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Flucht ohne Ende

Text: Bert Rebhandl | Fotos: Stadtkino

Im Jahr 1940 sah es für eine Weile so aus, als könnte bald ganz Westeuropa unter deutscher, nationalsozialistischer Herrschaft stehen. Halb Frankreich war besetzt, und die Routen für Menschen auf der Flucht wurden immer unwegsamer. An der Mittelmeerküste und in Lagern an der Nordseite der Pyrenäen herrschten Ungewissheit und Verzweiflung. 1940 starb der Philosoph Walter Benjamin von eigener Hand, nachdem er zu Fuß die spanische Stadt Portbou erreicht hatte. Er fühlte sich auch dort nicht sicher. In dem Roman „Transit“, den Anna Seghers in den Jahren 1941 und 1942 im Exil in Mexiko schrieb, wird auf Benjamins Tod angespielt, wie auch in Christian Petzolds Verfilmung. Im Roman hat der Verweis allerdings eine andere Funktion als im Film. Wenn Anna Seghers von Benjamin spricht, dann meint sie im Grunde sich selber, und Figuren wie Hannah Arendt, oder zahlreiche andere Schriftsteller und Denker, die vor den Nazis fliehen mussten. Der Roman „Transit“ erzählt von einer existenziellen Grenzsituation, und von der Hafenstadt Marseille als einem Ort, an dem die Widersprüche der Grenz- und Migrationsregimes bis ins Absurde gesteigert erlebt wurden. Wenn Christian Petzold auf Benjamin anspielt, dann ist das hingegen nicht in einem historischen Sinn konkret, sondern vielleicht eine intellektuelle Verbeugung vor einem Mann, dem die Welt nicht zuletzt wesentliche Einsichten in das Übersetzen verdankt.

Übersetzungen gibt es zwischen Sprachen, aber auch zwischen Kunstformen, und zudem gibt es in „Transit“ auch einen mythologischen Hintergrund: Der Versuch, in ein freies Land wie Mexiko überzusetzen, kann tödlich enden, wäre also ein Übersetzen über den Fluss, der in den Erzählungen der Griechen das Land der Lebenden vom Land der Toten trennt. In jedem Fall gibt es gute Gründe, dass man Transit von Christian Petzold als Übersetzung (und nicht einfach Verfilmung) des gleichnamigen Romans von Anna Seghers verstehen könnte – eine Übersetzung im vielschichtigen Sinn dieses Worts.

Der Kern der Erzählung bleibt dabei gleich. Im Mittelpunkt steht ein junger Mann namens Georg, der in Deutschland aus einem Konzentrationslager geflohen ist, und der zu Beginn gerade in Paris ist, als dort die Deutschen einmarschieren. Er muss also weiter, in Richtung Süden, doch zuvor übernimmt er noch einen kleinen Auftrag: Er soll Briefe zustellen, an den deutschen Schriftsteller Weidel, der in Paris in einem Hotel wohnt. Georg (Franz Rogowski) kommt zu spät. Weidel hat sich das Leben genommen (ein historisches Vorbild für diese Figur bei Anna Seghers war der Schriftsteller Ernst Weiß, der 1940 in Paris starb) …

Vollständiger Artikel in der Printausgabe. 


TRANSIT

Drama, Deutschland/Frankreich, 2018 – Regie Christian Petzold

Drehbuch Christian Petzold, basierend auf dem gleichnamigen Roman von

Anna Seghers Kamera Hans Fromm Schnitt Bettina Böhler Musik Stefan Will

Production Design Kade Gruber Kostüm Katharina Ost

Mit Franz Rogowski, Paula Beer, Godehard Giese, Lilien Batman,

Maryam Zaree, Barbara Auer, Matthias Brandt

Verleih Stadtkino Wien, 102 Minuten

Kinostart 4. Mai 2018

 

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