexible Produktionsstruktur Damaged Goods, die das Interesse an einer vielleicht guten Deformation im Namen trägt, die seither von Brüssel aus operiert und mittlerweile über 30 verschiedene Produktionen realisiert hat. Neben einer andauernden Zusammenarbeit mit dem Kaaitheater in Brüssel etablierte sich Stuart über Residenzen am Schauspielhaus Zürich, an der Volksbühne Berlin oder an den Münchner Kammerspielen als prägender Faktor der Szene auch im deutschsprachigen Raum. Sich mit ihren Arbeiten im Spannungsfeld von Tanz und Theater bewegend, zeichnen sich diese oft durch ein besonderes Verhältnis von Kontext und Konkretion, Situation und Abstraktion aus. „Wir teilen Informationen nicht nur über die Sprache miteinander. Wie nehmen Signale durch das auf, was wir sehen, fühlen und riechen“, formulierte sie in einem Interview ihren umfassenden Blick auf die Menschen und insofern die Kunst jenseits der Gattungsgrenzen. Neben vielen anderen Preisen wurde Stuart 2018 mit dem Goldenen Löwen der Tanz Biennale in Venedig für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.
Seit bald 30 Jahren besuchen Damaged Goods und Meg Stuart sehr regelmäßig Wien, waren nach den ersten Gastspielen 1996 bisher über 20 Mal präsent im Performance-Programm von ImPulsTanz. Als nach den pandemiebedingten Lockdowns und einem deshalb immer wieder verschobenen Premierentermin die Uraufführung von „Cascade“ 2021 schließlich im Volkstheater stattfand und zum ersten Auftritt von Damaged Goods seit dem Auftreten des Corona-Virus 2020 wurde, da unterstrich Stuart die enge Verbindung mit Stadt und Festival: „Mein Team ist mit dem ImPulsTanz Festival groß geworden, für sie ist es schicksalhaft, dass die Premiere nun ausgerechnet in Wien stattfindet.“ Und diese Premiere mit (zum damaligen Zeitpunkt völlig unglaublichen) sieben Tänzerinnen beziehungsweise Tänzern und zwei Live-Musikern war nach den isolierten Monaten wahrlich ein Fest. Der Autor und Kopf der Performancegruppe Forced Entertainment Tim Etchells hatte Text beigesteuert, Aino Laberenz die vielfältig-fröhlichen Kostüme, und Philippe Quesne kreierte aus Rampen, Seilen und überdimensional-unaussprechlich-großen, luftgefüllten Säcken und Bällen eine kosmische Geröll-Landschaft, eine große Einladung, das eigene Gleichgewicht herauszufordern. Fast zwei Stunden lang erging sich das Ensemble – zunächst vorsichtig, dann mutig, dann immer übermütiger – in sanftem Fallen und tollkühnem Kippen. Die Achtsamkeit, mit der die sieben Tänzerinnen und Tänzer in dieser Unruhe füreinander da waren, sie war bemerkenswert …
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Der Rechtsweg ist ausgeschlossen!
ImPulsTanz – Vienna International Dance Festival
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