Jetzt hat auch Mick Harvey die Bad Seeds verlassen, nachdem Eyecatcher Blixa Bargeld den Dienst schon länger quittiert hat. Dass mit Harvey der für die gern opulenten Arrangements Zuständige gegangen ist, kann man „Push The Sky Away“ (Bad Seed Ltd./Rough Trade) anhören: Die meisten Stücke sind instrumental abgemagert bis auf die Knochen und weisen eher in Richtung der Filmmusik, die Nick Cave mit seinem Langzeitgefährten Warren Ellis komponiert hat. Der gebürtige Australier Cave ist ja schon lange nicht mehr nur Texter und Sänger, sondern auch erfolgreicher Romancier und Drehbuchautor. Für musikalische Saubarteleien betreibt er noch die testosteronschwangere Bubentruppe Grinderman. Da geht es auf der ersten Produktion mit den Bad Seeds seit fast fünf Jahren schon gesitteter zu. Auf Basis spartanischer Loops, angereichert mit dezenten Gitarren, Keyboardtupfern und Streichern erzählt Cave distanzierter als man es von ihm gewohnt ist, von seltsamen Achtsamkeitskursen („Mermaids“), oder im fiebrigen „Higgs Boson Blues“ von unlängst von Atomphysikern entdeckten Gottesteilchen. Dazu Robert Johnson an der berühmten Kreuzung und Miley Cyrus als Wasserleiche im Pool. Noch Fragen? Den großen Klassikern der Bad Seeds kann „Push The Sky Away“ nicht zuletzt wegen einer gewissen Unentschiedenheit im Charakter nicht das Wasser reichen.
Noch keine 30 wie die Bad Seeds, aber immerhin schon über 20 Jahre hat die in Klagenfurt ansässige Band Naked Lunch auf dem aufrechten Buckel. Dabei war das 2004 erschienene „Songs For The Exhausted“ schon als finales Statement des Scheiterns geplant, das – ähnlich einer paradoxen Intention – Naked Lunch dann doch mit neuer Relevanz und Akzeptanz weitermachen hat lassen. Weniger mit Kraftmeierei als mit luzidem, elektronisch unterfüttertem Songwriting ist es dem (damals noch) Trio gelungen, sich quasi neu zu erfinden. Mit „All Is Fever“ (Tapete Records/ Indigo) erscheint dieser Tage nach „This Atom Heart Of Ours“ (2007) das dritte Album nach der Zäsur. Mit dem Bild einer golden spiegelnden Rettungsdecke steuerten Hans Schabus und Dorothea Brunialti das perfekte Artwork bei und begründeten die Wahl des Sujets damit, dass man so eine Decke beim Hören dieser Musik gut gebrauchen könne. Das ist nicht aus der Luft gegriffen. Bereits das erste Stück, „Keep It Hardcore“, stellt in seiner etwas versponnenen Eigentümlichkeit einen Gatekeeper dar, der klarstellt, dass es in Folge nicht um reine Schmeichelei für die Ohren geht. „The Sun“ mit seinem abbaesquen Intro ist mit zwingender Melodie und dem (sich durch das gesamte Album ziehenden) Chorgesang ein würdiger Vorbote des Albums, der sich auch gleich an die Spitze der FM4-Charts katapultierte. Es folgen noch acht durchwegs grandiose Stücke, die sich der gängigen Kategorisierung weitgehend entziehen. Es wäre bald ein Subgenre „Naked Lunch“ fällig, das sich formal vom europäischen Kunstlied über rauschhafte Hymnen bis zum Todescountry bewegen kann. Auf der Gästeliste stehen Gustav (Stimme), sowie Olaf Opal und Sir Tralala an den Stromgitarren. Outstanding nannte man so was früher! Oder schon wieder?
Das Popbusiness wird echt alt: Die Band mit der kürzesten Geschichte in diesem Text bis hier feiert gerade ihr 20-jähriges Bestehen! Noch dazu im Wiener Burgtheater, wo Tocotronic am 6. Februar ihr zehntes Studioalbum „Wie Wir Leben Wollen“ (Vertigo Berlin/Universal) präsentierte. Schon vergangenen Herbst raschelte es beständig im Blätterwald ob der mysteriösen Produktion, die im Berliner Candy Bomber-Studio am ehemaligen Flughafen Tempelhof mit Equipment aus dem Paläozoikum aufgenommen wurde. Eskortiert wurde die Promophase von einem Manifest aus 99 Antworten auf die titelgebende Frage, deren täglich eine im Web veröffentlicht wurde. Das Album kann diesen monströsen Aufwand nicht ganz rechtfertigen, oder wurde dieser gerade deshalb betrieben? Wie auch immer, es ist schon lange nichts mehr mit „Es ist einfach Rockmusik“, wie es ein früher Titel vorgibt. Seit der Kursänderung mit K.O.O.K. 1999 haben sich die Tocos bzw. hat sich Dirk von Lowtzow textlich in ziemlich durchgeknallte Sphären begeben, die nur noch schwer nachvollziehbar sind. Vieles scheint auch dem Reim geschuldet zu sein. Eher dümpelt das fast 70 Minuten lange Album gemächlich dahin, ein etwas flotterer Song wie „Auf dem Pfad der Dämmerung“ hebt sich schon angenehm ab. Vielleicht bedarf es eines audiophilen Abspielgeräts um die psychedelischen Soundexperimente hören zu können. Die hallenden Einstiegszeilen des ersten Stücks „Hey/ Ich bin jetzt alt/ Hey/Bald bin ich kalt“ entbehren allerdings gerade im Popgeschäft nicht einer gewissen Komik. Vermutlich sind die Hamburger doch größere Blödler als angenommen.
Den Altersdurchschnitt gehörig senken können die Jungs von The End Band: die ursprünglich aus steirischen Gefilden stammenden fünf Mittzwanziger (der Bandname leitet sich vom entlegenen Ort Ending ab) legen mit „Babysounds“ (Zita Records/Hoanzl) ein mehr als ordentliches Debüt in voller Laufzeit vor. Elektropop, der die guten Seiten der 1980er in die Gegenwart katapultiert, möchte man meinen, würde das Quintett nicht live noch deutlich rotziger im Sound auftreten. Das Album ist also eine Art domestizierte Version ihrer Performances. Und dieses ist schon schneidig genug, versetzten doch schon die ersten Stücke, „Fury“ und „Ablepsia“, das geneigte Beinchen in gehörigen Wippmodus. Danach entwickelt sich Babysounds stärker in Richtung Dreampop bzw. Shoegazing. Mit „Fear’s Speech“ betritt Sänger Matthäus Maier das glatte Parkett der Ballade, und das ohne auch nur leicht ins Rutschen zu geraten. Es scheint, als wolle Maier mit seiner hellen Stimme und der zackigen Begleitung sagen: „Wir sind ein POP-Band!“ Und das sind sie auch – auf überzeugendem Niveau. Bei der Erforschung des passenden Sounds unter die Arme gegriffen hat den Jungs Alexander Wieser (Deskchair Orange). Mit „Babysounds III“ endet das Album geradezu symmetrisch angelegt wieder mit einem leisen, von sakralen Orgelklängen begleiteten Stück. Zum Schluss quietscht das zur Platte gehörende Baby, das übrigens Zita heißt. The End Band haben keine Scheu vor dem Wohlklang im besten Sinn und das ist gut so.
Auf andere Weise außergewöhnlich ist das Salzburger Trio Roia. Bestehend aus Nina Hochrainer, Dorian Wimmer (beide Gesang, Text und Komposition) und dem Universalisten hinter den Tasten und Reglern jeglicher Art, Paul Hochrainer. Einschlägig auffällig geworden ist das Trio bereits 2006 mit dem Album „Cute Little Fear“ und der Single „Suicide Butterfly“, die via FM4 ordentlich den Äther bespielte. Mit „Suitcase Affair“ (roia-music/Rough Trade) tritt das Projekt mit einer bezaubernd-somnambulen Produktion wieder an die Öffentlichkeit. Umsponnen von einem beeindruckenden, das mit elaborierten Drums, ausgeklügelten Electronics, lässigen Bläsern und jeder Menge Feinschliff am Detail gefällt, repräsentiert „Suitcase Affair“ zumindest partiell eine 2013 gültige Version dessen, was einmal TripHop genannt wurde. Die wandlungsfähige Stimme von Nina Hochrainer erinnert dabei auch an Beth Gibbons of Portishead-Fame. Unbedingt braucht das Album mehrere Durchläufe, damit die feingesponnenen Melodien und Nuancen ihre Wirkungskraft im Gehirn (und damit auch im Körper) entfalten können. Anspieltipps: „Sign Of Rain“, „In Vivo“, „Telling Silence“, am besten mit Kopfhörern. Es ist Roia (persisch für Traum) zu wünschen, dass sie ab 2013 die unbekannteste Band Österreichs gewesen sein werden.