Göstling an der Ybbs (NÖ) ist nicht unbedingt als künstlerisch-kultureller Hotspot bekannt, das Mendlingtal, unweit des Ortes gelegen und aufgrund seiner Größe kaum mehr auf den Karten zu finden, könnte hingegen einer werden. In der Mendling Nr. 6 residiert Familie Staudinger im alten Hammerherrenhaus, das sich schon allein durch die Farbgebung von dem hier sonst Üblichen abhebt. Das hellrosarot monochrom gestrichene Gebäude ist seit 1800 in Familienbesitz und seit einigen Jahren arbeitet Florian Staudinger daran, das 16 Zimmer große Haus innen wie außen seinen Vorstellungen entsprechend zu verändern. Mit dem Ergebnis hat es der „Wurschtel vom Land“, wie er sich im Interview scherzhaft bescheiden und doch stolz bezeichnet, zu einem Artikel in der „New York Times“ gebracht. In der Print- und Onlineausgabe berichtete man in der Rubrik Great Homes and Destinations über das kleine „Castle“ und dessen Renovierung sowie Innengestaltung. Die Reaktionen aus dem In- und Ausland ließen nicht lange auf sich warten. Man will Florian Staudinger kennenlernen und mit ihm arbeiten. Er selbst hat die gedruckte Ausgabe erst spät in die Hände bekommen: „Es war mir nicht möglich in Österreich ein Exemplar aufzutreiben! Gott sei Dank konnte ich mir die Geschichte und die Bilder schon vorab im Netz anschauen …“
Der Weg zur Kunst war für ihn einer mit vielen Umwegen. Ein begonnenes Wirtschaftsstudium bringt mehr Verdruss als Freude. „Das Scheitern, täglich – mehrmals, gehörte zum Alltag wenn man sich große Ziele setzt. Irgendwann hab ich dann die Strategie geändert und so hat sich auch das Scheitern verändert, es nahm eine andere, mir angenehmere Form an!“ Nach dem Unfalltod des älteren Bruders findet ein Umdenken statt, der Gedanke, dass es jederzeit vorbei sein kann, lässt ihn sein Leben neu ordnen. Die Veränderung heißt Kunst und wird von diesem Moment an sein weiteres Leben bestimmen. Die Beschäftigung mit Design und Kunst geschieht aus einer inneren Notwendigkeit heraus. Nach einem kurzen Intermezzo des Studiums der Kunstgeschichte beginnt er ein 13-monatiges Praktikum bei Sotheby’s in Wien, es folgt eine Fixanstellung, die ihn u. a. auch nach Kapstadt führt. „Während meiner vier Jahre bei Sotheby’s habe ich viel über den Kunstmarkt gelernt. Es war spannend und aufregend, dies war eine wichtige Erfahrung für mich!“ Danach verlangte die Situation nach Veränderung. Der Enge Österreichs entflieht er nach New York, wo er seinen Master für Contemporary Art am Sotheby’s Institute absolviert. In NYC lernt er auch seinen Lebensmenschen und nunmehrigen Firmenpartner Paul Hallam kennen. Seine Übersiedelung nach New York erwies sich als Glücksfall – die Stadt, die er als seine Ideenlieferantin bezeichnet, wurde zu seiner zweiten Heimat. „Ich bin ein Ideensammler – und dafür ist diese Stadt ein guter Ort!“ In schwierigen Zeiten sind es die Künstler und deren Werke, die ihn beflügeln. Aus ihnen schöpft er die Kraft nach einer schwierigen Situation oder einem Misserfolg wieder von vorne beginnen zu können. Während seiner New Yorker Zeit kehrte er immer wieder in die Heimat zurück. „Jedes Mal wenn ich von Amerika nach Göstling kam, hatte ich ein Packerl von Ideen dabei, die ich umsetzen wollte. Dafür ist das Mendlingtal bestens geeignet, die Abgeschiedenheit und Ruhe ist ideal für mich – sofern ich ab und an wieder raus kann!“ Wenn die arbeitsintensiven Zeiten, in denen er das Mendlingtal kaum verlässt, zu lange andauern, holt er sich Freunde ins Haus. „Wenn mich Paul besuchen kommt, hat er die große Welt und natürlich New York im Gepäck, das ist so als würde mich meine zweite Heimatstadt besuchen kommen!“
In New York fühlt sich Florian Staudinger zum ersten Mal richtig wohl. Denn das Gefühl nirgendwo dazuzugehören, ist ihm seit Kindertagen ein ständiger Begleiter. „Ich bin ein Kämpfer! Und ich wäre wohl nicht der, der ich heute bin, hätte es nicht all die schwierigen und komplizierten Lebensphasen gegeben.“ Bei der Beschreibung seiner Person fallen Stichworte wie bodenständig, komplex, aber auch stur und besessen. Aber eigentlich sieht er sich als gesellige, unkomplizierte Person, der Familie sehr wichtig ist. Auch seine „zweite“ Familie hat einen großen Stellenwert in seinem Leben: „Meine Freunde und meine Künstler, all jene, die mich inspirieren und meine Grenzen erweitern und Sichtweisen verändern – diese Menschen sind wichtig für mich!“
Die Arbeit mit seinen Künstlern und Auftraggebern ist individuell auf die jeweilige Person abgestimmt. Ein intensives Kennenlernen ist dabei unumgänglich, erst währenddessen kann in Gesprächen und Diskussionen eine Strategie entwickelt werden. Dies kann die Vermittlung eines Künstlers sein, das Bestücken einer Yacht mit Kunstwerken oder die Innenraumgestaltung samt Lichtsystem eines Penthouses. Es ist eine enge Zusammenarbeit, bei der immer das „Miteinander“ im Vordergrund steht. Das Ziel erkenne man manchmal erst während des Arbeitsprozesses, nicht vorher. „Es gibt natürlich auch Leute, die lieber in eine Galerie oder ein Office gehen, um sich beraten zu lassen. Meine Art an Dinge und Menschen heranzugehen, passt nicht für jedermann. Ich bin ein harmoniesüchtiger Mensch. Das heißt, ich versuche, mir diese Harmonie zu schaffen – und gleichzeitig auch meinen Kunden. Das gibt mir Befriedigung!“
Der zukünftige Sitz der Firma StaudingerHallam wird sich im beschaulichen Mendlingtal befinden. Ein mutiger Schritt, der früher womöglich einem intellektuellen Selbstmord gleichgekommen wäre, in heutiger Zeit kann die Abkehr vom Urbanem mit Sicherheit als erfrischend positiv gesehen werden. Es anders als die anderen zu machen, könnte fast als Credo gelten.
Das fast schon kitschig schön gelegene Haus ist im ständigen Wandel begriffen, es wird, so der 33-Jährige, nie fertig sein. Als Perfektionist zählt Zufriedenheit nur selten zu seiner Gefühlswelt. „Stillstand ist der Tod …“, zitiert er eine Liedzeile von Herbert Grönemeyer, während er nach 30 Minuten Gespräch langsam unruhig zu werden beginnt. Immer wieder segelt sachte ein vereinzeltes Blatt vom großen Lindenbaum vor dem Haus auf den Rasen. Am liebsten würde er mit dem Rechen kurz über den Rasen huschen, das sieht man ihm an. Obwohl er dabei ganz im Gespräch bleibt, ist die Ungeduld spürbar. Seine größte Schwäche sei die Ungeduld, die er mit großer Ausdauer und seinem Durchhaltevermögen aufwiegt. „Ich möchte in der Mendling einen magischen Ort schaffen, der Möglichkeiten bietet, ein Ort, wo vieles gut wird!“ Auf die Frage, wozu Kunst da ist, kommt die Antwort rasch: „Wenn sie nichts bewirkt, braucht man sie nicht.“
Das Interesse am Kunstmarkt ist groß, jedoch gibt es Vorbehalte gegen diese alles verschlingende Maschinerie! Ich verstehe jeden Sammler, der die finanziellen Mittel hat, ein Bild um Unsummen zu erwerben. Denn wenn es das letzte Teilchen im großen persönlichen Lebens-Puzzle ist, ist dieses Habenwollen, das Vollendenwollen, der stärkste Antrieb.“ Die Linie des Sammlers Florian Staudinger liegt in der Qualität der Idee. Seiner Meinung nach muss Kunst ein Geheimnis in sich tragen, das man immer wieder aufs Neue zu entdecken versucht. Es darf dieses aber nicht preisgeben, ansonsten ist es kein gutes Kunstwerk! So ist es für Florian Staudinger auch mit Menschen, es muss immer etwas geben, dass man nicht fassen, nicht benennen kann – so bleiben sie interessant. Die Arbeit mit seinen Kunden ist eine ständige Herausforderung. „Künstler können auch enttäuschen, auf privater wie auf künstlerischer Ebene. Das passiert. Meiner Erfahrung nach ist es so, dass wenn der Grundcharakter eines Künstlers stimmt, dann stimmen meist auch die Arbeiten. Ausnahmen inklusive. Der Mythos vom schwierigen und komplexen Künstler ist schon abgedroschen … jeder Mensch ist schwierig und komplex.“ Die weitaus größere Herausforderung liegt vermutlich woanders, denn das erklärte Ziel ist es, die gemeinsame Firma mit Paul Hallam noch internationaler zu gestalten. Großes Interesse der beiden Firmengründer liegt hierbei am asiatischen Markt. Insofern kommen die Reaktionen auf den New-York-Times-Artikel aus China und Korea gerade zur rechten Zeit. „Ich bin ein Vermittler, ich bin gut, in dem was ich mache – man kann sagen: Ich bin im richtigen Job!“ Ob er nun von New York Ideen mit nach Österreich nimmt, oder umgekehrt, Inspirationen gibt es genug, sie kommen von überall. So kam es auch, dass er sich entschloss, das von seinen Eltern begonnene Renovierungsprojekt in der Mendling nach einem schweren Unfall des Vaters zu übernehmen.
Das Hammerherrenhaus bestand einst aus nur einem einzigen Raum. Um dieses Zimmer herum, das um 1400 errichtet wurde, entstanden im Laufe der Jahrhunderte weitere Räume. Das Gebäude wurde sukzessive erweitert und aufgestockt. Anfang 1800 kam es durch eine Heirat in den Besitz der Familie Staudinger. Zum Hammerherrenhaus gehören noch weitere kleinere Liegenschaften. Dazu zählt auch das etwas abseits gelegene „Neuhaus“, das ehemalige Gästehaus, in dem sich u. a. eine alte Rauchkuchel und ein schöner Kachelofen im josefinischen Stil befinden. Die Zimmer dieses Gebäudes werden als Schauräume genutzt, wo z. B. neben dem türkisblauen Kachelofen eine Installation von Manfred Unger, ein schwarzes Lackbett, platziert wurde. Zu Beginn der Renovierungsarbeiten war das Haus in denkbar schlechtem Zustand. Das Dach war leck, die Böden brüchig und der Bach begrenzte das Gebäude nicht nur idyllisch an zwei Seiten, er unterwanderte es auch und durchfloss wenig romantisch das Fundament. Florian Staudinger hat sich dieses Projekts angenommen und mit der Unterstützung seiner Eltern etwas Besonderes geschaffen.
Seine Vorstellungen standen oft im krassen Gegensatz zu jenen seiner Eltern. Auf dem langen steinigen Weg der Veränderung gab es viele Widerstände zu überwinden. Schlussendlich hat er seinen Willen durchgesetzt, ob bei der Farbe des Hausanstrichs oder der Gestaltung der Küche. Die Schwierigkeiten, die ein solches Vorhaben mit sich bringen, sind enorm. Ein Indiz dafür, dass trotz manch Zwistigkeit, der Haussegen nicht allzu schief hängen kann, ist der Umstand, dass die Eltern, Renate und Heinz Staudinger, das Haus ebenso nützen wie Florian. Herzstück ist die Küche, nicht nur weil der Art Consultant und Designer ein ebenso guter wie begeisterter Koch ist, sondern weil auch hier mit den großen Veränderungen begonnen wurde. Sind Gäste im Haus wird meist im ältesten Raum des Hauses gedeckt. In diesem wurde kaum etwas umgestaltet, so dass sich hier die Ursprünglichkeit erhalten hat. Betritt man diesen Raum, begibt man sich auf eine Zeitreise: Die Einrichtungsgegenstände mitsamt dem Kachelofen sind uralt-Inventar, während ringsum im Haus Neues mit Altem, Kunst mit Design verwoben wurde. Herr Staudinger ist immer auf der Suche: Kunst, Design, Antiquitäten und Teppichen. Die Übergänge sind fließend und spiegeln den Charakter einer kulturell offenen und vielschichtigen Persönlichkeit wider.
„Wahrscheinlich bin ich ein Getriebener … ich will beweisen, dass ich kein Träumer bin!“ Ein Beweis dafür stellt die Auswahl der Kunstwerke im Hammerherrenhaus dar. Die Bilder, Fotografien und Installationen erzählen Geschichte. Wie in vielen Familien gibt es dunkle Stellen in der Vergangenheit. Diese mittels Kunst aufzuarbeiten, ist für Florian Staudinger eine Möglichkeit, die er durch die Wahl an Werken umzusetzen versucht. „Kunst ist eine Sprache mit der man sich ausdrücken kann, ohne etwas zu verbalisieren. Ich konnte auf diese Weise Dinge sagen, die anders weder ausgesprochen noch gehört hätten werden können. Der fluoreszierende Elektrische Stuhl von Bernhard Frühwirth thematisiert für mich dieses Tabu.“ Durch die Platzierung von Kunstwerken soll man Geschichte zeigen können, sodass offensichtlich wird, worum es geht, der Betrachter darf dem nicht entkommen. So sei es machbar, Geschichte umzuformen oder zu bewegen. In der Kunst sind es die starken Impulse und Statements, die etwas erreichen. Hierbei spielt auch das Werk von Gabi Trinkaus eine wichtige Rolle. Für Florian Staudinger ist sie mit ihren Arbeiten ein Beweis dafür, wie komplex und brüchig die Gesellschaft geworden ist. Täglicher Überfluss von Konsum und Werbung überschatten den eigentlichen Charakter eines Menschen, so dass der wahre Kern tief im Hintergrund verborgen bleibt.
Auf die Frage, ob ihn seine Anwesenheit im Mendlingtal entspanne, so wie dies bei seine Gästen und Freunden der Fall sei, antwortet er nach kurzer Überlegung: „Nein, die Mendling entspannt mich nicht, weil ich von Arbeit besessen bin.“ Sein Blick gleitet langsam über die Landschaft um sich herum, während er auf der Holzbank unter dem alten Baum vor dem Haus sitzt und an seinem Kaffee nippt. Er ist nicht nur der Art Consultant im gut geschnittenen Anzug und weißen Hemd – so wie auf den Fotos von Andreas Meichsner –, sondern er ist auch Hackler. „Meine Arbeitsmontur ist eine kurze Lederne, da haben weder Anzug noch Krawatte Platz. Ich muss immer mittendrin sein, um den Charakter eines Ortes aufzugreifen und zu verstehen … ich kann nicht daneben stehen und zuschauen!“ Nach einer längeren Pause fügt er noch hinzu: „Eigentlich bin ich mit meiner Ungeduld ungeeignet für so ein Projekt wie die Mendling!“ Das kann man auch anders sehen!