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Duett zu Dritt

In „Joker: Folie à Deux“ treffen sich Thriller, Drama und Musical.

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Es hat überrascht, dass Todd Phillips’ Joker bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig 2019 den Hauptpreis zugesprochen bekam. Doch es handelte sich dabei eben keineswegs um ein herkömmliches Comic-Abenteuer, vielmehr um eine wuchtige, düster-dystopische Studie des psychischen Niedergangs, in der die westliche Zivilisation in Wahnsinn zerfällt. Die Fortsetzung überrascht nun wieder: Weil sie nicht so sehr – das Finale des ersten Films hätte es durchaus vermuten lassen – ans anarchische Chaos anknüpft, sondern tiefer in das zerrüttete Innenleben des Arthur Fleck einzudringen versucht.

Fleck sitzt nach den Geschehnissen in Joker im berüchtigten Arkham Asylum ein, erduldet dort einen harten Alltag, in dem Hänseleien (und später mehr) durch Wachen und Mitinsassen auf der Tagesordnung stehen. Eigentlich versucht er gerade sein Bestes, sich unter Anleitung seiner Anwältin auf die anstehende Gerichtsverhandlung vorzubereiten. Angesichts der fünffachen Mordanklage (den sechsten, jenen an seiner Mutter, hat Arthur bis jetzt verschwiegen) lautet die Taktik nun, Arthur eine zutiefst gespaltene Persönlichkeit zu attestieren – und, auf Milde hoffend, klarzustellen, dass einzig der Joker es war, der diese grauenhaften Taten beging. Dann aber grätscht kurz vor Prozessbeginn, wider alle Erwartungen, ausgerechnet die Liebe dazwischen: Beim Besuch einer therapeutischen Gesangs-stunde lernt Arthur die eigenwillige Harley Quinn kennen, die von der ersten Sekunde an klar signalisiert, dass sie es auf den gebeutelten Antihelden, den seine Gräueltaten zum Star der unzufriedenen Massen machten, amourös abgesehen hat.

Anders als in der Origin Story der Figur Harley Quinn (im Comic „The Batman Adventures: Mad Love“, 1993) ist es nicht der irre Gangster, der die studierte Psychologin verführt – hier ist Harley die Taktgeberin für die verhängnisvolle „Folie à deux“. Bei einem Filmabend in der Anstalt entzündet seine glühende Verehrerin den dafür entscheidenden Funken gleich auch wortwörtlich, weil die Aufmerksamkeit von Arthur, der zu sehr von der Darbietung Fred Astaires gefesselt ist, anders gar nicht zu wecken ist. Zwar erfährt Arthur – aus dem Harley unbedingt wieder sein vermeintlich wahres Ich, eben den Joker, herausholen will – bald, dass seine Flamme es mit der Wahrheit um ihre Person nicht so genau nimmt, doch da ist es längst schon um sein Herz geschehen. Und weil Mr. Fleck somit zusehends in seine Joker-Persona zurückfällt, ist Eskalation im Gerichtssaal vorprogrammiert.

Cineastische Sprengkraft gewinnt all dies vor allem durch seine von einigen schönen visuellen Einfällen verzierte Optik, das ist Grobheit in feiner Ausführung, wobei die tagträumerisch halluzinierten Musical-Sequenzen farbenfrohe Kontrapunkte bieten. Vom Plot dieses Sequels sollte man sich nichts allzu Großes erwarten, es lebt von Stimmung und, erwartungsgemäß, den Performances von Joaquin Phoenix und Lady Gaga. Gebaut ist der Film bis zur grimmigen Schlusspointe rund um Gesangs- und Tanzeinlagen zu bekannten Musical-, Gospel- und Jazzstandards, jedenfalls diese hat man so wohl noch nicht gesehen. Thematisch fügen sie sich gut ein, sei es in die Ebene der Unterhaltungs-und-Voyeurismusgesellschaft: „That’s Entertainment“ (geschrieben für die Verfilmung von The Band Wagon, 1953), oder natürlich in jene des Schmerzes und der Einsamkeit des Sonderlings: „The Joker“ (aus dem Broadway-Erfolg „The Roar of the Greasepaint – The Smell of the Crowd“, 1964/65). Schon anfangs die versteckte Warnung: „Forget your troubles, c’mon get happy […] Get ready for the jugdment day!“ Denn die Geister, die der Clown rief, werden nicht mehr aufzuhalten sein.

 

JOKER: FOLIE À DEUX
Thriller/Drama/Musical, USA 2024 – Regie: Todd Phillips
Drehbuch: Todd Phillips, Scott Silver; Kamera: Lawrence Sher; Schnitt: Jeff Groth; Musik: Hildur Guðnadóttir
Mit: Joaquin Phoenix, Lady Gaga, Brendan Gleeson, Catherine Keener, Steve Coogan, Zazie Beetz, Ken Leung, Mac Brandt
Verleih: Warner Bros., 138 Minuten

 

| FAQ 77 | | Text: Jakob Dibold
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