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Queen of Soul

Fotos: Press

Am liebsten möchte man sich erheben. Auch aus dem Kinosessel. Denn was Aretha Franklin an diesen zwei Abenden im Januar 1972 in der New Temple Missionary Baptist Church von Los Angeles leistet, um ihr legendäres Doppelalbum Amazing Grace aufzunehmen, ist zweifelsohne auch heute, 47 Jahre später, noch Standing Ovations wert. Mindestens. Doch dann läuft schließlich der Abspann zum gleichnamigen Film, der diesen magischen Moment in der Musikgeschichte dokumentiert, und man sitzt erschlagen da – ehrerbietig, ergriffen, und unendlich froh dabei gewesen zu sein.

Ein Teil der Faszination, die Amazing Grace ausmacht, liegt in der Erscheinung der SoulIkone Franklin selbst, die 2018 im Alter von 76 Jahren starb. Gleich wie sie am ersten Abend den Kirchensaal mit ihrer Präsenz zum Strahlen bringt, ist ein Auftritt für die Götter. In einem mit funkelndem Strass besetzten weißen Gewand schreitet sie den Weg zur Kanzel, die üppigen Perlenohrringe an ihren Ohren wippen mit jeder Bewegung im Takt. Und kaum sind die ersten Töne gesungen, macht sich Begeisterung, Staunen und Demut in Publikum breit. Denn Franklins Gesang geht einem durch Mark und Bein, sodass es nicht lange dauert, bis sich auch die Emotionen Bahn brechen und Tränen die Augen aller Anwesenden erfüllen, von den Gästen bis zur Sängerin und dem Southern California Community Chor, der sie zu diesem Anlass begleitet. Am stärksten jedoch scheint Reverend James Cleveland von dem Auftritt seiner „Schwester“, wie er Franklin liebevoll nennt, betroffen. Mit jedem Song, bei dem er sie auf dem Klavier begleitet, steigen ihm größere Schweißperlen auf die Stirn. Aber auch Franklin, stets in ihrer Rolle als „First Lady of Soul“ agierend, ist so konzentriert in ihrem Element, dass man ihr den Kraftakt ansieht, den sie hier innerlich wie äußerlich vollbringt.

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Gefilmt hat die beiden Konzertabende kein geringerer als Sydney Pollack, der sich wenige Jahre zuvor mit They Shoot Horses, Don’t They? einen Namen gemacht hatte, jedoch wenig von den Komplikationen hinter Musikdokumentationen verstand. Leider. Denn der Film wurde damals „aus technische Gründen“, wie es zu Beginn heißt, nie fertig gestellt. Dass in Wirklichkeit zudem vertragliche Gründe dazu gehörten sowie Franklins persönliche Abneigung dagegen, dass Material zu ihren Lebzeiten wieder auszugraben, erwähnt der Produzent Alan Elliott in seiner Version des Konzertmittschnitts nicht. Stattdessen darf man Zwischendurch in die Proben hineinschauen, bevor es am zweiten Abend mit noch mehr Gospelhymen, Gottesfurcht und Diven-Huldigung weitergeht. Diesmal befinden sich Mick Jagger und Charlie Watts unter den Gästen und auch Franklins Vater gibt sich und seiner Tochter die Ehre. Am Ende sind alle erschlagen von dem Auftritt, der Musik, der berauschten Atmosphäre. Amazing Grace ist mehr als ein Album, mehr als ein Film. Amazing Grace ist ein Ereignis, das einen mit Glück und Ehrfurcht erfüllt.


AMAZING GRACE

Dokumentation, USA 2018

Regie: Alan Elliott, Sydney Pollack

Mit: Aretha Franklin, James Cleveland, The Southern California Community Choir

Kinostart: 29. November 2019, 89 Minuten

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