Bonnie „Prince“ Billy hat sich für seine Verhältnisse in den letzten Jahren rar gemacht, sein Output unter diversen Namen und auf verschiedenen Tonträgern, die oft nur im Plattengeschäft seines Heimatortes in Kentucky erhältlich waren, war aber phänomenal. Mit „The Purple Bird“ kehrt er nun zurück – und das mit einem wahren Knall, denn er traut sich, seine Songs in Country-Arrangements zu stecken, die mehr als nur zu Herzen gehen, aber immer die richtige Abzweigung vor der Kitschgrenze nehmen. Da gibt es den Mitschunkelsong „Guns Are For Cowards“, oder die wunderbare alte Geschichte des Ehemanns, der beschließt, nach einer rauschigen Zeit mit den Freunden doch zur grantigen Frau heimzukehren, da er sonst bei den Hunden schlafen müsste. Und das in einem Tonfall, der einfach der Realität ins Auge sieht: „This Boy’s Night Out Has Been Real Fun / But Now The Good Time’s Almost Done“. „The Purple Bird“ ist herzerweichend, menschlich und traumwandlerisch geschmackssicher. Der Schöpfer von „I See A Darkness“ hat nach langem wieder ein sentimentales Meisterwerk vorgelegt.

Bonnie ‚Prince‘ Billy „The Purple Bird“ (Domino Records)
Kommen wir gleich zu einer Nachwuchshoffnung auf dem Gebiet der Eigenbrötlerei mit stark spinnerten Einschlag: Der Engländer Geordie Greep war drei Platten lang Frontmann der Band Black Mini und legt jetzt mit „The New Sound“ (Rough Trade) sein Solodebüt vor. Mit dem neuen Sound des Titels hat er nicht ganz Unrecht, denn Greed, der immer im möglichst grauen oder beigen Kleiderbauer-Anzug auftritt, kennt keine Gnade und verarbeitet alle Einflüsse, die es auf Erden gibt. Zwischen Industrial, Prog Rock und Salsa ist da alles zu finden. Irgendwie trifft hier Sponge Bob auf Frank Zappa – und beide unterhalten sich über die Sparks. Zu diesen abenteuerlichen Soundgebilden werden Geschichten von Männern erzählt, die um jede geringste Zuneigung, jede noch so läppische Aufmerksamkeit von Frauen kämpfen, aber kläglichst scheitern. Sie könnten in ihrer Jämmerlichkeit von Ricky Gervais für eine neue Staffel von The Office erfunden worden sein, so schmerzhaft ist die Unfähigkeit der Protagonisten der Songs. Wenn sich Greed auch noch traut, in diesem riesigen musikalischen Flohmarkt große Melodien einzusetzen, dann wird er ein bedeutender Chronist des männlichen Scheiterns.

Geordie Greep „The New Sound“ (Rough Trade)
Wandern wir von englischen Exzentrikern zu italienischen Ikonen. Ludovico Enaudi ist als Pianist ein Wunder der Musikindustrie, der mit Verkaufs- und Streamingzahlen sowie mit seinen Kompositionen den Neid der Klassikbranche auf sich zieht. 2023 zog Enaudi auf die Insel Elba. In seinem neuen Haus fand er Ölbilder, die von einer Vorbesitzerin aus Rom stammten, die jeden Sommer neue Szenen malte. Diese Bilder sprachen zu Enaudi, und in Kombination mit eigenen Erinnerungen an lange zurückliegende Ferien entstanden die Stücke zu „The Summer Portraits“. Enaudi spielte sein Klavier solo in seinem Studio ein, danach wurde in den Abbey Road Studios mit dem London Symphony Orchestra der Feinschliff angelegt, wobei natürlich nur sehr fein ausgewählte musikalische Farbtupfer und Ergänzungen vorgenommen wurden. Die 13 Stücke sind atmosphärische Meisterleistungen an Atmosphäre und Reduktion – ein Dokument des Innehaltens und der Seelenruhe. Ein Zugang also, der rar geworden ist.

Ludovico Enaudi „The Summer Portraits“ (Universal)
Wenige Bands haben den Ausstieg ihres Songwriters, Sängers und Mittelpunktes überstanden. Black Country, New Road haben dieses Kunststück zuwege gebracht; die Londoner Hipster setzten auch ohne Isaac Wood ihren Weg fort. Sie verteilten das Songwriting und den Gesang auf mehrere Schultern, erfanden sich neu und verzauberten mit Charme und ihren gewagten Sprüngen zwischen Folk, Jazz, Klezmer und klassischen Pop auf der Tour zum zweiten Album das Publikum. Für das schwierige dritte Album „Forever Howlong“ begaben sie sich in die Hände von Produzent James Ford, der auf seiner Kundenliste auch schon Einträge von Blur, den Arctic Monkeys oder Depeche Mode zu verzeichnen hatte. Die Ambitionen der Band sind also groß und natürlich wurde die Arbeitsteilung beibehalten. Die wunderbare knallige Vorabsingle „Besties“ lässt eine Hinwendung zum verspielten englischen Popsong vermuten, der Rest der Songs wendet sich aber dem englischen Folk der Siebziger und seinen Verwirrungen zu. Bei aller Virtuosität und Soundbastelei wird aber auf die Songs vergessen. Vokal- und Instrumentalakrobatik hat der Seele von Liedern noch nie geschmeichelt, und das ist auch hier nicht anders. Sackgassen sind dazu da, um die Richtung wiederzufinden, und wenn das gelingt, wäre die Zukunft von Black Country, New Road wieder ein Versprechen.

Black Country, New Road „Forever Howlong“ (Ninja Tune)
Verlassen kann man sich bei Viech auf sehr wenig. Waren ihre letzten Alben voll von sorgfältig produzierten Songs wie dem großartigen „Ich hab viele Fehler gemacht“, so setzt die Band rund um Paul Plut und Christoph Lederhilger mit „Vollmond“ auf den magischen Moment. Aufgenommen wurden die Songs in einer einzigen Vollmondsession, und die „Fehler“ wurden mit voller Absicht nicht korrigiert, denn Magie ist unteilbar. Eitelkeit kann man Viech wahrlich nicht unterstellen, aber bei aller Rohheit und Imperfektion strahlen die Songs voller Energie zwischen großem Unsinn und ewiger Aktualität, wie z. B. „Schiebt euch eure Wettbewerbsfähigkeit in den Arsch“. Und so wird „Vollmond“ am Ende zum spontanen kollektiven Triumph.

Viech „Vollmond“ (Abgesang)
„Live im Stadtsaal“ ist die Liveaufnahme einer legendären Supergroup: Ernst Molden, Willi Resetarits, Walter Soyka und Hannes Wirth waren eine Band, die das Schicksal zusammengeführt hatte und deren Heimat trotz ihrer vier ausgezeichneten Alben die Bühne war. Und da nahm die Bühne im Stadtsaal einen ganz besonderen Platz ein. Blindes Verständnis und Liebe zueinander sowie zu den Songs waren bei keinem Konzert zu überhören – und das ergibt ein Fest für den Musikfreund. Die Moderationen sind integraler Bestandteil des Konzerts und wurden nicht entsorgt. So wird dieses Doppelalbum zum essenziellen Dokument der österreichischen Musikgeschichte, zum wahren Glücksfall. Die Versionen von Molden-Klassikern „es lem“ oder eingebürgerte Songs wie „gschbiast en regn“ strahlen hell wie immer, und zum Abschied gibt es natürlich einen Abstecher in die „hammerschidgossn“. Vielleicht darf man an dieser Stelle eine Bootleg-Series des Wirkens von Willi Resetarits und Ernst Molden anregen, denn das Konzert mit den Strottern in der Wiener Arena schreit ebenfalls nach einer Veröffentlichung.

Molden, Resetarits, Soyka, Wirth (Bader Molden Recordings / Hoanzl)