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That’s me. That’s not me.

Text: Pamela Kowalski | Fotos: Cindy Sherman

Anfang 2012 eröffnet eine neue Ausstellung in der „Vertikalen Galerie“ der VERBUND-Zentrale mit dem Titel „That’s me – That’s not me“ ihre Pforten – es werden rund 50 Fotografien aus dem Frühwerk von Cindy Sherman gezeigt. Begleitend dazu erscheint der von Gabriele Schor, der Leiterin der Sammlung Verbund in dreijähriger Zusammenarbeit mit der Künstlerin erarbeitete „Catalogue Raisonné“ von Cindy Shermans Frühwerk im renommierten Hatje Cantz Verlag in deutscher und englischer Ausgabe. Dabei handelt es sich um ein Werkverzeichnis, welches die performativen Anfänge von Cindy Sherman erforscht und zum ersten Mal Auskunft über die Studienzeit der Künstlerin in Buffalo gibt. Auch einige der Werke werden erstmals öffentlich präsentiert. Die Ausstellung ist jeden Mittwoch ab 18.00 bei freiem Eintritt im Rahmen einer Führung zugänglich.

Cindy, eigentlich Cynthia, Sherman, geboren 1954 in Glen Ridge, New Jersey, wuchs als jüngstes Kind eines Ingenieurs und einer Lehrerin in Huntington Beach (New York) auf. Ihre Kindheit beschrieb sie als beschaulich und glücklich. Schon als Kind besaß sie einen großen Koffer voller alter Kleider, teils von der Großmutter. Mithilfe dieses Fundus frönte sie einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen: der Verkleidung und Verwandlung. Sie wollte sich aber nicht als eine Prinzessin verkleiden sondern viel lieber als eine Hexe oder eine alte Frau. Im Alter von 18 Jahren verlässt sie das Elternhaus und beginnt am State College in Buffalo Malerei zu studieren. Ihre Mutter meinte, sie solle doch wie sie eher Lehrerin werden als Künstlerin und sicherheitshalber ein paar „education-classes“ besuchen. Rasch erkannte Sherman, dass sie in der Malerei nicht das darzustellen vermochte, was ihr wichtig war und wechselte zur Fotografie. Eine kleine Gruppe von Freunden, der auch Sherman angehörte, gründete in den 1970ern das von Künstlern selbst organisierte Ausstellungszentrum „Hallwalls“. Das Zentrum bot Ausstellungsmöglichkeiten, ein reges „Visiting Program“ von Künstlern aus New York sowie Ateliers und auch bescheidene Wohnmöglichkeiten. Sherman lebte geraume Zeit mit ihrem Freund und Künstlerkollegen Robert Longo in Hallwalls. Auf „Openings“ erschien sie in unterschiedlichen Verkleidungen – obschon sie als Lucille Ball auftrat, war sie doch Cindy Sherman, da sie trotz Inszenierung sie selbst blieb – wenngleich verkleidet. In jene Zeit fällt auch die handkolorierte Serie „Untitled“ von 1975, in welcher Sherman in einer Abfolge von 23 Schwarz-Weiß-Porträts eine Verwandlung zeigt. Beginnend mit Cindy als brave junge Frau mit Kurzhaarschnitt, Brille und kariertem Pullover verändert sich die abgebildete Person auf jedem weiteren Bild suk-zessive zu einer stark geschminkten, lasziven, Zigarette rauchenden Femme fatale. Diese Bildfolge wurde zuerst als Leporello montiert und erst später als Serie dargestellt.

Shermans zentrales Thema ihrer Kunst ist die Vielzahl an Verwandlungen von weiblichen Identitäten. Die Künst-lerin hinterfragt auf subtile wie radikale Weise weibliche Stereotypen in unserer Gesellschaft. Sie will zum Nachdenken anregen und neue Sichtweisen schaffen. Sherman verwandelt sich aber nicht nur immer in eine andere Person, sondern sie ist auch im Rahmen ihres künstlerischen Schaffens verwandlungsfähig. So kann sie ganz einfach nach einer Serie wie den „History Portraits“, entstanden von 1988 bis 1990, in denen sie historische Gemälde Alter Meister inszeniert und die ein besonderer Erfolg beim Publikum war, eine Serie machen, die provoziert und keineswegs gefällig ist, nämlich die Serie der „Disasters“ und „Sex Pictures“ von 1992. In diesen Serien setzt Sherman Perücken, Penis- und Brustattrappen sowie allerlei andere Prothesen ein. Sexualität und künstliche Körperlichkeit hinterlassen hier einen deutlich verstörenden Moment und ein Gefühl des Unbehagens. Die Schubladen und Schränke in Shermans Atelier scheinen voller Überraschungen zu sein, ein sich stetig erweiterndes Repertoire.

In einer anderen frühen Arbeit von 1975 reagiert Sherman auf eine Aufgabenstellung einer Professorin am College. Diese wollte von den Studenten, dass sie eine Arbeit machen, in der sie sich mit etwas konfrontieren, wovor sie Angst haben. So konfrontierte sich Sherman mit einem Gerücht, die Klasse sollte einmal einen Ausflug machen und sich dabei gegenseitig nackt fotografieren. Da es damals kein Geld für Aktmodelle gab, war Mitte der 1970er Jahre eine solche Idee keine Seltenheit. Sherman konfrontierte sich also mit ihrer Angst, sich vor anderen Menschen nackt zu zeigen, indem sie sich allein in ihrem Studio vor einem großen Spiegel mit einem Selbstauslöser nackt fotografierte und mit dem sechs Meter langen Kabel des Selbstauslösers an ihrem Körper Kleiderstücke wie Rock, Oberteil oder T-Shirt nachzeichnet. Diese Arbeit war Shermans erstes fotografisches Werk am College und vermittelt ihr erstmals das Gefühl, dass sie in ihrer Kunst auch Model sein könnte. Shermans bisher unbekanntes Frühwerk gibt Persönliches der Künstlerin preis, während sich Sherman später, in New York, in ihrem Hauptwerk nicht mehr zu erkennen gibt. So beginnt das Spiel mit „That’s me. That’s not me“ – dies ist gleichzeitig der Titel der Ausstellung in der Vertikalen Galerie.

Die Zusammenarbeit mit der Künstlerin Cindy Sherman für das Buch zu ihrem Frühwerk beschreibt Gabriele Schor als intensiv und besonders angenehm. Im Gespräch gibt die Künstlerin gern über ihre frühe Zeit in Buffalo Auskunft und zeigt großes Interesse an den Vorbereitungen des Werkverzeichnisses. Schor besuchte die Künstlerin mehrmals in New York und sprach mit ihr ausführlich über ihre Kunst. Das Spannende bei dieser Zusammenarbeit war für beide – für die Künstlerin und die Autorin – , dass beim Durchsehen der Arbeiten immer wieder unbekannte Fotografien zum Vorschein gekommen sind. Abgesehen von der Wiener Ausstellung in der Vertikalen Galerie zu Beginn 2012 zeigt ab Februar 2012 das Museum of Modern Art in New York eine umfassende Retrospektive des beinahe vierzigjährigen Schaffens der New Yorker Künstlerin. Die Ausstellung wird durch die USA touren.

Cindy Sherman wurde zuletzt im britischen „Art Review“ als die siebtwichtigste Person des Kunstlebens weltweit bezeichnet. Während man Fotos der Serie „Untitled Film Stills“ einst für 50 Dollar das Stück erwerben konnte, wird heute eine ihrer Arbeiten als teuerste versteigerte Fotografie gehandelt. Die SAMMLUNG VERBUND hat noch früh genug von diesen heute unerschwinglichen „Untitled Film Stills“ erworben.

Cindy Sherman

Das Frühwerk 1975-1977

Mit einem Essay von Gabriele Schor

Deutsche und englische Ausgabe,

Erscheinungsdatum: Jänner 2012

Hatje Cantz Verlag

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