Dereinst eröffnete kein Geringerer als Karl Lagerfeld den pseudo-illustren Reigen jener Designer, die sich zu Kooperationen mit globalen Handelsriesen wie dem schwedischen Textilkonzern H&M herablassen. Man erinnere sich an den TV-Spot, der ein bestimmtes Szenario heraufbeschwor: Lagerfeld diniert in einem Nobelrestaurant mit einem Grüppchen billig (doch schick) gewandeter Models, während sich an den Nachbartischen eine konsternierte Mode-Elite mokiert. Am Ende meldet sich Lagerfeld selbst zu Wort und spricht ein vernichtendes Urteil: „It’s all about taste. If you’re cheap, nothing helps …“ Trotz Windstille in den Segeln möglicher Kritiker war am Ende doch nicht alles eitel Wonne. Maître Karl kritisierte den in Produktionsengpässe geratenen Kooperationspartner, der die Nachfrage nach den „exklusiven“ Modellen nicht befriedigen konnte. Oder wollte. Warum dem Luxussegment abhold werden, so damals wohl die Überlegung Lagerfelds, wenn die Fastfashion erst recht einem Anflug von Elitismus anheimfällt. Obendrein ist es natürlich für den Designer von größter Wichtigkeit, Nutzen und Kosten genau einzuschätzen, um nicht dem eigenen Ansehen zu schaden. Österreichs erfolgreichste Männermodemacherin Ute Ploier wurde 2008 vom Versandriesen La Redoute anlässlich eines Firmenjubiläums gemeinsam mit Designern aus anderen europäischen Ländern zur Zusammenarbeit eingeladen und weiß, wovon sie spricht: „Es ist absolut notwendig, genau abzuwägen, mit wem man eine Kooperation eingeht. Schließlich begibt man sich in ein öffentliches Naheverhältnis mit dem Partner. Im Grunde transportiert man nach außen, dass man Image und Produkte des Partners gutheißt bzw. sich sogar damit identifiziert.” Freilich halten solche Vorbehalte renommierte Designer offenbar nicht davon ab, es Mister Chanel gleichzutun. Allein für H&M designten nach Lagerfeld unter anderem Stella McCartney, Viktor & Rolf, Comme des Garçons und Roberto Cavalli. In Großbritannien folgte der Retailer TopShop dem Beispiel und lädt immer wieder Jungdesigner, vor einem Jahr die Szenelieblinge Marios Schwab und Christopher Kane, für das Erstellen von Capsule Collections ein. Mango, Sponsor des weltweit best dotierten Modepreises, folgt mit eigens auserlesenen Talenten auf dem Fuße. Darüber hinaus hat die Domäne des Affordable Chic längst ausgestrahlt und zu Kooperationen von Modemachern mit Partnern aus anderen Bereichen geführt. Höchste Zeit für ein umfassendes Panorama aller Designerschnäppchen, die derzeit im Handel erhältlich sind.
Zunächst einmal lohnt es sich anzusehen, wer den größtmöglichen Spagat zwischen Haute Couture und Diskontdesign bewerkstelligt. Herrn Lagerfeld hat man gesehen, der ist aber aktuell nicht in diesem Segment vertreten. Interessant, wiewohl nicht im Übermaß beworben, ist die Kooperation eines anderen Grand Seigneur mit der Sportmarke Gola: Christian Lacroix nämlich ließ seinen Goldfingerhut-geschmückten Finger tätig werden und entwarf flink ein paar Schuhmodelle. Rechtzeitig für die Saison, in der die internationale Fachpresse das Ende der It-Bag ausruft und den Samtteppich für den It-Schuh ausrollt. Die Reihe von Lacroix-Sneakers ist mit ihrer ornamentalen Opulenz durchaus charakteristisch für des Meisters Ästhetik. Kurios hingegen ein anderes Projekt mit Lacroix-Beteiligung: Das Lieblingswasser der Stars und Models, évian, kam im Herbst 2007 in kostbaren, man möchte fast sagen, Flacons in Umlauf. Neben dem Prêt-à-Porter-Modell mit Supermarktvertrieb durfte auch eine limitierte Sonderedition nicht fehlen. In Textildingen bislang dem breiten Markt fern geblieben, doch dank derselben Mineralwassermarke womöglich Blut lecken konnte der nächste Haute-Couturier im Bunde, Jean-Paul Gaultier. Wer demnächst nach Paris jettet, kann eine eisblumenverzierte Flaschenkreation als unruinöses Sammlerstück erwerben. Letztes Beispiel für sich herablassende Haute Couture (bzw. eine ehemalige, da die Maison gegenwärtig nur Prêt-à-Porter zeigt): Die Kooperation von Lanvin mit Acne Jeans. Die kreative Seite wird da übernommen von dem gebürtigen Israeli Alber Elbaz, der für die Männerlinie von Lucas Ossendrijver flankiert wird. Lanvin for Acne ist zwar nicht ganz billig (immerhin rangiert Acne selbst schon im deutlich gehobenen Denimpreissegment), im Vergleich zu „echten“ Lanvinmodellen aber immer noch auf Schnäppchenniveau zu haben. Alber Elbaz übrigens wird in gewissen Kreisen derzeit als heißer Kandidat für eine mögliche Lagerfeld-Nachfolge gehandelt. Womit dieser Kreis sich in Fastfashion und Haute Couture nahtlos schließen ließe.
Eine weitere Reihe von Designkooperationen lässt sich unter den Hut eines Matches zwischen zwei fast gleichaltrigen Marken bringen: adidas (60 Jahre 2009) vs. Puma (60 Jahre 2008). Hier lässt man große Namen aufeinander los. Die ehemals für H&M designende Stella McCartney, 2007 auch für die Handelskette Target in Australien tätig, findet Kooperationen dieser Art anscheinend ganz toll und zeichnet seit fast fünf Jahren für eine eigene Linie bei adidas verantwortlich. Rüschig, mädchenhaft und romantisch, ein wenig an ihre frühen Tage bei Chloé erinnernd, entwirft McCartney Kompatibles für allerlei Beinverrenkungen. Ihr Gegenspieler, wenn man so will, ist im Hause Puma der gern ins Düstere spielende Alexander McQueen. Bis vor kurzem bloß für eine Schuhlinie verantwortlich, schickt er für die Herbst/Winter-Saison 09 erstmals auch eine Kleiderlinie ins Rennen um die Kundengunst. Zusätzliche Kooperationserfahrungen konnte McQueen als Kreativer für Samsonite Black Label sammeln, wo er ebenfalls anatomisch-biomorphe Kreationen ablieferte. Bei adidas, um zu den deutschen Sportriesen zurückzukehren, zauberte man für das 60-jährige Firmenjubiläum ein ehemaliges Enfant terrible aus dem Hut, nämlich Jeremy Scott. Zwar ist es letzthin ein wenig stiller um den Absolvent des Pratt Institute geworden, doch lässt Scott für seine Jubiläumskollektion die Funken sprühen und stellt eine wirklich unterhaltsame Interpretation des Themas Street Couture zusammen (fantastisch gelungen: die Frack-Trainingsjacke). Seine mittlerweile in ausgesuchten Shops vertriebene Linie wurde Anfang 2009 im Pariser Concept Store Colette lanciert. Um nicht nachstehen zu müssen, brachte auch Puma dort zeitgleich eine neue Kooperation unter: jene mit dem italienischen Schuhdesigner Sergio Rossi, der ein paar ausgesuchte Remixes des Sneaker-Klassikers „Clyde“ in die Regale stellen ließ. Statement des charismatischen (und eigens für seine Rolle bei Puma erschlankten) Konzernchefs Jochen Zeitz: „Puma sieht Kooperationen im Modebereich als eine Möglichkeit, neue Wege zu erkunden und dabei gleichzeitig unseren Kunden ein umfassenderes Markenerlebnis zu bieten.“ Gesagt, getan: Doch wer meinen möchte, dass Herr Zeitz durch die Ernennung des zweimaligen „British Designer of the Year“ Hussein Chalayan zum Wächter über den gesamten Kreativbereich von Puma die Nase vorne behält, vergisst auf eine schon seit Jahren etablierte Kooperation von adidas mit dem Master of Black Yohji Yamamoto. Die Linie Y-3 ist gewissermaßen Vorläufer aller hier vorgestellten Projekte und wird als eigenständige Schnittmenge von Yamamoto und adidas vermarktet. Was das vorläufige Ergebnis eines deutlichen Unentschieden zwischen der Raubkatze und den drei Streifen bedingt.
Wer abseits von Haute Couture und Sportgiganten nach leistbarer Exklusivität strebt und dabei nach besonders angesagten Designernamen sucht, dem seien folgende Möglichkeiten ans Herz gelegt: Bernhard Willhelm, ein Deutscher aus Antwerpen mit Hang zu langen Unterhosen an strammen Männerbeinen, holt sich eine willkommene Finanzspritze als Gastdesigner für den mallorquinischen Schuhhersteller Camper. Im Rahmen der etwas sperrig betitelten Kooperationsreihe toðer folgt er dem Motto „Chaos is beautiful“ und kreuzt seinen Hang zu provokanter Avantgarde mit der typischen Klobigkeit von Camper. Raf Simons, ebenfalls gestandener Antwerpener und viel gefeierter Hausdesigner bei Jil Sander, ließ sich ebenfalls vom Kommerz in Versuchung führen und stellt sein Talent bereits zum dritten Mal in den Dienst von Eastpak. Dort bemüht er sich um die Entstaubung des bandscheibenschonenden Rucksacks, wie übrigens vor ihm schon – wir bleiben in Antwerpen – Walter van Beirendonck (und demnächst, wie kurz vor Redaktionsschluss bekannt wurde, der Master of Darkness Rick Owens). Wem nach so viel Flandern der Sinn nach ein bisschen St Martins steht, übe sich bis Ende April in Geduld, wenn der erste Teil einer Kollektion von Matthew Williamson für H&M in die Läden kommt. Ein wenig später folgt eine Reihe von Sommeroutfits – auch für Männer, eine Premiere für Williamson (vielleicht sind die durch den Wegfall seines Engagements bei Pucci freigewordenen Energien so kanalisiert worden). Zwei ehemalige „H&M-ler“, das bebrillte Duo Viktor & Rolf, wurden ebenfalls wieder für den Massenmarkt tätig und treten bei Samsonite in McQueens Fußstapfen. Für shoppende Kaffeetrinker entwirft derweil Michael Michalsky, deutscher Designstar und Meister der großen Inszenierung, eine eigene Kollektion, die als „Mitch & Co“ bei Tchibo zu haben ist. Damit begibt sich der Mann für schwierige Fälle (Michalsky ist seit 2005 zuständig für die Umpolung des angeschlagenen Luxuslabels MCM) in fast schon alimentäre Niederungen.
Immerhin versagt er es sich aber, Kaffeemühlen für das ständig wechselnde Coffeeshop-Sortiment zu entwerfen. Andere Designer lassen sich ja sogar zu Kooperationen in diese Richtung verleiten: Am bizarrsten scheint in der Hinsicht der von Issey Miyake für Dyson entwickelte Handstaubsauger. Soll es hier darum gehen, Modebesessenen Lust auf Hausarbeit zu machen? Nach absolviertem Pensum können diese sich jedenfalls einen fashionablen Erholungsspaziergang mit dem lieben Nachwuchs gönnen – natürlich den für Quinny entworfenen Kinderwagen vom dänischen Spaßexzentriker Henrik Vibskov (nach seinem St Martins-Diplom zu raschem Ruhm gelangt mit seiner Interpretation eines Piggy-Palästinensertuches) vor sich her schiebend. Und ehe man nach so viel Anstrengung ermattet niedersinkt, stärke man sich rasch mit einem Schluck aus der von Sonias Tochter Nathalie Rykiel mit dem typischen Design der Maison überzogenen Flasche Coke light (zu haben leider nur in Frankreich) – bzw. alternativ, der ab Sommer 2009 in limitierter Edition bei Fashionevents verteilten Coke light-Version vom Reißbrett Manolo Blahniks.
Es scheint wahrhaft, als seien dem Bereich des Affordable Chic kaum Grenzen gesetzt – die derzeitige Wirtschaftslage dürfte das Klima in diese Richtung günstig beeinflussen. Ein aktueller „Skandalfall“ hat sich ja ausgerechnet im verschlafenen Österreich zugetragen: Wenn Society-Schneider Nhut La Hong sich von einer bestimmten B-Klassen-Prominenz abwendet und seinen erlesenen Geschmack Kunden des Billigregenten Hofer zur Verfügung stellt, kann sich der eine oder andere eines entsetzten Aufschreis nicht enthalten (die Verwirklichung eines im eingangs erwähnten H&M-Spot entworfenen Szenarios?). Und wir kommen nicht umhin uns zu fragen: Wohin soll das alles noch führen? Welcher Designer lässt sich als nächster von sicheren Gagen verlocken? Wird Thang de Hoo Fürnkranz abschwören und seinem Wiener Schneiderrivalen nachziehen, wird Helmut Lang aus dem Dornröschenschlaf erwachen, werden Dolce & Gabbana sich über der Zusammenarbeit mit einem Diskonter entzweien, oder wird Gareth Pugh in der Fastfashion endlich den Schlüssel zu tragbarer und verkaufbarer Mode auffinden? Und wird, horribile dictu, für die heimische Modeszene womöglich Ute Ploier mit ihrer augenzwinkernden Prognose Recht behalten? „Ich denke, die Ära der Kooperationen ist noch lange nicht zu Ende … Schließlich brauchen Billa, Merkur und Zielpunkt auch noch eine eigene Modelinie, nicht?“ Selbst dies ist, so mag es scheinen, nicht wirklich auszuschließen.