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Im Schatten des Zerfalls

Text: Schöny Roland | Fotos: Press
©Joel Meyerowitz, Courtesy Howard, Greenberg Gallery

Ist es möglich und ist es notwendig, Relationen zu den Realitäten außerhalb der in Kunsträumen formulierten Fragestellungen herzustellen? Es drängt sich auf, nicht daran vorbeizusehen; insbesondere durch die Grundannahme, dass Kunst, dass kulturelle Diskurse ihre Bedeutung stets erst vor der Folie gesellschaftlicher Entwicklungen gewinnen.

Selbst rein formal erscheinende Operationen basieren oft auf einer kommunizierten Ethik. Selbst Konzepte der Abstraktion in der Kunst können politisch sein oder so wahrgenommen werden. In der Geschichte zeigte sich das etwa durch deren zynische Diffamierung in den realsozialistischen Systemen. In der westlichen Kunst der Nachkriegsära hingegen hatte die Positionierung kritischer politischer Inhalte mitunter scharfen Gegenwind von Seiten der Galerien, Sammler und Kritiker zur Folge.

Angesichts der tiefgreifenden Krise demokratischer Perspektiven in Europa, und des Unwillens einer zunehmenden Zahl von Politikern, menschenwürdige und vor allem kreative Lösungen für jene umzusetzen, die den Entschluss fassen mussten, ihre bisherigen Lebenszusammenhänge komplett aufzugeben, weil häufig nicht einmal mehr ihr Überleben gesichert war, stellen sich zahlreiche Fragen über den Stellenwert der Kunst.

Falscher Glamour wird noch schneller fragwürdig. Andererseits wird jetzt umso mehr die Vitalität kultureller Auseinandersetzung evident, für deren Voraussetzungen hier in der westlichen Welt und in zahlreichen Institutionen lange gekämpft worden ist. Während das zynische Geraune der Posting-Stammtische immer lauter dröhnt und ankommende Flüchtlinge zunehmend zum Transportproblem erklärt werden, zeigt sich umso mehr, welche spannenden kulturellen, nicht nur wirtschaftlichen Möglichkeiten dieses Europa hat. Eine großartige Basis zur Auseinandersetzung und Stärkung zivilgesellschaftlichen Handelns. Eben erst in Moskau hat der indisch-britische Künstler Anish Kapoor anlässlich seiner Ausstellung im „Jewish Museum and Tolerance Center“ darauf hingewiesen, dass jetzt gerade Menschen mit einem großartigen Potenzial, etwas Neues aufzubauen, nach Europa kommen würden. Was sich ereigne, sei weltweit zu beobachten und kein Einzelfall. Die medial transportierten Bilder des unentwegten Gehens seien zu einer Metapher für Stärke und für Zukunft geworden. Und dieses Plädoyer kommt aus der Kunst!

In Wien hat der spätsommerliche Take-off der Kunstszenen begonnen. Mobilisierung stadtintern. Nachdem in der Wiener Secession der britische Künstler Marck Leckey mit der Ausstellung „We Transfer“ seine auf LED-Loops basierenden Bilder aus dem Inneren des postmedialen Zeitalters eröffnet hat, starteten die führenden Galerien am folgenden Tag gleich mit „curated by_vienna“. Unter der Headline „Tommorow-Today“ stehen diesmal Aspekte von Kunst und Ökonomie, von Markt und Kapital im Vordergrund. Gleichermaßen intelligent, witzig und kritisch marktaffin ist da das Konzept von Harald Falckenberg bei Krinzinger Projekte: „Verkauf in Nebenräumen“. Gar nicht so ungewöhnlich auf Messen oder eben in Galerien. Bloß sind im Hauptraum nur die Labels, nicht aber die Werke zu sehen. Wozu auch. Die einen kaufen Namen, während die anderen, besonders avancierte Kuratorinnen und Kuratoren, neuerdings behaupten, Kunst brauche keine weiteren Texte. Wie die Geschäfte in den Nebenräumen letztlich abgewickelt werden, wollen wir besser gar nicht wissen. Am Hauptort der Galerie Krinzinger gibt es dazu ein witziges Video: Nein, tatsächlich aus einem Nebenbereich, fast Slapstick. Thema des Films von Erik van Lieshout sind die real existierenden Katzenrudel im Keller der Petersburger Eremitage. Eine Plage wie in einem phantastischen Bilderbuch. Stellenweise zum Schreien komisch. Doch was wäre die erste Option für einen Kauf? Die großformatigen zeichnerischen Arbeiten des Spaniers Secundino Hernández bieten sich an. Zunächst wirken sie abstrakt. Aus der Nähe erschließt sich, wie die großflächigen Strukturen aus feinteiligen Anspielungen auf Cartoons bestehen. Wunderbar! Entspannt lässt sich immer wieder neues entdecken!

Doch zurück zum Motto von „curated by_vienna“. Auch in der Schleifmühlgasse bei Georg Kargl Fine Arts greift Kurator Barnabás Bencsik unterschiedliche Verflechtungsebenen zwischen Kunst und Ökonomie auf. Im Besonderen richtet sich der Fokus auf künstlerische Kreativität und ihre Ausbeutung, spekulative Charakteristika des globalen Kunstmarktes sowie die Virtualisierung von Objekten und der Wirtschaft überhaupt. Es ist nicht möglich, einfach durchzugehen. „curated by_vienna“ erfordert Auseinandersetzung.

Der Auseinandersetzung folgt oft der Kauf und somit das Sammeln. Aus privatem Entrepreneurship entstehen hochinteressante Kunsthallen-Projekte. Eine außergewöhnliche Initiative geht zurück auf den kunstbegeisterten Hotelier Florian Werner, der in der dritten Generation das Arlberg Hospiz Hotel führt. Mit Setzungen im öffentlichen Raum, wie auch im Hotel selbst, wurde dieses so nach und nach zum Kunstquartier. Nun steht die Eröffnung der höchstgelegenen Kunsthalle in den Alpen bevor, des Kunstareals „arlberg1800“ in St. Christoph am Arlberg. Angegliedert ist außerdem ein Konzertsaal, dessen Programm von Peter Vogel gestaltet wird. An der Eröffnungsausstellung sind unter anderem beteiligt: Markus Schinwald, Eva Schlegel, Alfredo Barsuglia, Marlene Hausegger und Constantin Luser. Im öffentlichen Raum ist Spannendes von Hans Schabus zu erwarten.

Ein sensationelles Projekt läuft im Salzburger Museum der Moderne. In dieser Form erstmals von Direktorin und Kuratorin Sabine Breitwieser gemeinsam mit Julie Martin aufgearbeitet werden dort die Aktivitäten von „E.A.T – Experiments in Art and Technology“ dokumentiert. Vordenker wie John Cage oder der visionäre Radiotechniker Billy Clüver bauten gemeinsam mit Robert Rauschenberg und unter Mitwirkung von Persönlichkeiten wie Merce Cunningham oder Jean Tinguely ein einzigartiges Resonanzfeld auf. Ausgehend von den aktuellsten technischen Möglichkeiten, etwa der spatialen Verschaltung von Sound aus unterschiedlichen elektronischen und realen Quellen führten sie die Kunstformen in großen, oft mehrtägigen Events zusammen, welche heute zu den bedeutendsten Medienkunstereignissen des 20. Jahrhunderts zählen.

Die Bedeutung der Retrospektive des US-amerikanischen Foto-Künstlers Joel Meyerowitz im KUNST HAUS WIEN könnte nur allzu leicht unterschätzt werden. Viele seiner oftmals publizierten Aufnahmen aus dem amerikanischen Alltag der 1960er Jahre sind Ikonen des 20. Jahrhunderts. Nur allzu vertraut scheinen sie, gehört Meyerowitz doch den wichtigsten Vertretern der New Color Photography an. Das KUNST HAUS WIEN bringt aber auch viele besondere, sehr persönliche Projekte des cool und bescheiden wirkenden Stars. Eine neue Serie von Stilleben, Erkundungen an der städtischen Peripherie in Spanien oder kaum bekannte Aufnahmen von Jazz-Musikern.

Und zum Abschluss ein Knall: Auf Einladung von Kurator Hubert Klocker ließ die Sammlung Friedrichshof im Burgenland den norwegisch amerikanischen Künstler Bjarne Melgaard in deren Aktionismus Ausstellung wüten. Was sich hier eröffnet, ist ein wüstes hin und her, ein Zick Zack an Formen, Bildern und lässig hin gekritzelten Kommentaren und Parolen an der Wand. Konzeptuelle Subversion. Bemerkenswert, wie historisch und wirklich museal – was je auch real der Fall ist – nun die Avant garde der 1960er Jahre auf einmal daherkommt. Ganz richtig, dass Bjarne Melgaard eingeladen wurde. Bereits in Oslo im Edvard Munch Museum realisierte er eine ähnliche Intervention. Hier am Friedrichshof übertrifft er sich selbst mit Esprit und kynischem Witz.


curated by_vienna

Krinzinger Projekte

VERKAUF IN NEBENRÄUMEN / SALES IN THE SIDE ROOMS

bis 17. Oktober 2015

wirtschaftsagentur.at/kreativwirtschaft/curated-by-vienna/

Galerie Krinzinger

GAVIN TURK – A VISION, SECUNDINO HERNANDEZ – TODAY, ERIK VAN LIESHOUT – THE BASEMENT

bis 31. Oktober

www.galerie-krinzinger.at

Georg Kargl Fine Arts

SUBTLE PATTERNS OF CAPITAL

bis 31. Oktober 2015

www.georgkargl.com

arlberg 1800

High Performance

ab 5. Oktober 2015

www.arlberg1800RESORT.at

E.A.T.

Museum der Moderne Salzburg

bis 1. November 2015

www.museumdermoderne.at

Sammlung Friedrichshof

BJARNE MELGAARD   

Daddies Like You Don’t Grow On Palm Trees

2424 Zurndorf, Römerstrasse 1

bis 30. November 2015

www.sammlungfriedrichshof.at

KUNST HAUS WIEN

Joel Meyerowitz Retrospektive

Bis 1. November 2015

www.kunsthauswien.com

| FAQ 34 | | Text: Schöny Roland | Fotos: Press
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