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Die Musikstadt erfindet sich neu

Text: Lohberger Paul | Fotos: Wien Museum
Foto: Erich Lessing

Epochen, Orte, Szenen – dazu natürlich die entsprechenden Tonträger und andere Reliquien: Beim Gang durch die Ausstellung präsentiert sich die Geschichte der Musikstadt nach 1945 als Abfolge von spannenden Szenen lokaler Prägung, sodass auch die gern bemühte Aussage „Es hat ja nichts gegeben“ fragwürdig erscheint. Es scheint vielmehr, als wäre die Musikstadt Wien immer schon eine Popstadt gewesen. Schließlich gibt es hier auch mitten in der Stadt ein riesiges Wiener popfest: Dieses war schon Thema im letzten FAQ, rekapituliert werden muss trotzdem, dass der Display progressiver Popmusik aus Wien und Österreich 2010 auch mit einer Wurzelsuche begann – und auf den historischen Verdienst der Worried Men Skiffle Group fokussierte, die Dialektdichtung mit einem internationalen Popsound der Zeit um 1970 verband, irgendwie (dazu später).

Wien Pop – die neue Bibel

Eine systematische Erfassung von Popmusik in Österreich hatte schon vor einer Weile begonnen, 2013 erschien schließlich das Buch „Wien Pop“ im Falter Verlag, ein Ziegel mit einem Umfang von gut 400 Seiten (zum Vergleich: Jazz, Rundfunk- und Populärmusik bespielen ca. 26 von über 1000 Seiten der 1995 erschienen „Musikgeschichte Österreichs“ – freilich, ausgehend vom Paläolithikum). Zwei der Autoren des Wien Pop Buches, nämlich Walter Gröbchen und Thomas Mießgang, waren nun gemeinsam mit Michaela Lindinger Kuratoren der Ausstellung. In „Wien Pop“ geht es nicht mehr um Ausschnitte, bestimmte Szenen oder Subkulturen, auch wenn Pop in Wien lange diesen Status hatte – es geht um das ganze Bild. So findet sich auch gleich ein großer Stadtplan am Eingang zur Ausstellung, mit den Orten, die in der Ausstellung vorkommen, und tatsächlich: Die Stadt scheint übersät mit Popschauplätzen! Diese Vogelschau ist freilich bereits eine Konstruktion …

Sagenhafte und reale Orte

Eine Woche habe er den Strohkoffer gesucht, doch alle Erwartungen hätten sich erfüllt, als er dann dort war, berichtet mir ein alter Mediziner in der Ausstellung. Er hätte seinem Vater weisgemacht, er müsse den Studienort wechseln, weil die Medizin in Wien viel besser sei als in Innsbruck. In Wahrheit hatte der Mann auf Radio Rot-Weiß-Rot, dem von den Amerikanern gegründeten Besatzungssender, ein Konzert aus dem Strohkoffer gehört – und diesen Jazz wollte er unbedingt live erleben. Der Strohkoffer markiert einen Schnittpunkt von künstlerischer und musikalischer Avantgarde. Unter der Loos Bar 1951 bis 53 vom Wiener Art Club betrieben, war das Lokal winzig, doch ein Klavier hatte Platz. Joe Zawinul und Friedrich Gulda spielten und diskutierten Jazz, internationale Musiker, die in der Stadt waren, fanden sich zu Sessions ein. Der Maler Hundertwasser ist als Gast auf Fotos dokumentiert und stellte hier aus, H. C. Artmann und Hans Weigel hielten Lesungen. Trotz dieser hochkarätigen Besetzungen konnte man einfach hingehen, berichtet der Zeitzeuge. Das Interesse für die retrospektiv betrachtet hochkarätige Kultur hielt sich offenbar in Grenzen.

Kommerz, Progress und Gegenkultur

Aus den 1950ern heraus entwickelte sich eine Unterhaltungskultur, die jung und modern, aber nicht zwingend rebellisch sein wollte. Gewerkschaftlich organisierte 15 Schilling Eintritt sorgten Anfang der 1960er für einen geordneten Betrieb in Tanzlokalen mit Livemusik. Die Klangwelten dieser Zeit sind heute durch die ersten zwei Schnitzelbeat-Sampler wieder verfügbar, die die besten und schrägsten Stücke aus der biederen Ära versammeln. Verrucht wurde es ab Ende der 1960er, als Gitarrenvirtuose Karl Ratzer sehr adäquaten Acid Rock spielte. Das Voom Voom beeindruckte als High Tech Disco mit dem vollen Programm der Lichteffekte, inklusive Stroboskop – klarerweise befindet eine Zeitgenossin, dass sie dort hinginge, „weil es sonst nichts gibt“. Bald darauf beginnt die Phase des Austropop, der zwar musikalisch eher campy, aber durch die Sprache originell ist …

Vollständiger Artikel in der Printausgabe.


Ganz Wien. Eine Pop-Tour

bis 25. März 2018

Wien Museum Karlsplatz

| FAQ 44 | | Text: Lohberger Paul | Fotos: Wien Museum
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