Von Max Liebermann bis Gabriele Münter. Von Impressionismus bis Surrealismus. Vom Nachkriegsösterreich bis zum Neoexpressionismus: „Amazing“ im Wiener Leopold Museum befriedigt alle Vorlieben. Die Ausstellung der berühmten Würth Collection bietet noch bis 10. September 2023 die Möglichkeit, eine Reise durch mehr als 100 Jahre Kunstgeschichte zu unternehmen. Die aus über 19.000 Exponaten bestehende Sammlung von Prof. Reinhold Würth ist dabei das Archiv eines Kunstliebhabers, der sich zum Credo nimmt, „Kunst immer nur dann zu erwerben, wenn sie mich berührt.“ Denn nur so erreiche sie (irgendwann) auch andere, so der Sammler. Hans-Peter Wipplinger, Direktor des Leopold Museums, wählte für „Amazing“ rund 200 Werke aus dem Archiv von Reinhold Würth aus: eine Selektion, die rund fünfundsiebzig Künstlerinnen und Künstler von der klassischen Moderne bis zur zeitgenössischen Kunst beinhaltet. Neben Pablo Picasso finden sich hier u. a. Fernando Botero, Maria Lessing, René Magritte, Paula Modersohn-Becker sowie Anish Kapoor.
„Meine früheste Erinnerung an Wien geht zurück ins Jahr 1940/41. Im Alter von sechs Jahren durfte ich meine Eltern auf einer etwas länger andauernden Geschäftsreise in diese wunderschöne Stadt mit all ihren Sehenswürdigkeiten begleiten.“ Die frühe Bekanntschaft mit Wien sei für Reinhold Würth wegweisend gewesen. Der „Selfmademan“ aus Baden-Württemberg übernahm als gerade erst 19-Jähriger das väterliche Schraubengeschäft und machte in wenigen Jahren einen Weltmarktführer daraus. Das aus seinem Ehrgeiz entsprungene Vermögen ermöglichte es Würth, seiner Leidenschaft für Kunst, Musik und Literatur nachzugehen. Dabei war Würths Bekanntschaft mit dem ehemaligen Galeristen Paul Swiridoff im Jahre 1996 ausschlaggebend: „Einer seiner ersten bedeutenden Ankäufe sollte ein Werk von Emil Nolde mit dem Titel ‚Wolkenspiegelung in der Marsch‘ (um 1935) sein“, so Hans-Peter Wipplinger. Das Besondere an der Würth Collection im Vergleich zu diversen öffentlichen Sammlungen sei, dass sie sich rein aus dem spontanen und vor allem persönlichen Befinden von Reinhold Würth zusammensetzt. Es ging nie um bestimmte „must-haves“.
Vom Sammler zum Freund
„Wenn Sie ein Museum besuchen, dann schauen Sie sich um, machen sich ein Bild, nehmen die Kunstwerke in ihrer Gesamtheit auf, und je nachdem, um welches Thema es sich handelt, gehen Sie erfreut oder nachdenklich oder dankbar oder vielleicht auch traurig oder ärgerlich aus einer Kunstausstellung heraus. In jedem Fall werden Ihre Emotionen in einem Museum beeinflusst und verändert.“ Die Dankbarkeit, von der Würth erzählt, schöpft sich auch aus den teils tiefen Freundschaften, die der Geschäftsmann mit zahlreichen der Kunstschaffenden verband. Sei das der Bildhauer-Meister Alfred Hrdlicka oder Maler Georg Baselitz: Hinter der Leidenschaft für die Kunst stand immer auch eine tiefe Verbundenheit zu den Menschen selbst. Und das ist, was in „Amazing“ sichtbar wird: eine Vertrautheit mit den Themen, die hinter den einzelnen Kunstwerken steht. Würth hatte ein besonderes Gespür für den gegenwärtigen Zeitgeist. So entstand etwa eine lebenslange Freundschaft mit dem Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude, die er besonders für ihre Fähigkeit bewunderte „(…) eine utopische Idee mit Überzeugung und Verve in die Realität umzusetzen“. Nicht ohne Grund meinte Christo selbst, dass Würth mit 100 Exponaten die größte Sammlung des Künstlerduos besäße.
Inhaltlich erzählt „Amazing“ eine Geschichte vom Beginn der Moderne. Sie beginnt mit Max Liebermann,Wegweiser des Impressionismus, und geht dann nahtlos mit Beginn des 20. Jahrhunderts in den Expressionismus über. Zwei Säle sind explizit Max Beckmann und Pablo Picasso gewidmet, die beide durch ihren sehr individuellen Stil der aufkommenden Gegenstandslosigkeit etwas entgegensetzten. Hans Arp als Mitbegründer des Dadaismus legt dann im Weiteren den Boden für die „surrealistische Welterfahrung“ und andere „konstruktivistische Abstraktionstendenzen“. Zwischen Max Ernst und René Magritte taucht die Ausstellung schließlich ganz in die mysteriösen Traumwelten des Surrealismus ein. Der Bruch hin zur zeitgenössischen Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts beginnt mit der Wende zur Abstraktion als Lösung vom Gegenständlichen. Letzten Endes findet sich eine Auswahl einiger besonders geschätzter Kunstschaffender des deutschen Sammlers. Neben dem schon erwähnten Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude, sind das außerdem etwa Per Kirkeby, Gerhard Richter oder Ferdinand Botero.
Ein besonderer Schwerpunkt der Würth Collection besteht in der umfangreichsten Sammlung österreichischer Kunst außerhalb Österreichs. Aus den rund 1.300 Werken zeigt „Amazing“ eine Auswahl, die die wichtigsten Vertreterinnen und Vertreter nach 1945 aufweist. Neben der „ersten Generation“, wie Maria Lassnig, Arnulf Rainer oder Hermann Nitsch, wird auch die Zeit der „jungen Wilden“ von Erwin Bohatsch bis Gunter Damisch ausgestellt. Aber auch Bildhauer wie Alfred Hrdlicka und Fritz Wotruba bekommen eine Bühne. Zum Abschluss widmet die Ausstellung drei Künstlern einen Raum, die wesentlich den kontemporären Zeitgeist mittragen: Markus Lüpertz, Georg Baselitz und Anselm Kiefer. „Aus Wien reisten wir stets bereichert und inspiriert nach Hause“, so Reinhold Würth. Wer nach hundert Jahren Kunstgeschichte also nicht einigermaßen gesättigt aus dem Leopold Museum heraus stolpert, der dürfte zumindest hinreichend „amazed“ sein.
AMAZING: THE WÜRTH COLLECTION
Leopold Museum – Privatstiftung
bis 10. September 2023
www.leopoldmuseum.org