Pop Art: Ist die Kunstrichtung, die in den späten fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts in Großbritannien und den USA aufkam, Kritik an der modernen Konsumwelt oder deren Verherrlichung? Die Kunsttheorie war sich diesbezüglich nie ganz einig; größerer Konsens bestand jedenfalls schon eher darin, dass Pop-Art-Werke überaus dekorativ waren – und dies bis heute sind, wie Blicke in Privatwohnungen, Galerien und Ramschläden gleichermaßen beweisen. Neben Pop-Art-Superstar Andy Warhol und Wegbereitern wie Robert Rauschenberg und Jasper Johns (die stilistisch nicht auf eine Gattung festlegbar sind) ist sicherlich Roy Lichtenstein (1923–1997) der bekannteste Pop-Art-Vertreter – Nachdrucke und Poster-Versionen seiner Comic-Gemälde verkauften sich massenhaft. Zum 100. Geburtstag widmet ihm die Albertina nun eine umfassende Retrospektive mit über 90 Gemälden, Skulpturen und Grafiken; brachte das Museum im Jahr 2011 noch eine Ausstellung mit Lichtensteins Schwarz-Weiß-Gemälden und Zeichnungen, stehen nun also tatsächlich die ganz bekannten Arbeiten im Mittelpunkt.
Die in enger Zusammenarbeit mit der Roy Lichtenstein Foundation konzipierte Schau steht unter der Schirmherrschaft von Lichtensteins Witwe Dorothy Lichtenstein. Die Albertina darf sich dabei nicht nur über eine umfassende Unterstützung der Ausstellung an sich freuen, sondern auch über die Schenkung von rund 120 Skulpturen, Tapisserien, Modellen und Arbeiten auf Papier. Eine schöne Geste, die das Haus am Albertinaplatz gemeinsam mit dem Whitney Museum of American Art und dem Nasher Sculpture Center in Dallas zu einer der größten Lichtenstein-Kollektionen weltweit macht. Dass die Centennial-Ausstellung so umfangreich ausfallen kann, wurde auch durch Leihgaben von 30 Museen (darunter das New Yorker MoMA, die Washingtoner National Gallery oder das Kölner Museum Ludwig) ermöglicht – hochkarätiger geht es also kaum.
Die Ausstellung umfasst frühe Pop-Gemälde, in denen Lichtenstein im Comicstil u. a. die von Hollywood geprägten Bilder von Blondinen und Romanzen aufgreift, widmet sich aber auch der Wiederbelebung der Gattung des Stilllebens (die sich dem wirtschaftlichen Boom der prosperierenden Nachkriegszeit verdanke, so Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder im empfehlenswerten Katalog zur Ausstellung) sowie Landschafts- und Interieurdarstellungen der siebziger, achtziger und neunziger Jahre. Ebenfalls vertreten sind Lichtenstein’sche Skulpturen.
Dollars und Donald
Der gebürtige New Yorker Roy Lichtenstein studierte zunächst an der Ohio State University und machte dort auf Wunsch seiner Eltern ein Lehrdiplom. Nachdem er von 1943 bis 1945 Kriegsdienst in Europa abgeleistet hatte, schloss er sein Studium ab und unterrichtete bis 1951. Es folgten Künstlerjahre, die ihm allerdings trotz einiger Ausstellungen kaum kommerziellen Erfolg brachten. Diese frühen Jahre waren von einer Stilvielfalt geprägt, die von einem Bedürfnis zeugen, sich auszuprobieren und eine eigene Stimme zu finden: In dieser Phase lassen sich Einflüsse von Expressionismus, Kubismus, aber auch den Action Paintings eines Jackson Pollock finden, neben grafischen Arbeiten entstanden Skulpturen aus Holz und Metall. In den späten fünfziger Jahren lassen sich bereits Spurenelemente der späteren Pop Art erkennen, etwa in einer Lithografie, die sich auf abstrahierende Weise einem Zehn-dollarschein widmete.
Durch Bekanntschaften mit Künstlern wie Allan Kaprow verstärkte sich bei Lichtenstein schließlich der Impuls, Kunst mit Alltagsgegenständen zu verbinden. Zunächst widmete er sich Kaugummibildern, die er großformatig produzierte, und von hier aus war es nicht mehr weit bis zum Comic, einem Medium, in dem sich Entertainment, Kunst und Massenproduktion vereinten. Der Durchbruch gelang 1961 mit „Look Mickey“, in dem die Disney-Figuren Mickey Mouse und Donald Duck auf einem Bootssteg nebeneinander stehen (dieser Pop-Art-Meilenstein ist auch in der Ausstellung zu sehen). Donalds Angel hat sich dabei in seiner Weste verfangen, und im Glauben, einen großen Fisch gefangen zu haben, sagt er zu Mickey, der sich das laute Loslachen nur mit Mühe verkneifen kann: „Look Mickey, I’ve hooked a big one!!“ Der einflussreiche New Yorker Galerist Leo Castelli stellte Lichtensteins Comic-Gemälde, das bereits in den ikonischen Lichtenstein-Farben Blau, Gelb und Rot gehalten war, in seiner Galerie aus, was zu enormem Interesse an den Arbeiten führte (kurze Zeit später bot Andy Warhol Castelli übrigens ebenfalls Bilder im Comicstil an, die der Galerist jedoch ablehnte – zu ähnlich waren sie Lichtensteins Arbeiten).
Die Zahl an Ausstellungen stieg innerhalb kurzer Zeit rasant an, was zur Folge hatte, dass Lichtenstein von nun an von seiner Kunst leben konnte – und großen Einfluss auf die Kunstwelt ausübte: „Lichtensteins Bilder haben mit ihrer peniblen Malerei nach einfachen Comicmotiven, inklusive der vergrößerten dem billigen Massendruck geschuldeten Ben-Day-Punkte und den das Bild begleitenden Sprechblasen, Generationen an Künstlerinnen und Künstlern befruchtet“, wie Klaus-Albrecht Schröder im Katalog konstatiert. Die erwähnten Ben-Day-Dots, ein zentrales Element von Lichtensteins Stil, sind übrigens eine Drucktechnik, die 1879 vom US-Amerikaner Benjamin Day entwickelt wurde; aus kleinen farbig gedruckten Punkten entstehen Flächen einer anderen Farbe, was sich auch als Verwandtschaft mit dem Pointilismus lesen lässt …
Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 74
Roy Lichtenstein
März bis 14. Juli
ALBERTINA