Der Niederländer Anton Corbijn, Jahrgang 1955, gehört spätestens seit den achtziger Jahren zu den ganz großen Stilisten in der Welt des Pop. Depeche Mode, U2, Metallica, Nick Cave, Herbert Grönemeyer, James Last (!) – für all diese unterschiedlichen Größen hat der Fotokünstler Plattencover gestaltet, meist in prägnantem Schwarz-Weiß. Dazu kamen legendäre Musikvideos und ab 2007 eine Reihe gut aufgenommener Spielfilme. Dieser Werdegang zwischen Pop und Filmkunst erschien nicht unbedingt zwingend, stammt Corbijn doch aus der protestantisch geprägten Kleinstadt Strijen. Dort war das Leben ruhig und beschaulich, überlebensgroße Figuren und Glamour gab es nicht. Corbijn aber schätzt den Protestantismus – eine Konfession, die dogmatisch durch Reduktion und Schlichtheit geprägt ist – durchaus. Reduktion und Schlichtheit sind schließlich auch Elemente, die im Werk Corbijns unverkennbar sind. Davon kann man sich in Wien nun selbst überzeugen, denn eine umfangreiche Auswahl von Anton Corbijns Arbeiten lässt sich noch bis 29. Juni im Bank Austria Kunstforum betrachten. Zu sehen sind unter anderem Porträts von Pop- und Schauspielgrößen wie David Bowie, Miles Davis, Jodie Foster, Philip Seymour Hoffman oder Depeche-Mode-Sänger Dave Gahan. Die Schau ist mit „Favourite Darkness“ überaus passend betitelt.

Anton Corbijn, Nina Hagen und Ari Up, Malibu 1980 © Anton Corbijn
Jenseits der Wahrheit
Doch was macht den „dunklen“ Stil Corbijns eigentlich aus? Dazu Kunstforum-Direktorin Ingried Brugger im Katalog zur Schau: „Das Arbeiten und Denken in Kontrasten ist ein künstlerisches Mittel, das in der Fotografie des Neuen Sehens der 1920er-Jahre eingesetzt wurde, ein Konzept, das Anton Corbijn in schwindelerregende Höhen geführt hat. Das kontrastreiche Helldunkel, das uns durch Corbijns Bildwelt leitet, bricht sich an forcierten Perspektiven und radikalen Blickwechseln als Strategie gegen das Gewohnte oder aber nistet in schockierender Ruhe auf dem Bildfeld.“
Corbijn selbst – zu seinen Vorbildern zählt er Fotografen wie Robert Frank oder Helmut Newton – mag das Wechselspiel aus Inszenierung und Improvisation: Nachdem man mit der Inszenierung begonnen habe, komme es darauf an, loszulassen, so der Künstler. Fasst man die Bilder genau ins Auge, wird der schon erwähnte „protestantische“ Zugang zur Kunst evident: Alles ist reduziert, Studioaufnahmen gibt es nur selten. In den düsteren Bildern trifft hoher Kontrast auf grobkörnige Struktur und Schwarzweiß. Oft schießt der Meister seine Fotos mit der Hand bei Naturlicht – es ist ein Minimalismus der sich rein anfühlt. Dabei ist Anton Corbijn ein Auto-didakt, der zu Beginn keine Ahnung vom Fotohandwerk hatte und meinte, dass die markante Grobkörnigkeit seiner frühen Arbeiten eher ein Zufallsfehler war – der zu warme Entwickler habe hier nachgeholfen.

Anton Corbijn, Philip Seymour Hoffman, New York 2011© Anton Corbijn

Anton Corbijn, Jodie Foster, Hollywood 1995 © Anton Corbijn
Vielleicht nicht unbedingt protestantisch, aber mit religiösem Touch versehen ist das bekannte Porträt des nur mit einem Lendenschurz bekleideten David Bowie (Chicago, 1980). Es ist eine Aufnahme, der das Leiden eingeschrieben ist und die sich unverkennbar auf christliche Ikonografie beruft. Aber auch mit Anspielungen auf die Kunstgeschichte sparte Corbijn nicht und setzte etwa Sängerin Courtney Love als Botticellis „Venus“ in Szene. In der Schau finden sich jedoch nicht nur prominente Gesichter, sondern abgesehen von Porträts auch christliche Objekte wie Kruzifixe oder Marienstatuen, die der Meister in den frühen achtziger Jahren in Italien ablichtete. Corbijn verbindet in seinen Menschenbildern düstere Ästhetik mit simplen, aber effektiven Ideen, die sich nicht selten religiös interpretieren lassen: Blixa Bargeld erscheint mit Dreizack als Teufel (Berlin, 1983) und auch Mick Jagger wird mit Hörner-Maske diabolisch in Szene gesetzt (Toronto, 1994). Klaus Maria Brandauer (Wien, 1997) wird durch ein rundes Hintergrundfenster so etwas wie ein Heiligenschein verliehen, doch die düstere Mimik überführt das Foto in Abgründe.

Sam Riley in „Control“ (2007)
Abgesehen von solcherlei Implikationen bestechen viele der Abgelichteten schlicht durch ihr Charisma, das Corbijn grandios herausarbeitet: Miles Davis (Montreal, 1985) blickt mit großen Augen direkt in die Kamera, sein Seelenzustand lässt sich vielseitig interpretieren: Neugier? Entsetzen? Kontemplation? Die Aufnahme gehört längst zu den berühmtesten des Trompeters. Der früh verstorbene Schauspieler Philip Seymour Hoffman – Hauptdarsteller in Corbijns Film A Most Wanted Man – dagegen wird aus der Ferne eingefangen (New York, 2011); mit geheimnisvollem Gesichtsausdruck steht er unter zwei Einbahn-Straßenschildern und fasst den Fotografen direkt in den Blick.
Corbijn verbrachte einen Großteil seines Berufslebens in England, wo er mit der Musikszene in Kontakt kam und bald zum gesuchten Fotografen wurde. „Von Mitte der Sechziger-jahre bis in die frühen Achtziger gab es kaum ein Leben außerhalb der Musik. Sie war allumfassend – meine einzigen Bezugsrahmen waren die Musik und die Bilder, die aus ihr entstanden. Ich sog alles in mich auf, aus Magazinen, Alben-Covern oder anderen Quellen. Meine Unterhaltungen waren durchsetzt von meinem Wissen über die B-Seite von Singles … Ich dachte, ich wüsste alles. Und ich war stolz auf ein solches Wissen, genauso wie andere junge Leute zu jener Zeit. Es war aufregend, dieses Zugehörigkeitsgefühl zu einer kulturellen Ausdrucksform, von der die Eltern wenig wussten und noch weniger verstanden.“ So erzählt es der Fotograf in seinem Buch „1-2-3-4“ …
Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 79
ANTON CORBIJN – FAVOURITE DARKNESS
Bank Austria Kunstforum Wien
Bis 29. Juni
IN CONTROL: THE FILMS OF ANTON CORBIJN
Gartenbaukino, Parkring 12, 1010 Wien
Wiederholte Filmscreenings bis Juni 2025