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Alles für den Hugo?

Text: Lohberger Paul | Fotos: Magdalena Blaszczuk

Nach über 1000 Sendungen (wobei unklar ist, wann diese Schallmauer genommen wurde) sind die Qualitäten der Radiomacher Ostermayer & Edlinger auch in anderen Feldern gefragt. Neben musikalischen und performativen Projekten und dem Mitwirken an der TV-Sendung „Willkommen Österreich“ können sie auf eine beachtliche Liste an Publikationen verweisen (Edlinger hat sich zuletzt bei Suhrkamp quasi amtlich in der Kulturtheorie etabliert). Im Sinne des Kultur- und Bildungsauftrages ergaben sich mittlerweile neue, dauerhafte Aufgaben: Fritz Ostermayer wurde 2012 zum künstlerischen Leiter der Wiener Schule für Dichtung berufen. Thomas Edlinger wiederum wird 2016/17 dem Intendanten Tomas Zierhofer-Kin nachfolgen, der das nieder-österreichische Donaufestival 2005 neu positionierte. An der Schnittstelle von progressiver Pop-, Sub- und repräsentativer Kultur baten wir Ostermayer & Edlinger als Vordenker zum Gespräch: In welcher Form kann/soll/muss „unsere“ Kultur sich positionieren – angesichts der vielfältigen Krisen unserer Zeit? Wir versumpften dann aber vor allem in der Frage, worüber wir uns verständigen sollten – was ist der heiße Scheiß?!

Vor der Wien-Wahl, ja, die gesamte zweite Sommerhälfte hat das Flüchtlingsthema die Medien dominiert. Fühlt ihr euch vor solchen Hintergründen genötigt?

Fritz Ostermayer: Ich frag mich immer, wer kommt als erster und beginnt das Thema auszubeuten? Das Theater ist sofort da und stellt sich Flüchtlinge auf die Bühne, das geht schon in Flüchtlingspornografie über. Ich bin lieber zurückhaltend – entweder macht man so was mit einer Glosse oder einem wirklich guten Interview. Aber sich so satt da draufzusetzen und zu sagen, auch wir haben dieses Thema jetzt am Tisch – das erscheint mir fast obszön.

Thomas Edlinger: Man muss sich ja auch fragen, was man Relevantes zu sagen hat, was nicht ohnehin gesagt wird. Im Sumpf gibt’s die Möglichkeit, am Anfang mit ein paar kurzen Sätzen etwas kurz zu behandeln. Aber man sollte nichts machen, was dann hinter qualifizierteren Medien zurückbleibt. Wenn ich nur eine gewisse „Betroffenheit“ äußern kann, und das ist zu Recht ein schwieriges Wort, dann ist eine Radiosendung, die eigentlich anderen Themen gewidmet ist, nicht der richtige Ort dafür. Wir hatten auch für den Sonntag nach den Pariser Anschlägen die Sendung schon aufgezeichnet. Ist man live im Studio, dann muss man eine Reaktion bringen …

Ostermayer: Ich hab noch die Einleitung aktualisiert, die damit endete: „Je suis Roland Barthes“, und davor einen Teil über Liebe zitiert, gegen Hass und religiösen Wahn – dieses Schlaglicht hab ich gebrochen mit dieser Anmaßung, wer jetzt immer alles ist.

Vielleicht erwartet man aber auf FM4 vom „Sumpf“ als Sendung eine solche Stellungnahme? Wie hat sich denn die Rolle eurer Sendung entwickelt im Vergleich zum restlichen Programm? Ich sehe eine klare Kontinuität bei Euch, die Rolle von FM4 verglichen mit anderen Programmen hat sich dagegen viel mehr verändert.

Ostermayer: Das Tagesprogramm hat sich natürlich gewaltig verändert. Der Sumpf hätte nie in den Nachmittag gepasst. Die Kontinuität des Abends ist durchaus gegeben bei FM4.

Edlinger: Was sich wohl geändert hat, ist der Altersunterschied des „Sumpf“-Publikums zu anderen FM4-Hörerschichten. Themen wie Roland Barthes zum 100. Geburtstag sind nicht unbedingt Jugendthemen. Früher waren wir selber jünger. Unsere Hörerinnen und Hörer sind teilweise mit uns älter geworden.

Ostermayer: Vor 20 Jahren war auch die Unterscheidung Mainstream versus Alternative noch aktuell, obwohl auch schon fragwürdig … insofern ist der „Sumpf“ von Indie-Indie-Indie zum Elfenbeinturm von FM4 geworden. Aber lieber im Elfenbeinturm als im Meer der Beliebigkeit.

Das passt ja ganz gut dazu, dass Ihr beide in quasi bürgerlichen Institutionen angekommen seid, so wie Wolfgang Kos, der von der „Musicbox“ zum Wien Museum gekommen ist …

Ostermayer: Die Sendung mit den zwei Direktoren!

Edlinger: Das hat sich einfach ergeben. Was uns im Radiomachen eint, ist, dass sich alle unsere Tätigkeiten angereichert haben und über den Journalismus hinausgewachsen sind: Bücher schreiben, Stücke machen, da ist noch kein Ende in Sicht.

Ostermayer: Dass ich zum künstlerischen Leiter einer Schule für Dichtung erkoren wurde von einem Vorstand, der bei mir anfragte, hat mich zuerst total verwirrt. Noch dazu, wo ich vor Jahren im Radio ziemlich gewettert habe gegen die Schule für Dichtung. Mein Werdegang war schon die Summe meiner, ich will nicht sagen, Dissidenten-, aber doch renitenten Tätigkeiten, die immer das andere suchen.

Und die Schule für Dichtung ist ja keine Dichterschule, wo man lernt, einen Bestseller zu schreiben, sondern ein Außenposten der Literatur, wo man experimentieren soll und auch scheitern darf. Diese ästhetischen Seitenstränge, die ich verfolge, seit ich mich für Kunst, Politik und Blabla interessiere, haben sich so weit gebündelt, dass ich diesen Menschen aufgefallen bin und sie mich gefragt haben. Das kam nur durch unser öffentliches Tun, und ich hatte ja keinen Ehrgeiz!

Eure neuen Aufgaben entsprechen ja auch einer gewissen Logik, Du hast dich ja immer als Generaldilettant dargestellt …

Ostermayer: … naja, das stimmt so auch nimmer – wenn man etwas zu lang macht, wird man zwangsläufig gut darin.

Offenbar gibt es Leute, die schon in der Jugend den Anspruch suchen, und die landen dann bei Sendungen wie eurer – gibt aus dieser Sicht etwas, das ihr momentan als den „heißen Scheiß“ betrachtet?

Ostermayer: Der heiße Scheiß kann auch in der Subkultur kein globaler heißer Scheiß mehr sein, es gibt nur mehr segmentierte heiße Scheiße. Es gibt großartige Musiken, aber keine Einigkeit mehr. Wenn die neue Grimes der heiße Scheiß ist (Anm.: wird zum Zeitpunkt des Interviews auf FM4 gefeatured), dann bin ich wieder nicht dabei – ein ödes Album. Macht aber niemandem was, denn die verschiedenen Parzellen verständigen sich nicht mehr darüber, was der heiße Scheiß ist.

Edlinger: Was ich eigentümlich finde: Es wurde ja behauptet, es gäbe im Pop keine Zentren mehr, mit dem Laptop kann jeder und jede produzieren. Man müsse nicht mehr in London, New York oder Berlin sein, deswegen kann es den einen heißen Scheiß nimmer geben, der durch alles fährt wie das heiße Messer durch die Butter. Das Seltsame ist, das mehr denn je produziert wird, aber aufgrund der medialen Arbeit in Metropolen und der ungleich verteilten Marketingbudgets gibt es eine Kontinuität von heißem Scheiß, der vielleicht nur eine Luftblase ist, wie FKA twigs: Plötzlich wird eine Erwartungshaltung geschürt, und wenn die Platte dann rauskommt, ist die sofort ein Superstar …

Ostermayer: … und unbezahlbar fürs Donaufestival!

Edlinger: … und sie ist in der gesamten westlichen Welt ein Superstar. Das kann man nur aus London machen, und nicht aus Gramatneusiedl – insofern sind die ökonomischen Umstände, wie Hypes – oder neutraler: Erfolge, oder eben heißer Scheiß produziert werden –, vorschnell verabschiedet worden, die gibt es durchaus noch.

Ich war gerade beim Unsound Festival in Krakau, da und in den Tourplänen der Elektronikszene werden ein paar Namen herumgereicht, die dann nicht aus 1000 geschöpft sind, sondern aus 40, 50. Ein Konsens entsteht in den Magazinen, online, zwischen Blogs und den herkömmlichen Medien, die sich deshalb auf was einigen, weil sie wollen, dass man weiß, worüber man spricht. Diese Maschine funktioniert dann doch über Namen und Images.

Unsound hatte diesen Herbst zum Beispiel eine recht kühne Marketingstrategie, sie haben ein Drittel der Namen in der Werbung geschwärzt, man wusste also nicht, wer auftritt – das war der heiße Scheiß.

Burial, der sonst nie auftritt, sollte da sein, und in so einem Schacht waren tatsächlich Burial Tracks zu hören. Das Gerücht vom ersten Auftritt verbreitete sich, bald gab es ein Gegengerücht, der Labelbetreiber, bei dem Burial unter Vertag ist, hätte alles arrangiert. Der war nämlich da, und der hatte auch anderswo schon so ähnlich agiert, mit Kapuze aufgelegt und Burial-Tracks gespielt. Der darf das natürlich, und es wurde auch nirgendwo offiziell gesagt, dass Burial auftritt. Und das ist ein Musterbeispiel für Heiße-Scheiß-Entwicklung. Und ich halte Burial auch für einen der wichtigsten und interessantesten Musiker der nuller Jahre, auch wenn der schon länger nichts Neues gebracht hat.

Ostermayer: Und man will ja manchmal über das gleiche sprechen. Auch wenn ich da ins Fettnäpfchen trete: Ich finde es sehr gut, dass es ein Netzmagazin wie Pitchfork gibt, die pro Tag vier Platten rezensieren, von Freejazz bis zu irgendeiner Neo-Folklady aus Nashville. Ich lese das sehr gern, weil ich weiß, das lesen irrsinnig viele, und ich kann darüber dann kommunizieren. Es geht doch um dieses Kennst-du-schon, das geht bis zu unseren „Sumpf“-Jahrescharts: Oft müssen wir uns gegenseitig was schicken, das irrsinnig wichtig ist, weil das eine ein Tom-Special-Interest ist und das andere mein Special Interest.

Es gibt immer so viel Angebot, dass man froh ist über eine Plattform, die sich darum kümmert, dass dort kein Scheiß stattfindet, und Pitchfork ist so was. Und jetzt sind die verkauft an irgendeinen großen Verlag. Man muss sehen, wie sich das entwickelt, aber die wollen wohl genau das haben. Prinzipiell schätze ich diese gern gedisste Plattform sehr als eine der letzten.

Vollständiger Artikel in der Printausgabe.

 

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