Was wäre das Science-Fiction-Genre ohne stromlinienförmige Fahrzeuge, die am besten auch noch vom Boden abheben und sprechen können? Gewiss, fliegende Autos wie in Ridley Scotts Blade Runner (1982) oder Robert Zemeckis’ Back to the Future-Trilogie (1985-1990) lassen beharrlich auf sich warten und künstliche Intelligenz á la K.I.T.T. aus der Fernsehserie Knight Rider (1982-1986) steckt ebenfalls noch in den Kinderschuhen. Doch längst sorgen nicht mehr alle Aspekte, die einst märchenhaft erschienen, für Verblüffung – der Mensch gewöhnt sich eben wahnsinnig schnell an die Zukunft. So stecken in einem Großteil heutiger Autos längst Computer, smarte Applikationen sprechen mit dem Fahrer, Kameras, Bildschirme und Touchscreens sorgen für visuelle Unterstützung des Fahrerlebnisses. Neuartige Materialien machen die Fahrzeuge leichter, aber auch sicherer und das selbstfahrende Auto scheint bloß noch eine Frage der Zeit zu sein.
Autopilot
Nachdem der Internetriese Google 2011 mit dem Beginn der Entwicklung des Google Driverless Car die Richtung vorgegeben hatte, stürzten sich auch Premiumhersteller auf das Segment „Autonomes Fahren“. Noch sind Wagen mit Autopilot im Entwicklungsstadium, doch haben die großen Autohäuser technisch bereits einiges weitergebracht. In den vergangenen vier Jahren hatte die Menschheit also, vorbereitet durch zahlreiche Medienberichte, genügend Zeit, sich auf das Kommende einzustellen. Gewiss, es ist davon auszugehen, dass zumindest die erste Fahrt in solch einem Auto ein aufregendes Gefühl sein wird, doch braucht es wohl ganz besondere Fahrzeuge, um für so etwas wie einen längerfristigen „Wow“-Faktor zu sorgen. Schließlich wäre es ja schlimm, wenn die Zukunft zur Routine verkommt. Mercedes beispielsweise sorgte diesen Jänner bei der Consumer Electronics Show in Las Vegas mit dem Forschungsfahrzeug F 015 Luxury in Motion für Furore, wozu nicht zuletzt das äußere Erscheinungsbild – ein stromlinienförmiger, kapselartiger „Silberpfeil“ mit niedriger Front und flacher Frontscheibe – beitrug. An Front und Heck des Wagens, der durchaus Vergleiche mit Apples Unibody-Computern zulässt, finden sich LED-Leuchtmodule, die einerseits diverse Leuchtfunktionen darstellen und andererseits mit der Außenwelt kommunizieren können. So zeigt etwa blaues Licht an, dass das Fahrzeug im autonomen Modus unterwegs ist, während weißes Licht den Fahrmodus signalisiert. Kommunikation wird auch im Interieur großgeschrieben, wozu sechs rundum installierte, hochauflösende Displays beitragen. Mit ihrer Hilfe können Passagiere intuitiv über Gesten, Eye-Tracking oder Berührung mit dem vernetzten Fahrzeug interagieren. Ein Novum ist die Bestuhlung, die den Modus des autonomen Fahrens reflektiert: Ein variables Sitz-System mit vier drehbaren Lounge-Chairs macht eine Vis-á-Vis-Konstellation der Sitze möglich – eine deutliche Abkehr vom Lenkrad. Während das Auto also selbsttätig das Fahrziel ansteuert, hat man im Inneren Zeit für Entspannung, Arbeit oder Gespräche. Außerdem verspricht der Wagen durch seine Bauweise auch große Sicherheit: Eine „Smart Body Structure“ aus carbonfaserverstärktem Kunststoff, Aluminium und Stahl sorgt für eine im Vergleich zu heutigen Serienfahrzeugen um 40 Prozent leichtere, dabei hochstabile Karosserie. Ein Elektroantrieb mit Brennstoffzelle kann aufprallgeschützt integriert werden und unter den Seitenfenstern befinden sich crashaktive Bordkanten; bei einem seitlichen Aufprall „pumpen“ sich diese Karosserieelemente auf und absorbieren die Aufprallenergie. Übrigens gestaltet sich bereits das Einsteigen als überaus komfortabel, wozu Türöffnungswinkel von 90 Grad und sich gegenläufig öffnende Türen beitragen. Mercedes setzt sich auch eine konkrete Jahreszahl als Ziel – bis 2030 soll das System Standard sein. Der Grund: In diesem Jahr wird es laut Studien bereits 40 Megacities mit mehr als 10 Millionen Einwohnern geben. „Das begehrteste Luxusgut im 21. Jahrhundert werden privater Raum und Zeit sein“, so Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG. Apropos Luxus: Dass der Wagen seinen Preis haben wird, kann als gesichert gelten.
Doch stellt sich auch die Frage, welchen Stellenwert Autobesitz in der Zukunft noch haben wird – wenn man sich gemütlich von einem selbstfahrenden Auto vor der Haustür abholen lassen kann, könnten Mietmodelle zu einer monatlichen Flatrate ausreichen. Wie luxuriös es dann sein soll, liegt letztlich am Kunden. Was bis dahin jedenfalls noch geklärt werden muss, sind rechtliche Aspekte: Wer haftet im Fall eines Unfalls, wenn der Fahrer aus der Gleichung genommen wurde? Und auch sicherheitstechnisch wird man Systeme entwickeln müssen, die Hackerangriffen standhalten, schließlich will ja niemand samt Auto entführt werden. Doch wird es wohl daran nicht scheitern, denn schon immer wurde technischer Fortschritt von neuen Gesetzen und Anpassungen im Bereich der Sicherheit begleitet. Alle großen Hersteller von Audi bis Tesla experimentieren mit autonomem Fahren – Einparkhilfen sind ja schon teilweise verbreitet –, doch mindestens ebenso intensiv wird im Bereich des Materials geforscht. Als besonders umtriebig erweist sich hier BMW.
Neue Leichtigkeit
Mit dem i8 (siehe FAQ 28) haben die Bayern ja bereits ein futuristisches Konzeptfahrzeug auf den Markt gebracht, dessen aus thermoplastischen Kunststoffen gefertigte Außenhaut nur halb so schwer ist wie gewöhnliches Stahlblech. Doch nicht immer zielen Studien auf eine unmittelbare Veröffentlichung ab, vielmehr finden Designer hier Freiraum zum Experimentieren. Und Experimente können im Idealfall zu unerwarteten Ergebnissen und brauchbaren Erkenntnissen für die Praxis führen – „Der Umweg bringt Gewinn“, könnte man hier die amerikanische Dichterin Emily Dickinson zitieren. 2008 etwa stellte BMW das Konzeptfahrzeug Gina Light Vision vor, bei dem die Außenhaut aus flexiblem Gewebe bestand. Naturgemäß zog die Studie, die seitlich der Türscharniere keine Fugen aufweist, viele neugierige Blicke auf sich. Das Modell ging zwar nicht in Serie, doch mag es dazu beigetragen haben, die Aufmerksamkeit des Konzerns verstärkt auf leichte Bauweisen zu lenken. Jene des 3.0 CSL Hommage beispielsweise, ein im Mai vorgestelltes Konzeptauto, in dem sich Vergangenheit und Zukunft treffen. Der Wagen erweist einer Coupé-Ikone der siebziger Jahre, dem 3.0 CSL, Reverenz, wurde allerdings mit neuester Technik produziert. Sorgten beim ursprünglichen Modell Elemente wie Aluminium und Plexiglasscheiben für Leichtigkeit, ist es heute Carbon. Die Hommage ist dabei als gelungen einzustufen: Mit Luftleitelementen, Dach- und Heckspoilern und ausgeprägten Radhäusern steht der muskulöse Neue dem Alten nicht an Schnittigkeit nach. Auch wenn der Wagen wohl eher nicht als Serienmodell veröffentlicht werden wird, leistet er gute Dienste für das Image des Unternehmens: Bei der legendären Oldtimerveranstaltung Concorso d’Eleganza Villa d’Este am Comer See sorgte der Hommage für einiges Aufsehen und legte so eindrucksvoll Zeugnis von der Kreativität des BMW-Designteams ab. Ebenfalls in Leichtbauweise kommt die letztes Jahr präsentierte Studie Vision Future Luxury (siehe FAQ 28) daher; wie beim Luxury in Motion vom Konkurrenten Mercedes gibt es auch hier sich gegenläufig öffnende Türen sowie jede Menge Luxus und Technik im Inneren, darunter digitale Displays und Funktionen, die sich per Sprachbefehl aktivieren lassen. Wann und mit welchen Modifikationen diese potenzielle Konkurrenz zu High-End-Marken wie Rolls Royce auf den Markt kommen wird, ist noch unklar, doch eine andere Studie wird voraussichtlich 2018 in Serie gehen: Der BMW Mini Superleggera Roadster, ein Mix aus britischem Charakter und italienischem Design. Hier wurde eine Verschlankung der über die Jahre etwas in die Breite gegangenen Kultmarke vorgenommen – dieser elektrisch betriebene Mini kommt als bildhübsches Cabrio mit handgefertigten Blechen daher, das in seinem Design passenderweise an die sechziger Jahre erinnert. So erscheint der Superleggera als eindrucksvolle Verkörperung des u.a. Mies van der Rohe zugeschriebenen Oxymorons „Weniger ist mehr“. Zu genauen technischen Details (in denen ja, um nochmals auf van der Rohe zu verweisen, der Teufel steckt) hält man sich bei BMW noch bedeckt, doch bei dieser Kombination aus Minimalismus und Verspieltheit – die Heckleuchten etwa erscheinen als zweigeteilter Union Jack – könnte es sich tatsächlich um ein neues Kultauto handeln.
Under the Skin
Ebenfalls neue Wege geht VW mit dem am Genfer Autosalon vorgestellten Coupé Concept GTE, dessen Design sich progressiv und dynamisch gestaltet. Oberhalb des Volkswagen CC positioniert, punktet der Viertürer mit viel Innenraumlänge und einem Plug-In-Hybridantrieb mit einer Systemleistung von ziemlich ordentlichen 380 PS. An High-Tech im Innenraum beeindrucken vor allem das Active Info Display mit brillanter dreidimensionaler Grafik sowie das Navigationssystem, das auf Wunsch die biometrischen Daten des Fahrers in die Berechnung der Routenvorschläge miteinbezieht. Hier gibt es also erste Anzeichen für eine Verschmelzung von Mensch und Maschine. Über eine Smartwatch oder ein Armband zur Messung der Vitalfunktionen registriert das Coupé, ob eher eine kurvenreiche oder eine ruhige Strecke gewählt werden soll. Doch handelt es sich hier nicht um Zwang, sondern nur um eine frei wählbare Option, wie man bei VW betont. Ein Auto, das sozusagen unter die Haut geht. Organisch wirkt das kokonartige Innere des GTE: Die mit horizontalen Elementen gestaltete Schalttafel geht seitlich in die vorderen Türverkleidungen über, die ihrerseits eine Entsprechung in der Materialauswahl der hinteren Türen findet. Äußerlich gehen Motorhaube und Seitenlinie ineinander über, die trapezförmigen LED-Leuchten sind wie die Scheinwerfer in 3D-Optik ausgeführt.
Quantensprung?
Richtig Science-Fiction ist schließlich ein Auto, das in Studienform seit rund einem Jahr für Aufsehen sorgt: Erstmals 2014 beim Autosalon in Genf präsentiert und 2015 komplett überarbeitet, verspricht der von der in Liechtenstein ansässigen Firma Nanoflowcell AG produzierte Sportwagen mittels „Flusszellenantrieb“ extreme Umweltfreundlichkeit: Im Gegensatz zu herkömmlichen Brennstoffzellen, die mit Wasserstoff und Sauerstoff operieren, wird der Quant F mit zwei ionischen, nicht brennbaren und toxikologisch unbedenklichen Flüssigkeiten – eine positiv, eine negativ geladen – angetrieben. Damit nicht genug, soll der Wagen mit einer Leistung von rund 801 kW (1090 PS) bis zu 300 km/h schnell sein und über eine Reichweite von 800 Kilometern verfügen. Klingt absolut traumhaft, doch die Glaubwürdigkeit des gebürtigen Schweizers Nunzio La Vecchia, der hinter Nanoflowcell steckt, wurde zuletzt von Medien wie dem „Handelsblatt“ unter Berufung auf wissenschaftliche Kreise stark angezweifelt. Die Technik sei noch bei weitem nicht ausgereift genug für derartige Traumwerte, zitiert die Zeitung sinngemäß das Fraunhofer Institut. Darüber hinaus durfte der Wagen, der auch in einer kleineren Variante namens Quantino erhältlich sein soll, bisher von niemandem getestet werden. Ob sich das Auto als straßentauglich erweist, wird also die Zukunft zeigen. Falls ja, dann würde mit dem Quant F wohl etwas gelingen, dass sich zuletzt als außerordentlich schwer erwiesen hat: Die Menschheit mit einer schönen Zukunftsvision zu verblüffen.