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Doppelter Boden

Text: Bert Rebhandl | Fotos: Archiv
Jack Hofer und Simon Morzé in Einer von uns, Regie: Stephan Richter (2015)

Am 24. Mai 1987 machte die „Kronen Zeitung“ ausnahmsweise mit einer kulturellen Angelegenheit auf: „Hollywood-Greuelpropaganda gegen Österreich“ hieß es da, und dann noch dramatischer: „Waldheim-SS führt in Film Krieg gegen USA!“ Die beiden Buchstaben von SS waren in der Runenschrift gesetzt, die auch Analphabeten sofort signalisiert hätte: Achtung, hier geht es um das heikelste historische Thema, mit dem man es in Österreich zu tun bekommen kann. Die Leserinnen und Leser des Kleinformats mussten zur Seite 4 blättern, um Aufklärung zu bekommen: In Cannes lief in diesen Tagen der Film Surf Nazis Must Die von Peter George, ein Schundfilm par excellence, der sich über das österreichische politische Thema Nummer eins dieser Tage lustig machte. Denn die „Waldheim-SS“ war eine deutliche, phantasmatische Ausgeburt der Vergesslichkeit des konservativen Bundespräsidenten, der in einer Stimmung des „Jetzt erst recht“ ins Amt gewählt worden war, und der repräsentativ für die Verspätungen und Unterlassungen in der österreichischen Geschichtspolitik und Vergangenheitsbewältigung stand.

Vermutlich hätte Surf Nazis Must Die nach dem kleinen Skandal anno 1987 die einschlägige Fanszene nicht mehr groß verlassen, gäbe es nicht auf der diesjährigen Diagonale eine neue Reihe, und ein entsprechendes Thema. Die Reihe heißt In Referenz, das Thema heißt „Österreich: zum Vergessen“, es geht um Österreich in den 1980er Jahren. Für die beiden neuen Intendanten Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber kommt bei Surf Nazis Must Die eine Menge von dem zusammen, was sie mit dem Festival des österreichischen Films vorhaben. „Der Film kam uns schon früh bei unseren Recherchen zu Waldheim unter“, sagt Sebastian Höglinger. „Wir hielten ihn zuerst für ein Kuriosum, dann begriffen wir aber schnell: Das ist eigentlich genau der Film, der dieses historische Feld noch einmal aufbricht. Zumal es ja nicht so oft vorkommt, dass sich der Boulevard für das Kino interessiert. Es gibt auch im aktuellen Programm einen Film, Einer von uns, zu dem es schon Schlagzeilen gab, ohne dass ihn die Blattmacher gesehen hatten. Surf Nazis Must Die lässt einen Blick von außen zu, es ist ein klassischer B-Film, damit bekommen wir eine ganz andere Tonalität als üblicherweise in einem historischen Programm. Und daran ist uns mit der Reihe In Referenz besonders gelegen: Wir wollen andere Lesarten zulassen, und dafür eignen sich manchmal ganz gut so kleine Kniffe.“

Sebastian Höglinger und Peter Schernuber haben davor das Festival Youki in Wels geleitet, ein Jugend-Medien-Festival. Nun haben sie von Barbara Pichler das wichtigste österreichische Filmfestival neben der Viennale übernommen, eine Aufgabe, der sie sich mit einer bemerkenswert professionellen Klarheit stellen, die aus jeder ihrer Stellungnahmen herauszuhören ist. Auch bei ihnen wird die Diagonale weitgehend so aussehen, wie man das aus den letzten Jahren gewohnt ist: ein dichtes Programm mit aktuellen Arbeiten aus den Bereichen Spiel- und Dokumentarfilm sowie aus dem in Österreich traditionell starken „Innovativen Film“. Daneben historische Reihen, eine Schau, die der Produzentin Gabriele Kranzelbinder gewidmet ist („An ihr schätzen wir eine große formale Vielfalt, die sich mit Treue zu einzelnen Autoren verbindet“), sowie Rahmenprogramme, in denen etwa des verstorbenen Peter Kern gedacht wird, oder wo Drehli Robnik Gelegenheit zu einer seiner Theorie-Performances bekommt.

Interessant sind die an vielen Stellen zu erkennenden Verschränkungen. Ein gutes Programm ist ja eines, in dem nicht einfach einzelne Arbeiten auf Aufmerksamkeit hoffen, sondern in dem Resonanzen entstehen. Mit dem polemisch klingenden „Österreich: zum Vergessen“ bekommt die Diagonale 2016 eine streitbare Mitte, wobei das Festival aber gerade das Gegenteil von Vergessen macht. Hier dient das, was aus den Archiven kommt, zu einer besseren Konturierung des Gegenwärtigen. „Uns kam zu Ohren, dass im sogenannten Giftschrank des ORF eine Alltagsgeschichte von Elisabeth T. Spira liegt, die niemals ausgestrahlt wurde: Am Stammtisch. Das könnte gut zu Vienna is Different passen, meinten wir, einem Dokumentarfilm über den 50. Jahrestag des Anschlusses von 1938. Nach langen Verhandlungen hat der ORF grünes Licht gegeben, worüber wir uns sehr gefreut haben“, erzählt Peter Schernhuber.

Eine ähnlich plausible Korrespondenz könnte es zwischen der historischen Reihe des Filmmuseums (Österreich: zum Vergessen) und der des Filmarchivs Austria (zum Thema Rebranding Images und der „Stunde Null“) geben. Bei den aktuellen Filmen haben die beiden Festivalleiter sich Beratung geholt: Alexandra Zawia für Spielfilme, Alejandro Bachmann für dokumentarische Filme und Claudia Slanar für Innovatives. „Wir wollten klarmachen, wer mit uns über die Filme spricht.“ Diese Transparenz ist umso wichtiger, als Höglinger und Schernhuber an der Entscheidung ihrer Vorgängerin Barbara Pichler festhalten, nicht automatisch alle Filme, die in Österreich ins Kino kommen, auch auf der Diagonale zu zeigen. „Dieser Automatismus wurde zu Recht abgeschafft, das tragen wir mit.“ Damit erhöht sich aber der Anspruch an die kuratorische Arbeit der Festivalmacher.

Sie haben sich im Verlauf des letzten Jahres einen umfassenden Begriff vom österreichischen Filmschaffen gemacht. Also kann man sie das auch getrost fragen: Gibt es denn so etwas wie eine Identität des heimischen Filmschaffens? Sebastian Höglinger geht bei seiner Antwort von einem Klischee aus. „Es heißt ja oft, Österreich stehe für ein Feel-Bad-Cinema. Dem würden wir gern widersprechen. Markant erscheint uns eine gewisse Verschmitzheit, eine Art doppelter Boden, den auch Filme haben, die das internationale Image prägen. Auch die haben immer einen Twist, der die Schwere etwas aushebelt.“

Höglinger und Schernhuber haben sich für ihre Aufgabe beworben, die geopolitische Situation, in der Österreich durch seine Lage auf den Flüchtingsrouten besonders herausgefordert ist, konnten sie sich nicht aussuchen. Unweigerlich stellt sich damit auch eine Frage nach der Positionierung des Festivals. Inwiefern muss denn eine Diagonale in so einer Situation auch politisch sein? „Das müssen wir wieder in mehrfacher Hinsicht beantworten: Ein Festival ist natürlich immer so politisch wie seine Filme. Darüber hinaus geht es uns aber eben sehr stark darum, Korrespondenzen herzustellen, das Festival dadurch auch zu öffnen. So haben wir bei den Diskussionsprogrammen darauf zu achten, nicht nur filminterne Diskurse zu haben. Wir wollen nicht, dass sich hier Leute die Klinke in die Hand geben, die sich sowieso schon aus der Arbeit bestens kennen. So haben wir ein Gespräch in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Forum Alpbach angesetzt, also ganz bewusst einen politischen Player adressiert. Es ist wichtig, dass Kulturinstitutionen jetzt Stellung beziehen.“ Es sieht ganz danach aus, als würde die Diagonale unter der neuen Leitung auf eine Weise Stellung beziehen, die für das österreichische Kino eine produktiven und intellektuell stimulierenden Austausch ermöglicht, und darüber hinaus aber noch Wirkung zeigen könnte.

Diagonale 2016

8. – 13. März, Graz

| FAQ 36 | | Text: Bert Rebhandl | Fotos: Archiv
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