Der Ruhm von Beth Gibbons beruht auf dem Debüt von Portishead und dem Bewusstsein, dass hier eine besondere Sängerin den neuen Klängen des Trip-Hops ihre Stimme lieh. Dazu kam, dass sie sich von Anfang an den Zwängen des Popstar-daseins vollkommen verweigerte. Liveauftritte sind rar, Interviews praktisch inexistent und in den letzten Jahren war ihr Rückzug praktisch komplett vollzogen. Umso größer die Überraschung, als sie am 29. November 2014 in der Oper in Warschau mit dem polnischen Radiosymphonieorchester auftrat und den Gesangspart in Henryk Górec-kis 3. Symphonie übernahm (Domino Records). Krzysztof Penderecki dirigierte diesem Ausnahmeabend, und es muss für Gibbons ein weiter Weg gewesen sein, die Symphonie der Klagelieder auf Polnisch zu singen – doch es spricht für ihren Arbeitsethos, dass sie die Vorbereitung auf sich nahm und diesem von Streichern getragenen Werk ihre eigene Tiefe schenkte. Auf die Verbindung der großen Popstimme mit dem Neoklassiker Gorecki muss man zwar einen Satz lang warten, aber diese Kombination zeigt, dass sie nicht nur funktioniert, sondern eine Ehe ist, die im Himmel geschlossen wurde.
Mit dem Himmel hat Steve Earle wenig zu tun, aber er hält sich alle Optionen offen. Auf die Frage warum er nun mit „Guy“ (New West Records) ein Album mit Songs seines 2016 verstorbenen Freundes und Lehrmeisters Guy Clark veröffentlicht hat, antwortete er, dass er im Himmel nicht den Vorwurf von Guy Clark hören wollte, dass er eine Platte mit Songs von Townes van Zandt aufgenommen hat, aber nicht von ihm. Diesen Vorwurf würde er nicht eine Ewigkeit aushalten. Earle holt ewige Lieblingssongs wie „L.A. Freeway“ oder „Desperados Waiting For A Train“ in sein typisches Countryrockgewand und da er mit diesen Songs schon seit mehr 40 Jahren lebt, kann er natürlich nichts falsch machen. Ein Liebender spielt hier Songs eines großen Könners und bewahrt so das Erbe, das es weiterzutragen gilt. Eine Offenbarung.
Das gilt auch für „Hände weg von Allem“ (Lotterlabel) von Fuzzman, der hier sein Bravourstück abliefert. Wie er einen selbstgebastelten Dancefloorknaller wie „In The Gold“ an die Weltuntergangsballade „Ein Stern der keinen Namen trägt“ reiht, ist absolut meisterlich, und gerade wenn man denkt, dass er wenigstens nicht in Richtung Bee Gees abbiegt, nimmt er natürlich genau diese Abzweigung und legt dann mit einem tiefempfundenen Kärntnerlied nach. Hier treffen sich Humor, musikalische Meisterschaft, Mut und die Erfahrung eines besessenen Routiniers, der auch mit Naked Lunch schon lange die Bühnen des deutschen Sprachraums bespielt. In einer Zeit, wo eine Soundidee oft über ein ganzes Album zelebriert wird, vertraut Fuzzman der wunderbaren Vielfalt und gewinnt auf allen Linien. Wenn man noch eines drauflegen wollte, könnte man von Österreichs „Revolver“ sprechen, und es würde keinen Widerspruch geben.
Seit der Auflösung der Frames, deren Erbe immer größer wird, veröffentlichte Mastermind Glen Hansard drei Soloalben, auf denen er uns Songs wie „Winning Streak“ schenkte, und die allesamt zum großen Teil akustisch und reduziert aufgenommen wurden. Aber auch bei ihm scheint sich ein Gefühl der Sattheit mit diesem Setting breitgemacht zu haben. Auf seinem vierten Album „This Wild Willing“ (Anti Records) nimmt der Livemagier aus Irland daher eine andere Ausfahrt. Elektronische Soundtupfer, Improvisation und Kooperation mit neuen Musikern sind angesagt. Da kommt ein liegengelassener Beat aus den Under-Pressure-Sessions von David Bowie und Queen zum Einsatz, und die von seinen Konzerten bekannten Streicher und Bläser sorgen für einen Cinemascopesound, der Songs wie „Don’t Settle“ strahlen lässt. Anderswo biegt er in Richtung Lambchop ab, und wenn man glaubt, er ist in „Fools Game“ wieder bei der Hausmarkenballade gelandet, tobt ein Soundsturm los, wie er ihn seit den Zeiten der Frames nicht mehr losgelassen hat. „This Wild Willing“ ist ein Befreiungsschlag des ewig Suchenden Hansard und gleichzeitig die erste Platte seit langen, die seinen Auftritten gerecht wird.
Wenn Stuart A. Staples seinen Tindersticks wieder einmal eine Pause verschreibt, dann arbeitet er meist für die große französische Directrice Claire Denis. „Music For Claire Denis’ High Life“ (Cityslang) ist die mittlerweile achte Zusammenarbeit der beiden und Staples zieht alle Register für den Film, der auf einem Gefängnisraumschiff in der Zukunft spielt. Grausam beengende dystopische Sounds reihen sich an seltsame Regengeräusche, auf die Staples lange warten musste, ehe sie in die Paellapfannen im Studio fielen und er sie aufnehmen konnte. Und wenn man vom Soundpanorama schon hin- und hergebeutelt ist, dann lässt er Hauptdarsteller Robert Pattinson „Willow“ singen, einen Song, der natürlich seine Nähe zu den Tindersticks nicht verleugnen kann, der aber die Reise auch dank stoischen Könnens von Pattinson mit einem Funken Hoffnung abschließt.
Wie Stuart A. Staples sind auch The National nicht gerade für ihre Geschwindigkeit bekannt und über allem thront immer die Stimme von Sänger Matt Berninger. Eigentlich wollte Berninger für einen Film mit Regisseur Mike Mills zusammenarbeiten, aber neben einem Kurzfilm war das Ergebnis „I Am Easy To Find“ (4AD), ein übervolles Album auf dem Berninger seine Rolle mit einer Reihe von Gastsängerinnen wie Lisa Hannigan, Sharon Van Etten oder Gail Ann Dorsey teilt. Man könnte The National vorwerfen, dass sie oft den gleichen Song schreiben, aber die Zusammenarbeit mit Mills dürfte die Kreativität und die Lust am Songschreiben und Soundbasteln in neue lichte Höhen gehoben haben. Denn wie Berninger seine Geschichten vom Loslassen und allen anderen Stufen der Zweisamkeit magisch verpackt und es immer wieder schafft, den Sog zu finden, der den Hörer magisch anzieht und nicht mehr loslässt, ist ein wunderbares Rätsel, das hoffentlich nie gelöst werden wird.