Der flämische Designer Dries Van Noten, Jahrgang 1958, ist eine Ausnahmeerscheinung im Modegeschäft: Mit seiner zurückhaltenden Art und seinem äußerlich fast biederen Auftreten – er trägt Seitenscheitel zu unauffälligen Hosen und Hemden – bildet er einen Kontrast zu den meisten seiner Kollegen. Da werden keine Lagerfeldschen Bonmots im Sekundentakt abgefeuert, und auch die Exzentrizität etwa eines Jean Paul Gaultier liegt ihm fern. Van Noten beeindruckt tatsächlich konsequent mit seiner im Hochpreissegment angesiedelten Mode. Die teils ethnisch, teils popkulturell angehauchten Stücke aus exquisiten Stoffen sind dabei überaus farbenfroh und kombinieren eine Vielzahl an Stilen und Mustern – was in anderen Händen schnell Gefahr laufen würde, zum geschmacklosen Potpourri zu werden, wirkt bei Van Noten überaus stimmig und ästhetisch. Der Mann hat einen derart guten Ruf, dass er es sich sogar leisten kann, auf Werbeschaltungen zu verzichten.
Ähnlich unspektakulär wie Van Noten selbst gibt sich auch Reiner Holzemers dokumentarisches, in passender Schlichtheit Dries betiteltes Porträt: Ein wenig Direct Cinema, das Van Noten bei der Arbeit und in privaten Momenten zeigt, wird durch Interviews mit ihm selbst und allerlei Modeexperten gegliedert. Dazu gesellen sich Archivmaterial und Aufnahmen von Modeschauen. Man kann darüber streiten, ob der Film, der hierzulande während der Hundstage anläuft, unbedingt im Kino ausgewertet werden muss, denn im Großen und Ganzen haftet ihm doch der Look einer – gut gemachten – Fernsehdokumentation an. Das sollte angesichts der Filmografie des Regisseurs, der für Sender wie Arte, ARD und ZDF bereits über 30 Dokumentarfilme gedreht hat, allerdings auch nicht verwundern (auch Dries entstand in Zusammenarbeit mit Arte). Visuell so spannend wie die allererste Einstellung, in der ein Model zum Klang von Vogelgezwitscher aus dem Dunkel auftaucht und über einen Catwalk im Wiesenlook spaziert, wird der Film später nur noch selten; lässt man formale Bedenken wie diese beiseite und bringt Interesse für den Gegenstand mit, bietet der Film aber durchaus interessante (ein Lieblingswort des Designers) Einblicke in Vita und Schaffen des Designers. Man wird Zeuge, wie Van Noten und sein Team die Stoffe auswählen, sieht, wie er bis zur letzten Minute mit perfektionistischer Besessenheit an seinen Kollektionen feilt und wie nervös er vor jeder Präsentation aufs Neue ist. Und man kommt angesichts der zahlreichen Kollektionen nicht umhin, beeindruckt zu sein vom „perfekten Gleichgewicht aus Farben und Proportionen“, wie es Pamela Golbin, Chef-Kuratorin des Musée de la Mode et du Textile, auf den Punkt bringt. Und Modeikone Iris Apfel ergänzt: „Er macht immer das Unerwartete. Das trauen sich in der Modewelt nicht viele.“
Der Privatmann Dries Van Noten wirkt im Film derart nett und bescheiden, dass das Porträt, wenn es ins Persönliche geht, auch dementsprechend wenig aufregend ist (Van Noten lebt seit beinahe dreißig Jahren mit seinem Lebensgefährten, der auch an den Kollektionen mitarbeitet, zusammen; das Haus, das sie bewohnen, machen sie in der raren Freizeit mit Phantasie und Detailverliebtheit zum Gesamtkunstwerk). Immerhin: Am Ende ist man davon überzeugt, dass der Mann seinem Beruf nicht so sehr des Geldes oder Ruhmes wegen nachgeht, sondern weil er dafür brennt. Und das macht ihn schließlich noch sympathischer.
DRIES
Dokumentarfilm, Deutschland/Belgien 2016
Regie Reiner Holzemer Kamera Reiner Holzemer, Toon Illegems,
Erwin Van Der Stappen Schnitt Helmar Jungmann, Stephan Krumbiegel
Ton Wouter Frans, Ludo Geerts, Jevon Lambrechts
Verleih Filmladen, 90 Minuten
Kinostart 18. August