Ein bemerkenswertes Phänomen: Die Zahl der Ausstellungen zum Thema Sound in der Bildenden Kunst nimmt in einem Ausmaß zu, die mit den Auswüchsen der Retrospektiven zu Expressionismus oder Pop Art vor 30 Jahren vergleichbar ist. Was anfangs als Randphänomen aus Fluxus oder Neuer elektronischer Musik herkommend betrachtet wurde, steht jetzt im Fokus großer Projekte, die immer wieder Neuentdeckungen oder bis dato wenig beachtetes historisches Material zu Tage fördern, wie zuletzt am ZKM im Karlsruhe. Dabei ist die Konvergenz von Sehen und Hören in der Audiovisuellen Kunst nicht bloß eine Frage der Technik. Selbst die Wahrnehmungsforschung hinterfragt die Getrenntheit der Sinne, hieß es dazu schon im Rahmen der Ausstellung „See this Sound‘‘ im Linzer Lentos Museum 2009.
Eine vollkommen neue Annäherung an dieses Schnittfeld zwischen Klang und Bildender Kunst unternimmt jetzt die Ausstellung „art is: new art‘‘ im Arnold Schönberg Center in Wien, die sich dem Œuvre Schönbergs widmet. Allerdings rückt sie erstmals das enorme Interesse an diesem Visonär der Moderne in der internationalen Gegenwartskunst in den Vordergrund. In unterschiedlichen Medien wie Malerei, Zeichnung, Video oder Installation stellen zehn Positionen aus dem Spitzenfeld der heutigen Kunst direkte Bezüge zu Schönberg her, wobei Künstlerinnen und Künstlern wie Marina Rosenfeld (US), Stephen Prina (US) oder Rodney Graham (CAN) selbst im Bereich von Musik und Sound arbeiten. Fast wie in der Produktion einer Coverversion geht Mathias Poledna (AT) vor, der Österreich übrigens auch auf der diesjährigen Kunstbiennale in Venedig vertritt und sich Fragen der Re-Inszenierung von Geschichte widmet. Als eines seiner Kernthemen untersucht er Narrative in der Kultur der Moderne in Film, Architektur und Design. Deshalb basiert sein Beitrag für „art is: new art‘‘ auf der Rekonstruktion eines 1911 von Arnold Schönberg entworfenen Schrankes. Dadurch möchte Poledna die geistige Verbindung zum Werk von Adolf Loos in den gestalterischen Entwürfen des All-Rounders Schönberg herausarbeiten. Den Maler Paweł Ksiaz˙ek (PL) hingegen interessiert in Bildzyklen mit Rückgriffen auf Fotografie, Film oder Video, das Phänomen der Erinnerung als Konstruktion zwischen Fiktion und Realität. Ausgehend von historischen Fotografien der Hände Schönbergs interpretiert er diese bildlich als Ausdruck eines spannungsvollen Energieraumes. Den Titel der Ausstellung sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen. Er entstammt einer Debatte über den Stellenwert Moderner Kunst 1949 in San Francisco, wo der im Exil lebende Schönberg feststellte: „Kunst ist für mich: neue Kunst. Das, was nie zuvor gesagt oder getan worden ist – nur das kann Kunst sein.‘‘ Also schlicht und einfach: „art is: new art‘‘. Was wäre dem hinzu zu fügen?
Nicht ganz diesen Eindruck vermittelt folgender Ausstellungs-Titel: „Zeichen, Gefangen im Wunder‘‘. Hier wurde alles bemüht, um eine Ausstellung rund um die Megacity Istanbul mit einem gewissen mystagogischen Schleier zu umhüllen. Im Katalog geht es weiter mit der Headline „Legenden und Wahrheit‘‘. Willkommen in Tausendundeiner Nacht! Offenbar nicht so leicht, den eurozentristischen Exotismus abzuschütteln. Glücklicherweise trügt auch dieser Schein! Durchaus mit Engagement macht sich dieses Projekts im MAK auf die Spuren von Istanbul heute in der zeitgenössischen Kunst, wobei nicht bloß Künstlerinnen und Künstler türkischer Herkunft beteiligt sind, sondern beispielsweise auch Olaf Nicolai oder Marcel Odenbach (D). Und hinter den „Legenden‘‘ steckt ein Interview mit Vasif Kortun, dem Ko-Kurator der Istanbul Biennale 2005 im Ausstellungskatalog. Es rollt die Prozesse der Globalisierung, aber auch die privaten Initiativen zur kulturellen Erneuerung der 14 Millionen Metropole durch die in der Kunst Ton angebende Familie Eczacıbas¸ı auf. Ähnlich wie in der Young British Art, nur mit weniger Ertrag für die Kunstschaffenden kam es auch in Istanbul seit den 1990er Jahren zu einem Hype junger Kunst, der die ironisch sozialkritischen Verfahren von Protagonisten wie Ahmet Ög˘üt (TR) oder kritische Kunst wie von Banu Cennetog˘lu (TR), die sich auf die Sprache der Massenmedien bezieht, beförderte. Die ausladende Installation von Emre Hüner (TR) „A Little Larger Than the Entire Universe‘‘ wiederum baut auf nachgebauten Relikten aus kulturellen Konstruktionen auf, was von Skulpturen aus Keramik bis zu Bezügen zum NASA-Space-Shuttle-Programm reicht.
Ganz gelingt es dieser Ausstellung aber doch nicht, vom sentimentalen Istanbulbild des Schriftstellers Orhan Pamuk wegzukommen, während wichtige Künstlerinnen wie Gülsün Karamustafa (TR) nicht vorkommen und Besucher über die spärlichen Informationen – auch im Katalog – klagen. An der Zeit ist es trotzdem, nach all den Moskau-, Post-Sowjet- oder China-Hypes endlich in größeren Ausstellungen um die Ecke in einen der westlichsten Teile der Türkei zu blicken.
Mit Information eher sparsam umzugehen liegt offenbar im Trend rigide durchökonomisierter Verhältnisse. Das kann ziemlich provozieren. Zum Beispiel im 21er Haus des Belvedere. Dort lässt eine aus mehreren öffentlichen Sammlungen zusammengestellte Schau zeitgenössischer österreichischer Fotografie jegliche chronologische Ordnung oder Zusammenstellung nach diskursiven Feldern hinter sich. Die Kuratoren Severin Dünser und Axel Köhne konzentrieren sich auf das einzelne „Bild‘‘, das natürlich immer – auch in der realistischen Malerei – Konstruktion ist. Die Irritation ist groß. Denn längst leben wir im postmedialen und somit auch postfotografischen Zeitalter. Manche Fotografien kommen beispielsweise aus dem Zusammenhang von Installationen wie jene von Dorit Margreiter (A), manche Bilder wiederum gehen in Richtung Abstraktion und thematisieren auch noch das Technische wie etwa jene von Nadim Vardag (D).
Wer nun – scheinbar befreit – vermeint, endlich werde jeglicher anstrengende Diskurs abgeworfen und das schöne Bild in den Vordergrund gestellt, irrt gewaltig. Dieses kuratorische Experiment steht letztlich auch im Kontext einer breiten Diskussion um gegenwärtige Ausstellungskonzepte. Trotzdem hätte ein bisschen mehr Information wesentlich mehr Spaß gemacht. Wenigstens ist der Katalog, in dem auch die Bilder (= Seiten) nicht fortlaufend nummeriert sind, nicht bloß als Ratespiel aufgebaut, sondern enthält auch Essays zu den Stilen und zur Geschichte der Fotografie in Österreich. Das Projekt erinnert daran, dass das Ordnen letztlich ein unabgeschlossenes Projekt bleibt; genauso wie die Aufgabe des Sammelns öffentlicher Institutionen. Jede Gegenwart kann nur fragmentarisch dokumentiert werden. Kunsträume von innen bleiben weiterhin die spannendsten Orte einer Stadt.