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Im Zirkus

Bong Joon-hos sehnsüchtig erwartetes und mehrfach verschobenes Science-Fiction-Spektakel „Mickey 17“ hält alles, was es versprochen hat. Und bietet noch viel mehr.

Es gibt das englische Wort „hilarious“, das man mit „ausgelassen“ oder „wahnsinnig komisch“ übersetzen kann. Aber „hilarious“, zumindest im angloamerikanischen Filmkritik-Jargon, ist weit mehr als das: Es bezeichnet, so kann man es wohl am einfachsten sagen, Filme, die einem buchstäblich den Mund offenstehen lassen. Ein solcher Film ist Bong Joon-hos Mickey 17 geworden, sein erster seit seinem weltweiten Triumph Parasite, der 2019 mit der Goldenen Palme in Cannes und 2020 mit vier der wichtigsten Oscars ausgezeichnet wurde. Auch wenn nicht alles hundertprozentig aufgeht, manche Frage vielleicht offen bleibt und es sich gegen Ende der 139 Minuten doch ein ganz klein wenig zieht: Was der koreanische Regisseur und Drehbuchautor und alle anderen Beteiligten hier auf die Beine gestellt haben, ist einfach – wow. Die Einfälle und der Gehalt dieses Films würden, um etwas Abgedroschenes, aber sehr Wahres zu sagen, für mindestens acht herkömmliche Hollywood-Filme reichen, auch und besonders für das ohnehin immer mehr zerbröselnde Marvel Cinematic Universe.

Linksgerichtet

Bong Joon-ho, 1969 in Daegu in Südkorea geboren, studierte Soziologie und an der Korean Academy of Film Arts. Nach mehreren Kurzfilmen entstand 2000 sein bereits viel beachtetes Langfilmdebüt Barking Dogs Never Bite, dem mit Memories of Murder (2003) das erste einhellig gefeierte Meisterwerk folgte. In Abständen von drei bis vier Jahren folgten weitere ziemlich großartige Filme, ehe seine Laufbahn mit Parasite den bisherigen Höhepunkt erreichte: ein Film, auf den ersten Blick „durch und durch koreanisch“, mit hierzulande nahezu unbekannten Schauspielenden, der auf der ganzen Welt Begeisterung auslöste. Es geht um eine reiche Familie und eine arme, die sich nach und nach bei der reichen einschleicht, aber wie! Bong machte weder im Film noch in Interviews ein Hehl daraus, wer für ihn die „Parasiten“ sind. Das war klassenkämpferisches Kino, wie man es im Mainstream schon lange nicht gesehen hat, und noch dazu mit hohem Unterhaltungswert. Bong Joon-ho, das ist bekannt, war schon auf der Uni engagiert und immer dabei, wenn es für die Demokratie und gegen die wechselnden korrupten Regimes in Südkorea ging – ein politisches Bewusstsein, das er mit einigen seiner prominentesten Kollegen, darunter Park Chan-wook und Squid Game-Mastermind Hwang Dong-hyuk teilt.

Angesichts dieses Hintergrunds ist es kein Wunder, dass Bong sofort ansprang, als ihm der nicht besonders prominente Sci-Fi-Roman „Mickey 7“ (2022) des US-Autors Edward Ashton zugeschickt wurde. Und er war so angetan, dass er sich quasi sofort an die Filmadaption machte. Ashton konnte sein Glück kaum fassen, auch wenn Bong doch wesentliche Änderungen vornahm – die deutlichste davon steckt schon im Titel, denn im Film ist Mickey bereits sechzehn Mal gestorben und nicht sechsmal. Wie bitte? Ja, genau. Mickey Barnes (Robert Pattinson) ist ein im Waisenhaus aufgewachsener, eher einfacher Mann, der ein schlimmes Kindheitstrauma mit sich herumträgt. Seinem Kindheitsfreund Timo (Steven Yeun) folgt er quasi blindlings, und der stürzt beide ins Unglück, als er für eine nicht so gute Geschäftsidee einen Kredit bei sehr üblen Leuten aufnimmt. Diese Exposition wird rasch erzählt, in einer Rückblende und per Voiceover von Mickey, der den ganzen Film über ziemlich viel redet – eine gewagte Entscheidung, zumal man das meiste davon ohnehin auf der Leinwand sieht. Aber es geht auf, wie fast alles in diesem Film. Jedenfalls müssen Mickey und Timo vor den Loan Sharks fliehen. Sie bewerben sich, wie viele andere Erdenbürgerinnen und -bürger, die in Geldnöten oder generell unzufrieden mit ihrem Leben sind, beim Space-Projekt Niflheim (ja, die isländische Edda, „das Land des Nebels“, Wagner, „Rheingold“, usw.), das der gescheiterte Politiker, Möchtegern-Sektenführer und skrupellose Geschäftsmann Kenneth Marshall (Mark Ruffalo) mit seiner Frau Ylfa (Toni Collette) betreibt.

Der doppelte Mickey

Timo schafft es, als Pilot aufgenommen zu werden, aber Mickey, der wohl die Bewerbungsunterlagen nicht so genau gelesen hat, wird ein „Expendable“, also ein „Entbehrlicher“. Das heißt, wann immer seine dreckigen und/oder gefährlichen Aufträge erledigt hat, wird er „entsorgt“. Das ist nicht so schlimm, wie es klingt, weil er immer wieder neu ausgedruckt wird, mit allen seinen Erinnerungen und seiner Persönlichkeit. „Human printing“, das das Klonen ersetzt hat, ist auf der Erde verboten, aber im Weltall nicht. Es wäre alles so weit in Ordnung, auch wenn Mickey die ewigen Fragen der Mitreisenden und Mittätigen, wie es sich anfühlt, zu sterben, allmählich satt hat. Doch eines Tages passiert etwas: Mickey 17, der eigentlich sterben sollte, wird vor dem sicheren Tod gerettet, kommt aber sehr spät ins Hauptquartiert zurück. Und siehe da, jemand Übereifriger hat bereits Mickey 18 ausgedruckt … Wem das Bisherige schon verrückt vorkam, wird eines Besseren belehrt: Es wird noch viel verrückter. Denn Mickey 18 ist quasi ein „neues“ Modell, das heißt, er sieht zwar wie Mickey 17 aus, hat aber eine andere Persönlichkeit und ist mit seinem eher stillen und duldsamen Pendant gar nicht glücklich, dasselbe gilt auch umgekehrt.

Von da ab dreht sich die Spirale des Wahnsinns immer schneller, denn der neue Mickey, so stellt sich heraus, ist ein Rebell, und er ist wild entschlossen, sich mit dem allmächtigen Führer Kenneth Marshall anzulegen, der in Gestik und Ausdrucksweise gewisse Ähnlichkeiten mit einem bestimmten US-Präsidenten aufweist – so, als hätten Bong und Co. dessen Wiederwahl vorausgesehen. Marshalls Größenwahnsinn manifestiert sich in vielerlei Hinsicht, auch wenn er zur Sicherheit immer seine Frau befragt, ob das, was er vorhat, auch gut rüberkäme. Ms. Marshall ist nicht minder durchgeknallt, aber vor allem auf der Suche nach einem Rezept für die perfekte Sauce, die sie in ihren Räumlichkeiten zubereiten will, denn selbstverständlich wohnt das First Couple um einiges besser als das gemeine Volk. Nur wer, wie eines Tages Mickey, bei ihnen zum Essen eingeladen ist, ahnt etwas von ihrem Luxus. Selbstverständlich ist Mickey auch bei dieser Gelegenheit nur Versuchskaninchen, und das, was man ihm da vorsetzt, bekommt ihm gar nicht gut. Der Widerstand gegen Marshall, einmal angestachelt, wächst, besonders, als der Führer sich dazu entschließt, die Ureinwohner des Eisplaneten (der Gegensatz zum Wüstenplaneten in Dune und zum Bierernst von Denis Villeneuves Blockbuster ist übrigen sehr reizvoll) auszurotten, genauer gesagt: zu vergasen. Es handelt sich dabei, allzuviel soll nicht verraten werden, um überraschend freundliche, wenn auch nicht gerade hübsche Tierchen, die Marshall „Creepers“ getauft hat, mit einer Mama Creeper, vielen Juniors und vielen Babies. Verrückt? Ja, aber das ist noch gar nichts …

Der Klassenkampf, genauer gesagt, die politische Farce mit dem eitlen Leader und der sich anbahnenden Rebellion ist nur ein Element von Mickey 17, es gibt noch viele andere. Da ist zunächst eine wirklich schöne Liebesgeschichte, die ausnahmweise einmal gar nicht nervt – zwischen Mickey und der tatkräftigen Soldatin Nasha (Naomi Ackie), die bedingungslos zu ihm hält, beziehungsweise zwischen Nasha und den beiden Mickeys, denn auch sie ist nicht wenig überrascht, als sie erkennt, dass ihr Liebster sich verdoppelt hat – eine Komponente, die viele weibliche Pattinson-Fans in den Sozialen Medien bereits in Ekstase versetzt. Dann ist da natürlich alles, was man an Sci-Fi-Filmen kennt und schätzt, inklusive dem ganzen technischen Brimborium, das sich über die Jahrzehnte angesammelt hat und stets ein bisschen ins Lächerliche zu kippen droht. Trotz des düsteren Hintergrunds hat Bong Joon-ho zudem eine fulminante Komödie geschaffen, die sich aus so vielen kleinen Details speist, dass man wirklich nur staunen kann. Es gibt unzählige Verweise auf die Populärkultur, von den Trash-Space-Filmen der 1950er-Jahre über das schon erwähnte Dune und Alien bis hin zu, natürlich, Kubricks Dr. Strangelove und Fritz Langs Metropolis …

Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 79

 

MICKEY 17
Sci-Fi/Komödie, USA 2025 — Regie: Bong Joon-ho
Drehbuch: Bong Joon-ho nach dem Roman „Mickey 7“ von Edward Ashton, Kamera: Darius Khondji, Schnitt: Jinmo Yan, Musik: Jung Jae-il, Production Design: Fiona Crombie, Kostüm: Catherine George
Mit: Robert Pattinson, Naomi Ackie, Mark Ruffalo, Toni Collette, Steven Yeun, Anamaria Vartolomei, Michael Monroe, Patsy Ferran, Cameron Britton, Christian Patterson
Verleih: Warner Bros., 139 Minuten

 

| FAQ 79 | | Text: Andreas Ungerböck
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