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Prepared for Peace. Ready for War.

Viele hunderte Jahre ins Dunkel der Geschichte zurückgereist, war einmal ein König, der hatte zwei Söhne. Mit seinen Schiffen sandte er die beiden aus, den Westen zu erobern. Wer zuerst das Ufer berühren sollte, dem würde das neue Reich zu eigen sein. Alsbald segelten die Brüder mit all ihrer Seemannskunst dem Sieg entgegen. Doch keiner vermochte den anderen hinter sich zu lassen. Bug an Bug kamen sie so der Küste gefährlich nahe. Da nahm einer der beiden sein Schwert, hackte sich ohne Zögern mit einem kräftigen Hieb die Hand ab und warf sie ans Ufer. Dort markierte sie blutüberströmt den Beginn einer Herrschaft – die Red Hand of O’Neill.

Die „Rote Hand“ ist auch heute noch das Symbol der Provinz Ulster, deren Grenzen fast identisch mit Nordirland sind. Und die Legende zeigt, in welch erbitterter Weise der Kampf um die Insel 800 Jahre lang geführt wurde.

Unterdrückung, Aufstände und Gewalt bildeten auch den Nährboden, auf dem die ersten Mural Paintings entstanden. Ihre Tradition begann im frühen 20. Jahrhundert. In jenen unruhigen Zeiten fürchteten die Protestanten von Ulster um ihre historische Vormachtstellung. Sie waren die Elite, gebildet und wohlhabend, wohingegen die Katholiken der armen Arbeiterschicht angehörten. Die daraus resultierenden Spannungen entluden sich im Osteraufstand von 1916, der von den Briten brutal niedergeschlagen wurde. Doch die Entwicklung war nicht mehr aufzuhalten. 1918 erklärten sich die Abgeordneten der Partei Sinn Féin („wir selbst“) in Dublin zum ersten irischen Parlament. Die Briten verweigerten jedoch die Anerkennung, und es kam zum Krieg, der 1921 mit der endgültigen Spaltung des Landes endete. Die sechs nördlichen protestantisch dominierten Grafschaften verblieben bei der britischen Krone.

In diesem feindlichen Klima der Isolation konnte eine besondere Form von Nationalismus gedeihen. Zum Teil waren die frühen Mural Paintings Ausdruck dieser Stimmung. Aber sie gehen auch auf eine wesentlich ältere Tradition zurück – die Feier des Sieges von King William über den katholischen King James. Der Battle of the Boyne führte 1690 zur Enteignung vieler irischer Katholiken. Für die Protestanten ist der 12. Juli jedoch ein Festtag, an dem sie auch heute noch gemeinsam stolz marschieren. Im späten 19. Jahrhundert fand die Verehrung für König William, kurz „King Billy“ genannt, Ausdruck in bemalten Bannern, die weithin sichtbar auf den Märschen getragen wurden. Mit der Zeit entwickelten sich daraus auch Wandgemälde mit denselben Motiven – das war die Geburtsstunde der ersten Mural Paintings.

Während des gesamten 20. Jahrhunderts ritterten die unionistischen Bezirke in jeder Stadt und jedem Dorf Nordirlands um das beste Mural. In den Achtziger Jahren kam schließlich mehr Bewegung in die Szenerie. Zu diesem Zeitpunkt begannen erstmals auch Republikaner, Murals zu malen. Obwohl die Auseinandersetzungen bereits in den Siebziger Jahren einen Höhepunkt erlebt hatten – mit Bürgerrechtsbewegung, Willkür der britischen Internment-Politik und Bloody Sunday – riefen erst die Hungerstreiks im berüchtigten Maze-Gefängnis katholische Künstler auf den Plan.

Den Hintergrund der Streiks bildete damals der verlorene Sonderstatus als „politische Gefangene“, der IRA-Anhängern nach 1976 aberkannt wurde. Als Reaktion auf die Behandlung als gewöhnliche Kriminelle weigerten sich über 500 Häftlinge, Gefängniskleidung zu tragen und sich zu waschen. Die Proteste gipfelten 1981 in einem Hungerstreik, bei dem zehn Aktivisten starben. In der Bevölkerung kam es zu Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen, um den Streikenden politisch und moralisch den Rücken zu stärken. Und auch die Mural Paintings sollten in aller Öffentlichkeit der Helden dieser besonderen Schlacht gegen das Empire gedenken. In einigen Murals ist das „H“ auch heute noch als Symbol für den berühmten H-Block von Maze zu sehen.

Auf unionistischer Seite wurden als Gegenreaktion viele Mauern von paramilitärischen Loyalisten übernommen und statt des historisch verniedlichten King Billy fanden sich ab diesem Zeitpunkt verhüllte und bewaffnete Männer als Hauptmotive. Die politische Verhärtung der Fronten spiegelte sich auch in der Kunst wieder. Dreißig Jahre Troubles (1969–1998) forderten das Leben von mehr als 3.500 Menschen. In diesen grauen Tagen prägten militante und hetzerische Gemälde das Straßenbild von Städten wie Belfast und Derry.

Nach dem offiziellen Waffenstillstand zur Zeit des Karfreitagsabkommens 1998 entschieden sich republikanische Muralisten, alle Darstellungen von Waffen zu entfernen. Die unionistische Seite brauchte etwas länger für eine Veränderung. Teilweise wird diese jetzt als Ergebnis eines 3,5 Millionen Pfund schweren Regierungsplans vollzogen.

Obwohl sich der Konflikt inzwischen spürbar abgekühlt hat, sind Murals heute noch genauso populär. Die Republikaner haben zwar viele militärische Gemälde entfernt, erzählen in ihren Bildern aber immer noch stolz über Geschichte, Gemeinschaft und internationale Solidarität. Das erklärt auch, warum sich Malcom X, Che Guevara oder Martin Luther King an nordirischen Hausmauern wiederfinden. Auch die Loyalisten haben sich inhaltlich auf ihr Geschichts- und Gemeinschaftsbewusstsein verlegt und feiern heute lieber Diana, die Königin der Herzen. Apropos populäre Ikonen: Das Begräbnis der Fußball-Legende George Best einte 2005 in Belfast erstmals hunderttausend Trauernde aus beiden Lagern.

Dass die Region noch nicht gänzlich zur Ruhe gekommen ist, zeigten die jüngsten Anschläge in Derry, Crossmaglen und Lurgan. Im letzten August detonierte eine 150-Pfund schwere Autobombe vor einer Polizeistation, im Oktober eine weitere in einer Geschäftstraße. Dazu kamen Krawalle bei einer Demonstration in Dublin, die zu den schwersten seit Jahren gehörten. Der Friede ist immer noch zerbrechlich, in einem Land, das von radikalen Parteien regiert wird und von so genannten „Peace Walls“ filetiert wird.

Wie viele dieser während der Troubles temporär errichteten Mauern immer noch existieren, ist unklar. Allein in Belfast stehen rund vierzig solcher Demarkationslinien aus Eisen, Beton und Stacheldraht. Einige sind klein und unscheinbar, andere sind jedoch so dominant wie die zu trauriger Berühmtheit gelangte Separation Wall in Israel.

In der Regel wird jedoch nicht auf den Peace Walls gemalt – mit Ausnahme von Graffiti und von einigen von der Regierung gesponserten Kunstprojekten. Als Grenze zwischen verfeindeten Nachbarn wäre dies ein viel zu gefährlicher Ort, um ein Mural zu malen, das drei, vier oder mehr Tage zur Fertigstellung braucht.

Heute gibt es in Nordirland ungefähr zwischen 400 und 500 Murals. Eine vergleichbare Tradition findet man nur noch in Chile. Ähnliche Wandmalereien, allerdings nicht in dieser Größenordnung, gibt es in einigen US-Städten wie San Francisco, oder in Orgossolo auf Sardinien.

Die Zahl der Murals schwankt naturgemäß, da immer wieder alte entfernt werden und neue hinzukommen. Die meisten werden von den Künstlern selbst übermalt, um ihrem neuesten Werk Platz zu machen. Einige Gemälde mit militanten Inhalten wurden in den letzten Jahren aber auch im Rahmen des Regierungsprogramms „Reimaging Communities“ entfernt.

Vom Gesetz aus betrachtet sind Murals illegal. Man könnte also sowohl straf- wie auch zivilrechtlich gegen die Künstler vorgehen. Zu Anklagen wegen Unruhestiftung, Volksverhetzung oder Besitzstörung kam es dennoch nie. Es gab aber auch Zeiten während der Achtziger Jahre, als Künstler, besonders republikanische Muralisten, von Polizei und Armee verfolgt wurden, die ihre Werke über Nacht zerstörten.

Die Mural Paitings waren in ihrer hundertjährigen Geschichte stets Ausdruck einer politischen Gesinnung. Es geht allerdings um weit mehr als um die Markierung eines Territoriums. Wichtiger als der Kampf um die Macht ist der Kampf um die eigene Identität. In einer gespaltenen Gesellschaft liegen diese beiden Dinge aber in Wahrheit nicht weit voneinander entfernt.

Dieser Text entstand auf Basis eines Interviews mit Bill Rolston, Professor an der University of Ulster. Der Soziologe dokumentiert seit drei Jahrzehnten die Entwicklung des Mural Painting, der typisch nordirischen Form politischer Straßenkunst.

| FAQ 11 | | Text: Ruth Schink
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