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JÜTLAND COWBOY

In Nikolaj Arcels „King’s Land“ verkörpert Mads Mikkelsen einen Mann, der versucht, die Natur zu zähmen, aber am Bösen im Menschen scheitert. Eine Paraderolle für den sympathischen Dänen mit den markanten Gesichtszügen, der das Schweigen in der Schauspielerei zu seiner Kunst gemacht hat.

Ludvig Kahlen hat einen Traum: Er wünscht sich einen Adelstitel, Reichtum und Ehre. Vor allem aber will er Respekt. Der pensionierte Hauptmann hat sich nicht umsonst in den letzten 25 Jahren aus ärmlichen Verhältnissen vom Gärtner zum Hauptmann hochgearbeitet und im Deutschen Heer gedient. Als er 1755 in seiner verlausten Uniform bei den Bediensteten der Rentenkammer des dänischen Königs um Erlaubnis bittet, die jütländische Heide urbar zu machen, um dort eine Kolonie zu errichten, erntet er jedoch zunächst nur Spott und Hohn. Das brache Land sei unfruchtbar, sein Plan wahnwitzig. Aber Kahlen lässt nicht locker. Er hat sich in den Kopf gesetzt, die Urkraft zu bezwingen. Respekt.
Ein Mann gegen die Natur, so beginnt Nikolaj Arcels Film King’s Land. Und mit einem Schauspieler, der ohne Worte wie ein Fels in der Brandung steht: Mads Mikkelsen. Stur, hart und leidensfähig ist sein Kahlen. Ein Einzelgänger. Aber auch einer, der schon mal geliebt hat, der eine schmerzliche Vergangenheit mit sich trägt. Davon erzählt Mikkelsen schweigend, allein mit seinem tiefen, ernsten Blick, wenn er mit steinernen Gesichtszügen inmitten der beeindruckenden Landschaft den staubigen Boden umgräbt.
Man kennt dieses Gesicht. Man hat diesen Ausdruck in seinen Augen schon öfter gesehen. Figuren wie Kahlen sind Mikkelsens Königsdisziplin. Dass der dänische Regisseur Kristian Levring den Charakterkopf 2014 in The Salvation zum ersten Mal in einem Western besetzte, schien lediglich eine logische Konsequenz. Mit derselben Bravour, demselben Nachdruck hatte Mikkelsen bereits zwei Jahre zuvor die Titelrolle in Arnaud des Pallières’ bildgewaltiger Heinrich-von-Kleist-Adaption Michael Kohlhaas gespielt, in der ein Pferdehändler zum Opfer staatlicher Willkür wird. Der zeitkritische Schriftsteller beschrieb den Protagonisten seiner im 16. Jahrhundert angesiedelten Novelle einst als einen der rechtschaffensten und zugleich entsetzlichsten Menschen seiner Zeit. Mikkelsen zeigt ihn als störrischen Märtyrer, der seinem Schicksal mit Würde und Entschlossenheit gegenübersteht.

Auch King’s Land basiert auf einer literarischen Vorlage. Inspiriert von dem Roman „Kaptajnen og Ann Barbara“ von Ida Jessen wollten Arcel und sein Ko-Autor Anders Thomas Jensen eine epische Geschichte darüber erzählen, wie Ambitionen und Wünsche unweigerlich scheitern, wenn man sich zu sehr in seinen Zielen verrennt. Der Regisseur filmt die jütländische Heide wie andere den nordamerikanischen Westen: als ein wildes, freies Land – und Mikkelsen schmiegt sich regelrecht in diese Landschaft ein, wie ein einsamer Cowboy in der Prärie.
Aber nicht nur das undankbare, windgepeitschte Terrain, dass er mit Kartoffeln zu bewirtschaften versucht, bringen Kahlen bald an seine Grenzen. Mit seiner Vision durchkreuzt er unwissentlich die Pläne des skrupellosen Gutsherrn Frederik De Schinkel, der das Gebiet für sich beansprucht, obwohl es rechtmäßig „Königsland“ ist. Zuerst sind es nur kleinere Sticheleien und Drohungen, die der menschenverachtende Narzisst seinem aufrechten Konkurrenten entgegenbringt. Doch je mehr Kahlens Mühen von der Natur belohnt werden, desto mehr Gewalt und Hass schlagen ihm von Seiten Schinkels entgegen, was nicht nur ihn selbst zunehmend in Gefahr bringt.
Fast spannender zu beobachten als das Duell zwischen den beiden Männern ist die kleine Schicksalsgemeinschaft, die Kahlen derweil um sich schart. Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben, wie der unlängst vom Schinkel-Gut entflohene Pachtbauer Johannes Eriksen (Morten Hee Andersen) und seine Frau Ann Barbara (Amanda Collin) oder das Zigeunermädchen Anmai Mus (Melina Hagberg). Der „seltsame Herr“ nimmt die Rechtlosen bei sich auf, weil er weiß, dass er auf ihre Hilfe angewiesen ist. Bald entstehen festere Bande, sogar eine zarte Liebe bahnt sich an. Doch während Kahlen sein Ziel bis zum bitteren Ende verfolgt, verliert er zunehmend seine menschlichen Züge. Er gibt nicht auf, um keinen Preis.

Für Arcel, so sagt es der Regisseur selbst, ist King’s Land sein bisher persönlichster Film. Es ist zudem seine zweite Zusammenarbeit mit Mikkelsen nach A Royal Affair (2012). Darin spielte Mikkelsen den königlichen Leibarzt Johann Friedrich Struensee, der im voraufklärerischen Dänemark des 18. Jahrhunderts seinen Einfluss nutzt, um das Land zu reformieren. Der Film bedeutete den internationalen Durchbruch für Arcel, der bei der Berlinale, wo das Historiendrama seine Weltpremiere feierte, gemeinsam mit seinem Ko-Autor Rasmus Heisterberg den Preis für das beste Drehbuch gewann. Im gleichen Jahr triumphierte Mikkelsen in Thomas Vinterbergs Jagten in Cannes: Für seine Darstellung als aufmerksamer Erzieher, der des Kindsmissbrauchs beschuldigt und daraufhin von seinem Umfeld ausgestoßen wird, erhielt er die Silberne Palme für den besten Schauspieler. Und seitdem fragt man sich: Gibt es eigentlich eine Rolle, die der unberechenbare Däne nicht spielen kann?

Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 76

 

KING’S LAND / BASTARDEN
Drama, Dänemark/Schweden/Norwegen/Deutschland 2023
Regie: Nikolaj Arcel, Drehbuch: Nikolaj Arcel, Anders Thomas Jensen, Kamera: Rasmus Videbæk, Musik: Dan Romer, Schnitt: Olivier Bugge Coutté
Mit: Mads Mikkelsen, Amanda Collin, Simon Bennebjerg, Kristine Kujath Thorp, Gustav Lindh, Morten Hee Andersen, Lise Risom Olsen
Verleih: Alamode
Kinostart: 18. Juli 2024

 

| FAQ 76 | | Text: Pamela Jahn
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