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Die Dohnal

Text: Schöny Roland | Fotos: filmdelights
Demo Ballhauplatz, 1983 © Rudi Semotan

Als Feministin ist Johanna Dohnal für viele mittlerweile ein Mythos. Unter anderem, weil es ihr gelungen ist, zwischen den zahlreichen autonomen Gruppen der Frauenbewegung und der offiziellen Politik der SPÖ einen Spagat zu ziehen. Stets das persönliche Schicksal vieler einzelner Frauen im Auge behaltend, war es ihr ein unbedingtes Anliegen, mit Szenen und Initiativen im Dialog zu bleiben. Gleichzeitig beharrte sie als Politikerin darauf, die Anliegen von Frauen auf parlamentarischer Ebene institutionell umzusetzen. Dabei hatte sie oft gegen die emotionalen Widerstände aus ihrer eigenen Partei anzukämpfen.

Zu zahlreich sind die Wendungen in der Innenpolitik seit ihrem Wirken, von den 1970er Jahren an bis heute, als dass ihre Haltung noch als Selbstverständlichkeit gesehen werden könnte. Selbst in dem bitteren Moment, als Bundeskanzler Franz Vranitzky sie höchst diplomatisch aus ihrer Position als Frauenministerin beförderte, blieb sie schweren Herzens sachlich. Längst hatten damals konservative und rechte Demagogen begonnen, die SPÖ vor sich herzutreiben.

Visionäre Politik

Kaum ein Jahrzehnt nach ihrem Ableben zeigt nun ein filmisches Porträt von Sabine Derflinger, wie schnell Engagement und Auftreten dieser Ikone der Frauenbewegung, wie Dohnal gerne tituliert wird, historisch geworden sind. Derflingers Film, der auf Einladung des Dohnal-Archivs und mit Unterstützung des ORF entstand, ist zugleich eine Annäherung an eine der letzten großen Persönlichkeiten aus der Ära Kreisky. Beharrlich setzte Johanna Dohnal (1939 – 2010) nachhaltige Veränderungen im Sinne der Gleichstellung von Frauen um. So verfolgte sie eine visionäre feministische Politik, die nicht nur die Polemiken von Seiten des Boulevards aushalten musste.

Johanna_Dohnal_C_Elfie_Semotan.pngJohanna Dohnal © Elfie Semotan

Vor allem für das englischsprachige Publikum mit erklärenden Inserts zu politischen Wendepunkten versehen, baut der Film Derflingers auf einer Vielzahl von Interviews auf. Neben Lebenspartnerin Annemarie Aufreiter, ehemaligen Kabinettsmitarbeiterinnen, Dohnals langjährigem Chauffeur, der Enkelin Helen oder auch Ex-Politikern wie Ferdinand Lacina und eben Franz Vranitzky, verleihen da die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend Julia Herr, die vormalige Direktorin des Volkstheaters Emmy Werner, Alice Schwarzer, Elfie Semotan, Superintendentin Gertraud Knoll oder Aktivistinnen der Aktion Unabhängiger Frauen der Persönlichkeit Johanna Dohnal von Baustein zu Baustein mehr Konturen. Vor allem als strategische Denkerin mit menschlichen Ansprüchen, die selbst mit ihren Ressourcen als institutionalisierte Politikerin nicht komplett umzusetzen waren. So verlangte Dohnal von ihren Kabinettsmitarbeiterinnen, jeden an sie gerichteten Brief mit Anfragen oder Hilferufen individuell zu beantworten. Oft jedoch waren die dafür notwendigen, ausufernden Recherchen kaum zu bewältigen.

Österreichs Frauenprominenz auf Seite der Feministin

Die Breite an Interviews illustriert auch das enorme Echo der Politik Dohnals unter Österreichs Frauenprominenz. Sie werfen ein Licht auf die Hoffnungen, welche die Politikerin auslöste. Sabine Derflinger konterkariert und ergänzt sie mit Material aus zeitspezifischen ORF-Fernsehmagazinen. So spannt sie die historische Folie auf und lässt Johanna Dohnal selbst zu Wort kommen. Immer wieder überrascht es, wie ruhig und vermittelnd sie antwortet oder diskutiert. Nirgendwo proklamiert sie manifestativ, wie es dem Klischee der Emanze entsprechen würde. Deshalb klingt es um einige Grade übertrieben, wenn Johanna Dohnal ausgerechnet im Programm der Viennale, wo diese Dokumentation erstmals präsentiert worden ist, als „lesbisch-feministische Superheldin“ tituliert wurde, und dies noch dazu von einer Kulturwissenschaftlerin. Aus einem der Interview-Ausschnitte mit Annemarie Aufreiter geht nämlich hervor, dass sie über ihre sexuelle Orientierung nur äußerst zurückhaltend bis gar nicht sprach. Das hatte einen einfachen strategischen Grund: Solange es um Gleichstellung und Unabhängigkeit von Frauen ging, hätte das die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit in eine falsche Richtung gelenkt.

Wie analytisch sie journalistische Fragen austarieren konnte, erweist sich in einem Interview mit „Zeit im Bild“-Anchorman Robert Hochner. Von Grund auf durchaus entgegen kommend, erkundigte er sich, wie sich denn eine soeben ernannte Staatssekretärin fühle. Das war wenige Augenblicke, nachdem Johanna Dohnal von Bruno Kreisky am 5. November 1979 im Bundeskanzleramt als Verantwortliche für Frauenfragen angelobt worden ist. Aus sprachanalytischer Sicht: leicht sexistisch angehaucht. Nämlich: „Frau auf die Gefühlsebene reduziert.“ Wer möchte, hört dann die sanfte Ironie in der Antwort Dohnals.

Die Frauenfrage ist eine gesellschaftspolitische Frage

Wie sich ein Staatssekretär fühle, sei ihr nämlich unbekannt, nachdem sie die Rolle erst vor wenigen Minuten angenommen hätte. Außer, dass es da gerade ziemlich heiß sei. Dem aber folgte sogleich das Credo ihres Engagements. „Die Frauenfrage ist eine gesellschaftspolitische Frage und keine Frauenfrage.“ Eine Herausforderung im gesamten gesellschaftlichen Zusammenhang. Entlang dieser Argumentationslinie bewegt sich das filmische Porträt Die Dohnal durchgehend.

Schade jedoch, dass der Film von Sabine Derflinger, die für Serien wie Vorstadtweiber oder einzelne Tatort-Folgen Regie führte, ein breiteres Informationsangebot über das gesellschaftliche Umfeld der 1970er und dann auch 1980er Jahre der Ära Vranitzky vermissen lässt. Auch dass Dohnal sich beispielsweise schon als Bezirksrätin in Penzing für die Fristenlösung engagierte, könnte man sich kaum zusammenreimen. Ebenso vermittelt der Film das Entstehen der sogenannten Zweiten bzw. Autonomen Frauenbewegung aus der Studentenbewegung heraus lediglich in vagen Ansätzen. Jedenfalls würde der Hinweis den Zusammenhang verdichten, dass Dohnal 1972, also zu Beginn der Ära Kreisky, in die Parteizentrale der SPÖ wechselt und Wiener Landesfrauensekretärin wird, als wichtiger Schritt auf dem Weg zur Frauenstaatssekretärin.

Mit eingearbeiteten Ausschnitten aus ORF-Fernsehmagazinen, Interviews und Diskussionssendungen wie dem legendären „Club2“ setzt Derflinger auf emotional unterspickte Bilder, angelegt wie kleine Sozigramme. Darunter eine Befragung für das TV-Frauenmagazin „Prisma“ zum Karenzurlaub für Männer. Ganz klar „A Bledsinn“, wie ein schnauzbärtiger Passant feststellt, während eine wohlgekleidete Dame im damaligen Lady-Diana-Look in der Fußgängerzone am Stephansplatz nach einem fragendem Blickkontakt mit ihrem Mann, sicherheitshalber „gar nix davon“ hält.

Dazu den politischen Hintergrund etwa mehr heraus zu arbeiten – etwa durch eine zusätzliche Informationsebene – hätte das Verständnis, insbesondere für jüngere Generationen, sicher erleichtert. Dreht man die Timeline in Richtung Gleichberechtigung der Frauen nämlich um ein paar Jahrzehnte zurück, so überrascht heute selbst junge Studierende der Zeitgeschichte, dass damals die Frage, ob denn der Mann weiterhin das sogenannte Oberhaupt in der Familie bleiben solle, sogar noch in den späten 1970er Jahren halb Österreich aufwühlte.

Beendigung der Oberhoheit des Mannes über die Familie

In Kategorien von Pop gedacht befinden wir uns da immerhin schon ein halbes Jahrzehnt nach dem Tod von Janis Joplin und nicht vor Elvis Presley. Die Rock- und Punk-Szene Wiens erlebte gerade ein legendäres Konzert von Patti Smith im Wiener Konzerthaus. Kurz zuvor nahm Valie Export an der documenta teil. Mehr und mehr starke Frauen betraten also die Bühne der Öffentlichkeit. Vor dieser Hintergrund setzte die Regierung im Parlament um, was 1969 im Reformprogramm der Sozialisten Österreichs vorformuliert war. Jetzt erst beendete die in Teilschritten unter Bruno Kreisky ab 1971 in Angriff genommene Familienrechtsreform die Vormachtstellung des Mannes. 1975 ist die Gleichstellung der Ehepartner gesetzlich verankert worden. Zu den unzähligen Einschränkungen davor gehörte zum Beispiel die alte patriarchalische Idee, dass der Mann der Frau verbieten konnte, berufstätig zu sein – und zwar nicht nur durch Psychodruck, sondern de facto. Also kein eigenes Geld und somit am Gängelband des selbstherrlichen Familienoberhaupts. Insgesamt reichte die Neuordnung von der Beseitigung der väterlichen Gewalt über die Kinder, der Änderung des Kindschaftsrechts und der Reform des Scheidungsrechts.

Darauf aufbauend realisierte Johanna Dohnal für ihre Zeit visionäre Vorhaben wie etwa die Stärkung der geschlechtsneutralen Ausbildung von Mädchen in allen Berufen und führte die Frauenquote für Universitäten und den öffentlichen Dienst ein. Sie realisierte bis heute wichtige Initiativen, welche erst unlängst die rechtskonservative ÖVP-FPÖ-Koalition zu unterminieren versuchte. Etwa wurden die damals neu gegründeten Frauenhäuser von Beginn an autonom verwaltet, aber staatlich gefördert. Deutlich geht aus dem Film hervor, dass es Dohnal letztlich nicht um Vereinnahmung der Frauenbewegung, sondern um die öffentliche Unterstützung der Initiativen ging. Selbst wenn sie auf Grund ihrer Partei-Biografie eher institutionell veranlagt war, streicht die Kabarettistin und Autorin Eva Dité hervor, welche Sympathie Dohnal erntete, als sie zu einem Feministinnen-Treffen ins damals besetzte Amerling-Haus kam. Ebenso besuchte sie österreichweit kleine Initiativen und einzelne, in Bedrängnis geratene Frauen, um deren Anliegen kennen zu lernen, wie der Film dokumentiert.

Erst jüngst veröffentlichte Statistiken – und natürlich die #metoo-Diskussionen – legen offen, dass Themen wie Gewalt gegen Frauen immer noch von erschreckend hoher Relevanz sind – und zwar hier in Österreich und keineswegs beschränkt auf Milieus mit Migrationshintergrund. Wie das Gewaltthema in Sabine Derflingers Doku aufgegriffen wird, spricht Bände. In dem Fall dürfte wohl kaum zusätzliches Material zur Verdeutlichung notwendig sein. In einer „Club 2“-Fernsehdebatte im Jahr 1987 wird Johanna Dohnal von einem als Diskussionsgast anwesenden Richter gemeinsam mit Richard Nimmerichter, dem reaktionären Kolumnisten der „Kronen Zeitung“, offensiv angegriffen, weil sie für die Aufhebung des strafrechtlichen Unterschieds zwischen Vergewaltigung in der Ehe und dem Tatbestand der Vergewaltigung außerhalb eintritt. Und wieder pariert Dohnal souverän: In Richtung des Schreibers „Staberl“, wie sich Nimmerichter damals öffentlich nannte, argumentierte sie ganz ruhig: „Eine Frau, die soviel verdient wie Sie, würde sich in so einer Situation scheiden lassen.“ Noch viel klarer lässt sich eine Plädoyer für die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frau wohl kaum formulieren.

 

DIE DOHNAL – Frauenministerin / Feministin / Visionärin
Dokumentarfilm. Österreich 2019
Regie Sabine Derflinger Kamera Christine A. Maier, Eva Testor Ton Andreas Hamza, Georg Misch Schnitt Niki Mossböck Produktion Claudia Wohlgenannt, Sabine Derflinger Musik Gerald Schuller
Mit Johanna-Helen Dohnal, Ingrid Dohnal, Annemarie Aufreiter, Ferdinand Lacina, Franz Vranitzky, Alice Schwarzer, Julia Herr
Verleih filmdelights, 104 Minuten
Filmstart 14. Februar 2020

 

 

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