Die Ledermanufaktur R. Horns gehört längst zu den renommiertesten Wiens. Im 1. Bezirk betreibt man drei Filialen, die Kundschaft schätzt seit mehr als drei Jahrzehnten die Zeitlosigkeit der Entwürfe, die hohe Qualität und die lokale Produktion. Gründer Robert Horn begann vor rund vierzig Jahren eigentlich als Schuhproduzent, bevor er sich auf Ledertaschen, Accessoires und Sonderanfertigungen konzentrierte. Im Gespräch erzählen Robert Horn und sein Sohn Julian, die das Unternehmen gemeinsam führen, von Ursprüngen, Inspirationen und außergewöhnlichen Kundenwünschen.
Herr Horn, wie wurde aus Ihnen einer der renommiertesten österreichischen Erzeuger von Lederwaren? Wie fing alles an?
Robert Horn: Das frage ich mich auch. Antwort vorbei. (Lacht.) Im Ernst: Ich habe schon mit 14 Jahren die eleganten Maßschuhe meines Vaters bewundert und war beglückt, als er zu mir sagte: „Wenn deine Füße nicht mehr wachsen, bekommst du auch ein paar solche Schuhe.“ Das hat mir gefallen, denn ich habe mich damals schon – nach Vorbild meines Vaters – wie ein Erwachsener gekleidet. Ich war nicht ganz dünn, und der Fußballplatz war ohnehin nichts für mich. Das schöne, hügelige Scotchgrainleder, das beim Schuster verarbeitet wurde, habe ich schließlich auch für meine erste Schuh- Kollektion verwendet. Die Eindrücke beim Schuster waren also die erste Prägung hin zur Welt des Leders. Eine zweite Sache, an die sich heute kaum noch jemand erinnert, waren Auslagendekorationen vornehmer Herrenschneider der Innenstadt: Dort waren auf den englischen Stoffen exakte Miniaturkopien eleganter Herrenschuhe drapiert, nicht größer als etwa acht Zentimeter, die wie Spielzeuge wirkten. In Wirklichkeit waren es „Meisterstücke“, die die Schuster während ihrer Ausbildung fertigen mussten – wie Maßschuhe, aber sehr klein. Die kommen noch einmal in meine Gasse, habe ich mir gedacht.
Julian Horn: Das war deine Kindheit, aber wie ging es dann weiter?
Robert Horn: Zweite Phase: Es gab einen Schuhmacher bei Baden, der wunderschöne Maßschuhe für 2800 Schilling angefertigt hat. Ich konnte ihn oft stundenlang bei der Arbeit beobachten. Zur selben Zeit besprach ich mit einem engen Freund, wie meine weitere berufliche Zukunft aussehen könnte und sagte: „Beruflich kann man doch nur etwas machen, wovon man wirklich was versteht.“ Allerdings hätte ich selbst keine Ahnung, was meine Fähigkeiten wären. Worauf mein Freund wie aus der Pistole geschossen antwortete: „Das ist aber leicht. Ich kenne niemanden, der von schönen Maßschuhen mehr versteht als du.“ Der Mann hat eigentlich Recht, dachte ich. Ich begann dann also mit Schuhen, was sich allerdings als kompliziertes Geschäft herausstellte. Man musste unter anderem große und kostspielige Lager halten. Also wurde das Schuhprojekt fallen gelassen. Dann wurde klar: Nehmen wir einfach dieses schöne Scotchgrain-Schuhleder und machen zwei Brieftaschen, ein kleines Kartenetui, eine sportliche Damenhandtasche und eine Aktentasche daraus. Aus diesem geprägten Leder sah das alles sehr überzeugend aus, in den schönen Farben Rot, Cognac und Schwarz. Mittlerweile sind noch 15 Farben dazugekommen. Und so bin ich bis heute im Geschäft.
Ihre Entwürfe orientieren sich an der Ästhetik der Wiener Avantgarde an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Man denkt an Otto Wagner, Adolf Loos oder die Wiener Werkstätte. Fasziniert Sie hier primär das Zusammenspiel von Form und Funktion?
Robert Horn: Diese Ästhetik hat mich schon mit 14 fasziniert. Da gab es in der Secession die erste Ausstellung, die sich mit dem Wien der Jahrhundertwende beschäftigte. Den Katalog habe ich heute noch. Man erkannte damals, dass Wien ein Labor der Moderne war. Zuvor war es die niedliche Stadt der Walzermusik. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde durch die Errungenschaften der Geisteswelt, durch Debatten im Kaffeehaus, die alte Ordnung gesprengt. Wien war damals die fünftgrößte Stadt der Welt, das darf man nicht vergessen.
Adolf Loos war in Wien damals ja nicht unbedingt populär …
Robert Horn: Natürlich nicht. Am Michaelerplatz gibt es bis heute den Kanaldeckel, der dem Looshaus gleicht: das Haus ohne Wimpern. Für den Kaiser hat man dann noch Blumenkästen angebracht. Die Überladenheit des Historismus kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, alles war falsch. Im Salon hatte man Pfauenfedern, die Fenster waren mit Vorhängen zugedeckt. Nichts sah nach seinem eigentlichen Wesen aus. Ein Aschenbecher war noch als irgendetwas anderes verkleidet. Eine Inszenierung von Fakeness. Und das Gegenstück dazu war eben – nix. Alles soll so aussehen, wie es wirklich ist. Ein Reindl soll aussehen wie ein Reindl. Heute erscheinen die Altbauten schön im Vergleich zu den Neubauten, wie aus einem Märchen. Warum Neubauten so hässlich sein müssen, konnte mir niemand erklären. Das ist auch nicht das Wahre. Die Wahrheit liegt also irgendwo in der Mitte.
Julian Horn: Umgelegt auf unsere Produkte bedeutet das, dass wir auch auf Reduktion, Schlichtheit, auf das Wesentliche setzen.
Robert Horn: Es gibt bei uns keine Verzierungen, lediglich die an den Taschen angebrachten Schlösser bringen eine Abwechslung.
Gesellt sich zur zeitlosen Eleganz und zum Minimalismus auch noch so etwas wie Retrocharme dazu? Die Stile der Vergangenheit scheinen in der Modebranche schon seit einer kleinen Ewigkeit beliebter zu sein als die Gegenwart.
Julian Horn: Jedes Jahrzehnt kommt wieder in Mode und die Trends kommen immer schneller wieder, aber da sehen wir uns außerhalb davon. Zeitlosigkeit ist das Motto. Unsere Taschen sind nie modern, aber auch nie aus der Mode. Wir laufen nicht jedes halbe Jahr dem Trend nach. Die Formen sind schlicht, die Farben sorgen dann für die Akzente.
Ihr Angebot ist vielfältig, reicht von Hand- und Aktentaschen über Geldbörsen bis zu Reiseaccessoires. Wie kommen Sie konkret auf Ideen zu ihren Produkten?
Julian Horn: Wir setzen uns im Atelier zusammen und grübeln. Außerdem beobachten wir natürlich auch die Konkurrenz, wir studieren die Entwürfe der führenden Häuser aus Italien, Frankreich und den USA. Wir versuchen das Praktische und Schöne in unseren Produkten zu verbinden. Wir haben beispielsweise eine Tasche für 7″ Single-Schallplatten entworfen. In dem Fall war ich der Designer. Das lag nahe, da ich als DJ arbeite, Schallplatten sammle und außerdem mit Freunden das Label Edition Hawara betreibe. Wenn man eine rare Schallplatte ergattert, die etwas mehr kostet, muss man sie nicht in eine Plastiktasche geben – der Aufbewahrungsort ist dann genauso edel wie der Inhalt.
Robert Horn: Oft kommt der Input für unsere Produkte aber auch von außen.
Julian Horn: Im Rahmen der Wien Products Collection (eine Initiative der Wirtschaftskammer, Anm.) werden Wiener Unternehmen dazu animiert, mit jungen Designern zusammenzuarbeiten. Dort haben wir beispielsweise mit einem Fotografen eine Fototasche entwickelt, die an die Bedürfnisse des modernen Fotografen angepasst sind. Da muss beispielsweise auch ein Laptop reinpassen. Man kann quasi das Studio mit sich herumtragen.
Die Kunden dürfen Sie also auch mit Wünschen nerven?
Julian Horn: Genau. Das sind dann oft unsere besten Produktentwickler, die eine ganz konkrete Idee haben.
Robert Horn: Da geht es fast um eine Art Besessenheit. Nehmen wir zum Beispiel die Schlüsseltaschen: Leute, die sich eine Schlüsseltasche als Sonderanfertigung machen lassen, nehmen oft die doppelten Kosten in Kauf. Da kann alles Mögliche gewünscht werden, inklusive Geheimfach. Das sind Kunden mit genauen Vorstellungen. Sie zeichnen uns das alles auf und sagen: „Machen’s des, wurscht was es kostet.“
Julian Horn: Bei Brieftaschen ist es ähnlich. Da gibt es Leute, die sich ihr Leben lang nicht umgewöhnen wollen. Es muss genauso sein wie immer.
Sie verwenden großteils Nubuk- bzw. Kalbsleder, das Sie aus Italien beziehen.
Robert Horn: Ja, die Gerberei ist in Italien. Mit denen arbeiten wir seit Jahrzehnten. Auch alle Metallelemente wie Schlösser und Ringe kommen aus Italien. Die Fabrik, die in einem engen Gebirgstal steht, gibt es schon seit der Monarchie. Die haben in ihrem Empfangsraum eine Galerie mit ihren Erzeugnissen aufgebaut – Karabiner, Nieten, aber auch einen Kleinwagen, den sie in den vierziger Jahren gebaut haben. Die machen also alles aus Metall.
Wie würden Sie Laien die Vorzüge dieser Lederarten umreißen?
Robert Horn: Kalb ist das Leder, das ewig und drei Jahre hält – so wie unsere alten Schultaschen. Dazu kommt die Nachhaltigkeit. Schon ein Legionär im alten Rom kam zwanzig Jahre mit einem Paar Ledersandalen aus. Die Rinder werden ja für das Fleisch gezüchtet und geschlachtet – die Haut ist sozusagen ein Abfallprodukt. Dieses wird natürlich verkauft, aber es werden keine Rinder nur für das Leder gezüchtet. Nie. Wenn kein Fleisch gegessen würde, gäbe es kein Leder. Europäisches Fleckvieh ist gut gepflegt. Häute aus anderen Ländern haben oft Löcher und Risse, weil es dort viele Dornen, Insekten und Stacheldraht gibt.
Was halten Sie von veganem Leder?
Robert Horn: Das ist vom Wortbegriff her schon ein Widerspruch, so wie fleischloses Fleisch, das eben kein Fleisch ist. Die Tiere begleiten uns Menschen seit Ewigkeiten. Gerben ist eine uralte Zivilisationstechnik. Schon die Jäger und Sammler mussten die Tierhäute nach der Jagd konservieren. Das ist der Beginn der Gerberei. Vor circa 20 Jahren haben die Gerbereien auf Grund der strengen Vorschriften auf umweltverträgliche Prozesse umgestellt. Um aber künstliches Leder zu produzieren, bedarf es eines enormen Energie- und Rohstoffaufwands.
Julian Horn: Es schaut fast so gut aus wie echtes Leder, hält aber bei weitem nicht so lange.
Robert Horn: Oder dieses Alcantara-Leder, falls Sie sich noch erinnern. Die zahlen dafür ein Vermögen – beispielsweise wenn die Freundin eines berühmten Rappers sagt: „Ich möchte nicht auf einem toten Tier sitzen, ich nicht.“ Dafür gibt es also Materialien wie Alcantara. Das ist eine Ersatzhandlung. Jeder normale Mensch in der industrialisierten Welt denkt sich doch mindestens einmal in der Woche: „Wie kann das sein, dass wir im Supermarkt aus 27 Käsesorten wählen können, während woanders Kinder verhungern?“ Da entsteht ein schlechtes Gewissen, das man beispielsweise mit veganem Leder beruhigen kann.
Nehmen wir als Beispiel eine Aktentasche: Wie lange dauert es, bis diese fertig ist? Wie viele Arbeitsschritte sind nötig?
Robert Horn: Sie müssen sich vorstellen, diese Aktentasche besteht aus vielen einzelnen Lederteilen – unter anderem Hauptteil, Rückseite, Klappe, Boden, Seitenfalten, Pratzerl … –, zahlreichen Futterteilen aus unserem Seidenmoiré, Einlagen in verschiedenen Stärken, sowie Aufbügelstoffen und diversen Metallteilen. Zuerst müssen die Häute gründlich qualitätskontrolliert werden, um auch kleinste Fehler im Leder zu entdecken. Unbrauchbare Teile werden weggeschnitten. Im nächsten Schritt werden alle Schablonen bzw. Schnittmuster des jeweiligen Taschenmodells auf das verbleibende Leder gelegt und zugeschnitten. Dann werden die Zuschnitte geschärft, also an den Rändern von 16 Millimeter auf zwei Millimeter reduziert. In der Folge werden einzelne Komponenten mit Einlagen verstärkt. Jetzt kann man beginnen, alle Komponenten zusammenzubauen, zuerst zu kleben und danach zu vernähen. So entsteht schrittweise der dreidimensionale Körper. Besonders beanspruchte Stellen werden mit einer Riegelnaht aus Spezialzwirn von Hand verstärkt. Zuletzt wird das Schloss montiert und die Tasche mit unserem Logo geprägt. Insgesamt kommen wir so auf mindestens 70 einzelne Arbeitsschritte.
Sie haben mittlerweile gleich drei Geschäfte im noblen 1. Bezirk. Spricht das für einen Mix aus betuchter Kundschaft und Touristen?
Robert Horn: Touristen weniger, weil uns der Großteil nicht kennt. Es gibt aber ein Segment deutscher Gäste, und auch Stamm-kunden aus der ganzen Welt, die eine Affinität für unser klassisches Sortiment haben. Unsere Wiener Stammkunden halten uns seit über 30 Jahren die Treue, mitunter bereits in dritter Generation.
Was halten Sie generell von Marken wie Gucci oder Louis Vuitton?
Robert Horn: Naja, wenn jemand mit zerrissener Hose herumläuft, ist das eine Frechheit gegenüber den Menschen, die aufgrund ihrer Armut in zerrissenem Gewand gehen müssen, aber sonst habe ich nichts dagegen.
Julian Horn: Jeder hat seine Statussymbole. Die einen haben ein tolles Auto, die anderen eine Uhr.
Robert Horn: Einmal war ein Freund, der bekannte österreichische Komponist Peter Wolf, mit seiner amerikanischen Freundin bei uns. Er wollte ihr eine Tasche schenken. Sie sagte: „I don’t want that. I want something more specific.“ Sie wollte etwas, das ihre Freundinnen drüben gleich erkennen. Daraufhin ist er mit ihr vermutlich zum Louis-Vuitton-Outlet gegangen. Das war das. Wichtig ist auch, dass wir Reparaturarbeiten anbieten – Kunden können noch nach Jahren mit ihren Taschen zu uns kommen. Bei den großen Häusern ist das ein wenig anders. Dort kann die Reparatur bis zu zwei Jahre dauern.
Gab es besonders außergewöhnliche Entwürfe?
Julian Horn: Wir hatten beispielsweise einen Dirigenten aus Budapest, der aus einer alten k.u.k.-Familie stammt. Er hat sich für seine Dirigentenstäbe schöne Lederetuis machen lassen.
Lokale Unternehmen haben es in Zeiten der Großkonzerne und billiger Online-Angebote nicht immer leicht. Wie haben Sie sich auf die Digitalisierung eingestellt?
Julian Horn: Das Internetgeschäft läuft sehr gut und wird stetig mehr. Es gibt Stammkunden in aller Welt, Deutschland, Schweiz, USA, ein paar aus Japan. Ich sage immer „The sky is the limit.“ Die ganze Welt ist der potenzielle Markt. Andererseits ist unser Geschäft über das Internet auch nicht ganz einfach, da man unsere Produkte einmal in der Hand gehabt haben muss. Wenn man das noch gar nicht kennt, zögert man, gleich einmal tausend Euro für eine Tasche auszugeben.
Robert Horn: Wir versenden manchmal auch Muster unseres Leders, damit die Leute es in die Hand nehmen können.
Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit von Vater und Sohn konkret?
Robert Horn: Ich habe es gut, aber eigentlich muss man das ihn fragen.
Julian Horn: Es kann spannend und lustig sein. Wenn es aber einen Konflikt gibt, dann ist der nochmal anders, als bei einer normalen Firma. Dann kann es auch mal schwierig sein. Meistens macht das aber die Arbeit umso spannender.
Sie setzen auf ein kleines Team?
Robert Horn: Ja, zwölf Leute haben wir. Wenn Sie viel bestellen, müssen Sie lange warten. Lokal produzierende Betriebe gibt es heute nicht mehr, da die Großunternehmen die Produktion in Billiglohnländer verlegt haben. Früher gab es Wiener Betriebe, die hatten bis zu 200 Näherinnen oder mehr. Unser Meister war in so einem Betrieb Vormeister, saß da oben als Aufsicht in einem Saal mit hunderten Frauen und passte auf. Heute sitzt er unten und macht es selbst.
Können Sie eigentlich selbst nähen?
Robert Horn: An der Nähmaschine? Nein, Hände weg. Das hat man mir schon als Kind gesagt, dass man da nicht mit den Fingern hinkommen darf. (Lacht.)