Startseite » Anita Ammersfeld

Anita Ammersfeld

Text: Fabian Burstein | Fotos: Magdalena Blaszczuk

Mittlerweile gehört die noch junge Spielstätte neben dem Rabenhof-Theater zu den großen Shooting Stars der Wiener Kulturszene. Ein Umstand, den viele Beobachter – manchmal auch mit kritischen Untertönen – auf eine Programmierung jenseits jedweder Genregrenzen zurückführen.

Egal, wie man zu der Mischung aus politischem Theater, Kabarett und Musikbühne steht: Anita Ammersfelds durchaus riskanter Spagat zwischen kleinkünstlerischem Mainstream und theatralischer Avantgarde hat dem stadtTheater sowohl Publikum als auch künstlerisches Renommee gebracht. Ein Gespräch mit der Kulturmanagerin über die beschwerliche Anfangszeit, die omnipräsente Finanzierungsdebatte und das Bedürfnis, sich auch als Führungspersönlichkeit mal künstlerisch fallen zu lassen.

Zur Wiener Kulturlandschaft gehört untrennbar das Finanzierungsgejammere der diversen Theaterspielstätten. Von ihrem Haus hört man so etwas weniger. Geht es Ihnen so gut? Oder ist das eine Mentalitätsfrage?

Es ist von beidem ein bisschen was. Es gab nie genug Zeit zum Jammern. Ich hatte die letzten fünf Jahre alle Hände voll zu tun, das Haus zu positionieren, zu etablieren, umzubauen, bespielbar zu machen. All das aus eigener Kraft zu schaffen, war eine riesige Herausforderung, die meine Energien gebündelt hat. Hätte ich von Anfang gewusst, was da auf mich zukommt, hätte ich es mir wahrscheinlich gründlicher überlegt. Natürlich findet man es da nicht gerecht, wenn man sieht, dass andere Häuser in unserer Größenordnung viel mehr Geld aus öffentlicher Hand bekommen. Aber weil wir viel zu wenig kriegen, werden wir nie faul. Wir müssen immer gute Ideen haben, um zu überleben. Außerdem muss man schon ganz ehrlich sagen: Österreich ist eines der Länder Europas, in dem die meisten Subventionen vergeben werden.

Kann man in Krisenzeiten wirklich von guten Ideen leben?

Die Leute drängen gerade in der Krisenzeit immer mehr in die Unterhaltung, weil sie für ein paar Stunden vergessen wollen. Bei uns manifestiert sich das in einem enormen Besucherzuwachs – gerade im letzten Jahr.

Ihr Programm ist schwer einzuordnen, ein ständiges Schwanken zwischen U und E …

Wir müssen schon einen Spagat machen, um das Haus zu füllen. Es ist alles eine Frage des Anspruchs und des Niveaus, das man erzeugt. Ich bin heilfroh, dass ich alleine entscheide und nicht von irgendwelchen Dingen abhängig bin, die mir aufgezwungen werden. Ich kann sagen was wir spielen, wann wir es spielen und wer bei mir auf der Bühne steht. Es hat sich von Anfang an herauskristallisiert, dass – egal ob E oder U – schlicht und ergreifend das Niveau stimmen muss.

Welches Publikum spricht man mit so einem Kompromiss an?

Unser Stammpublikum ist eher urban. Es ist ein kulturell interessiertes Publikum, das einen spartenübergreifenden Spielplan haben möchte. Für diese Menschen ist die Vielfalt im stadtTheater der Hauptgrund, warum sie das Programm annehmen. Wir bieten eine Mischung aus Theater, Musiktheater, Solo-Performances, Kabarett. Solche Ausflüge sind bei uns legitim. Das bringt auch immer wieder Bewegung ins Publikum und in die Struktur des stadtTheaters.

Auf die Gefahr hin, dass mir jetzt Banalität unterstellt wird: Ich muss ehrlich gestehen, dass ich auch ganz gerne ins stadtTheater gehe, weil die Sitze bequem sind.

Das kann ich verstehen. Im Akademietheater kriege ich zum Beispiel Platzangst. Im Rabenhof bin ich auch immer ziemlich groggy, wenn ich lange sitzen muss – wegen der Holzsitze. Komisch, dass so etwas eine Rolle spielt. Wenn das Stück gut ist, sollte man eigentlich nicht darüber nachdenken, ob einem der Hintern weh tut.

Als Sie vor ein paar Jahren einen Liederabend mit Rainhard Fendrich gemacht haben, fand ich das, trotz der üblichen Programmvielfalt, sehr erstaunlich. Der war zu diesem Zeitpunkt eigentlich überall – und ganz besonders in der Kulturszene – unten durch. Haben Sie sich da einen Spaß daraus gemacht, die Elite ein bisschen zu provozieren?

Ich war von Rainhard Fendrich wirklich positiv überrascht. Der hat Manieren, ist immer höflich und mimt keinen großspurigen Superhelden. Ein wirklich professioneller Künstler, der sich auf die Bühne stellt und sein Programm professionell durchzieht. Das muss man mal vorwegschicken, da habe ich schon ganz andere kennen gelernt. Außerdem gab es einen konkreten Grund, warum er hier bei uns gespielt hat, und der hieß Georg Danzer. Mir ist der Georg immer sehr am Herzen gelegen. Wir haben uns damals im Hawelka kennen gelernt und in jungen Jahren sogar ein Duo gebildet. Unmittelbar nach der Gründung des Theaters konnte ich ihn dann für ein Gastspiel gewinnen. Das war so eine wunderschöne Wiederbegegnung. Der Georg war wirklich ein ganz Großer, ein begnadeter Poet und grundanständiger Mensch mit einer beispiellosen Haltung. Er hat mich damals allen Ernstes gefragt, ob ich wirklich glaube, mit ihm das Haus füllen zu können. Binnen weniger Tage waren alle Konzerte ausverkauft. Er hatte so einen Schaffensdrang und war so würdevoll, wirklich unglaublich. Deshalb haben wir trotz Krankheit weitere Auftritte mit ihm geplant. Nachdem der Georg gestorben ist, hat sich Rainhard Fendrich bereiterklärt, die noch offenen Konzerte bei uns zu spielen. Und zwar ohne Gage, damit das Geld Georgs Familie zugute kommt. Das fand ich großartig, da hat er sich sehr anständig verhalten.

Bei ihnen gibt es viele Erst- und Uraufführungen. Wie geht man mit dem Risiko um?

Das ist omnipräsent. Natürlich bewege ich mich auf der sicheren Seite, wenn ich althergebrachte Erfolgsstücke, von denen ich weiß, dass sie wunderbar beim Publikum funktionieren, zum hunderttausendsten Mal in einer Neu-Interpretation bringe. Aber das interessiert mich wenig. Ich bin stolz darauf, dass für uns schon Größen wie Felix Mitterer, Peter Patzak oder Peter Turrini Auftragswerke geschrieben haben – da kommen in nächster Zeit noch bekannte Namen wie Stefan Slupetzky, Joshua Sobol und Silke Hassler dazu. Dank der jahrelangen Akzeptanz bekommen wir jetzt zumindest eine Förderung der Stadt Wien. Die macht zwar nur ein Sechstel unseres Gesamtbudgets aus – aber das hilft uns bei Eigenproduktionen schon mal ein bisschen weiter. Trotzdem ist es ein ständiger Kampf, den wir nur durch die Vielfalt im Spielplan abfedern können. Weil ich muss einfach damit leben, dass bei aller Qualität nicht jede Eigenproduktion und Uraufführung voll beim Publikum einschlagen kann.

Sie sind ja eigentlich Sängerin und Schauspielerin, also künstlerisch sozialisiert. Ist da die ökonomische Verantwortung nicht manchmal auch eine Bürde?

Sicher. Ich würde auch lieber die Arme öffnen und allen sagen: Macht und tut, was ihr wollt. Aber das ist halt nicht drin. Wir gehen sogar davon aus, dass jedes Bühnenbild potenziell demontiert und teilweise wiederverwertet werden kann. Wir schöpfen hier also bei weitem nicht aus dem Vollen. Und weil das so ist und jeder in unserem kleinen Team an einem Strang zieht, kann unser Theater funktionieren. Mir tun Häuser sogar leid, wenn sie mit hunderten Mitarbeitern leben müssen. Da fehlt jegliche Überschaubarkeit und man verliert den Blick über den Tellerrand, weil man ständig mit sich selbst beschäftigt ist.

Aber immerhin können Sie diesen kleinen, totalitären Traum der alleinigen künstlerischen Verantwortung leben.

Das stimmt. Ich greife auch sehr stark ein. Bei mir sind die Grenzen sehr genau definiert. Es gibt Künstler und Regisseure, mit denen ich sehr gut zusammenarbeite – die die Struktur des Hauses und meinen Anspruch, aber auch die Erwartungen des Publikums hier kennen. Man muss schon schauen, dass man nicht gegen das Publikum Theater macht. Wenn wir mit neuen Künstlern arbeiten und ich merke, dass das in eine Richtung geht, die ich nicht verantworten will, dann greife ich sofort ein. Da bin ich eine unbarmherzige Teufelin. Ich hasse es, die Kontrolle aufzugeben. Ich glaube ja auch immer, mich um alles kümmern zu müssen. Um die frischen Blumen im Foyer, ob es genug Klopapier auf der Gästetoilette gibt. Da denke ich mir schon manchmal, ob das nicht zu weit geht. Schließlich möchte ich eigentlich für etwas anderes wahrgenommen werden. Andererseits ist das auch Teil der persönlichen Note, die dieses Theater hat. (Denkt kurz nach) Es gibt nur ganz wenige Menschen, bei denen ich mich fallen lassen kann. Regisseur Peter Patzak gehört da dazu, oder Thomas Schendel. Bei denen kann ich mich zurücklehnen, da muss man gar nicht mehr viel reden.

Geht Ihnen nie die Bühne und das „Geführtwerden“ ab?

Ich habe das erst kürzlich bei der Produktion „Kleine Eheverbrechen“ hier im Haus erlebt. Das war ein Zweipersonenstück, bei dem ich mir die weibliche Hauptrolle zu eigen gemacht habe. Diese Entscheidung war gar nicht so leicht, weil es für mich keinesfalls selbstverständlich ist, in meinem eigenen Haus auf der Bühne zu stehen. Schließlich will ich mich nicht verzetteln. Bei dem Stück hat Schendel Regie geführt, das war wunderbar, da konnte ich mich komplett aufgeben. Ich durfte zum Beispiel während der Proben nicht das Büro betreten, die haben mir die Türe vor der Nase zugeknallt. Ich habe das sehr genossen. Man wird ganz anders wahrgenommen, wenn man nicht nur Direktorin ist.

Ihr Standort ist ja mit ganz großen Namen wie Gerhard Bronner konnotiert. Hier ist legendäres Kabarett entstanden. Inwiefern hat das Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung ihres Theaters?

Ich bin sehr stolz darauf, dass hier mal so ein heiliger Theaterort war. Die Bühne hat jetzt ein anderes Gesicht, aber die Tradition der großen Inhalte lebt weiter. Mich macht es sehr glücklich, dass dieses Theater nicht verkommen ist, immerhin stand es zwei Jahre leer, bevor ich es übernommen habe.

Man muss auch ehrlich sagen, dass das Portfolio des unmittelbaren Vorgängers (die „Kleine Komödie“, Anm.) kein wirklicher Heuler war …

Das hat es umso schwieriger gemacht. Ich musste ja zunächst auch gegen dieses Image anspielen. Deshalb bin ich mit meinem Eröffnungsstück ein besonders großes Risiko eingegangen. Das war „Freunde, das Leben ist lebenswert“. Es ging darin um den Lebens- und Leidensweg der drei jüdischen Künstler Fritz Löhner-Beda (Operettenlibrettist, Anm.), Fritz Grünbaum und Hermann Leopoldi. Mein Mann hat das gelesen und gemeint: „Das kannst du nicht machen. Du kannst nicht ein Haus, das mal das Kärntnertortheater und die Kleine Komödie war, mit diesem Stück wiedereröffnen – die Leute rennen dir scharenweise aus dem Theater.“ Aber das war ich mir und dem Gedankenjahr 2005 schuldig. Wir haben das dann just am 20. April (Hitlers Geburtstag, Anm.) in Österreich uraufgeführt. Der Autor, Charles Lewinsky, hat sogar selbst inszeniert. Ich muss einen Schutzengel gehabt haben, weil uns ein wirklich tolles Ensemble gelungen ist. So ein großes Team kann ich mir nie mehr leisten, aber als Eröffnungspaukenschlag war das richtig und gut. Wir haben hymnische Kritiken bekommen, die Leute waren aus dem Häuschen.

Es war damals für alle Interessierten merkbar, dass mit Ihnen offenbar die jüdische Tradition ins Haus zurückkehrt. War diese Note eine ganz bewusste Entscheidung?

Ich wollte nie als ausschließlich jüdisches Theater gelten. Das würde sich auch irgendwann erschöpfen. Der Wille des Publikums, so einen Schwerpunkt dauerhaft mitzutragen, wäre wahrscheinlich enden wollend. Aber mir ist schon wichtig, dass die jüdische Identität immer wieder mit einfließt. Wir planen auch eine Produktion zum jüdischen Witz. Die soll rund um den 9. November (Jahres¬tag der Reichskristallnacht, Anm.) uraufgeführt werden. Ich möchte um dieses Datum herum positive Bezüge schaffen. Ich will nicht, dass wir uns ausschließlich über die Shoah und den Holocaust definieren …

Ich fand diesen Seitenstrang des stadtTheaters immer sehr wichtig. So viel jüdische Kultur gibt es in Wien ja schließlich nicht.

Es herrscht tatsächlich ein Vakuum. Vor dem Krieg haben hier 200.000 Juden gelebt, darunter so viele Künstler und Intellektuelle. Die sind größtenteils vertrieben und ermordet beziehungsweise nicht mehr aus dem Exil zurückgeholt worden. Die ganze jüdische Kultur und Prägung Wiens leidet bis heute unter diesem Super-GAU.

Glauben Sie eigentlich an ein Schlagwort wie das „politische Theater“?

Ich glaube, dass Theater ganz generell politische Haltung zeigen sollte – es sollte auch zum politischen Denken anregen. Aber eben nicht nur.

Sind Sie eigentlich eine edukative Theatermacherin? Suchen Sie immer nach dem tieferen Sinn?

Ich gönne mir schon auch mal das einfache Unterhaltungsmoment. Ganz ehrlich: Wenn ich dauernd nach einem tieferen Sinn suchen würde, würden wir uns irgendwo verbeißen. Denn letztendlich habe ich ohnehin in jedem Genre den Anspruch, niveauvoll unterhalten zu werden. Mittlerweile merke ich innerhalb von 20 Seiten, ob ein Stück so etwas leisten kann.

Das finde ich bewundernswert. Ich finde es generell nervtötend, Theaterstücke zu lesen.

Das war bei mir früher genauso. Ich habe mittlerweile gelernt, mich dabei zu vergnügen. Und ich belaste mich wirklich nicht mit schlechten Stücken. Es wird so viel an mich herangetragen, aber wenn ich merke, es gefällt mir nicht, dann lege ich es gleich weg.

Mittlerweile spiegelt sich die Wertschätzung der Kunstszene Ihnen gegenüber auch in vielen Preisen wider. Sie haben ein Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst der Republik Österreich und ein Goldenes Verdienstzeichen des Landes Wien. Ist das eine Genugtuung für die Mühen der letzten Jahre?

Nein. Man freut sich, mehr nicht. Weil es eine Anerkennung für erbrachte Leistungen ist. Aber hätte ich diese Auszeichnungen nicht, könnte ich auch ganz gut weiterleben. Wenn mir hier am Haus eine Eigenproduktion wirklich gelingt und ich sehe, dass die Leute hier rausgehen und sich nicht einfach abputzen, dann bin ich der glücklichste Mensch auf der ganzen Welt.

Anita Ammersfeld, geboren 1950 in Wien, war als Sängerin und Schauspielerin an zahlreichen Häusern in Österreich, Deutschland und der Schweiz engagiert. 1988 gründete sie das Musikforum Ammersfeld, mit dem sie innerhalb kürzester Zeit zu einer der wichtigsten Förderinnen jüdischer Musik avancierte. Seit 2005 leitet Ammersfeld das damals neu gegründete stadtTheater walfischgasse.

 

 

| FAQ 08 | | Text: Fabian Burstein | Fotos: Magdalena Blaszczuk
Share