Die Idee war wie immer bei mir alle Ideen äußerst simpel und kam ein bisschen aus der Langeweile heraus“ sagt Bartz am Anfang unseres Gesprächs. Ein Gespräch, das, wie Interviews mit ihm öfter, im Café Prückel im ersten Wiener Gemeindebezirk stattfindet, in dessen Nähe er wohnt. 1958 ist er mit seiner Mutter auf dem Weg nach Israel in Wien „hängengeblieben“ und bewohnt (und belebt) seither (mit Unterbrechungen) diese Stadt. Anders, als es zu viele Wiener tun. Wien ist diesem Mann keine Welt für sich, nicht ihr einziger würdiger Anfang und nicht deren glorreiches, grandioses Ende. Sondern Teil einer größeren Welt, im geographischen Sinne ebenso wie im Sinn eines Punktes auf einem pulsierenden Globus der Ideen, deren Ausdrucksformen und Manifestationen. Die den Biss der Zeit spürbar machen, durch die Jahrzehnte, mal intensiver, mal weniger. Die es, wenn sie spannend und dynamisch genug sind, gilt herzuholen, in dieses Wien, selbst wenn es sich wehrt. Zu denen es ebenso gilt hinauszugehen, ihnen nach- und sie aufzuspüren.
Edek Bartz fällt es schwer, eine Berufsbezeichnung, eine Definition für sich zu finden, nur einen Begriff, der zusammenfasst, was er tut und getan hat. Eine Schwierigkeit, die er gerne auf jene Menschen auslagern kann, die über ihn, seine Person und Arbeit schreiben. Ein nicht ganz seriöser, aber auch nicht völlig abwegiger Vorschlag wäre „Journalistentraum“. Schließlich reicht ein zögernder Blick, ein unausgegoren formuliertes Fragenfragment und Bartz beginnt entlang der Konstanten Musik und Kunst eine faszinierende, vielgliedriges Netz von Assoziationen, Ein- und Ausblicken, Reflexionen und Perspektiven zu knüpfen, dem im Grunde nur mit einem formatsprengenden, wörtlich abgedruckten Interview samt Glossar beizukommen ist und das nach weiterführender Fragestellung schreit (hier wird der „Traum“ zum süßen „Albtraum“ …). Ein luftiges, weitreichendes Netz aus Gedankenketten, das nichts einfangen will oder in der Unbeweglichkeit fixieren, sondern im Gegenteil Verbindungen herstellt und Räume aufmacht, die vorher so nicht zugänglich waren. Das alles eng verwoben mit seiner Biografie, aber reichlich unösterreichisch/wienerisch bespiegelt Edek Bartz dabei keine Sekunde sein Ego oder stellt vergangene Errungenschaften anekdotisch in den Mittelpunkt, die ihm die Autorität verleihen würden wie Dinge heute (und auf immer) automatisch richtig einzuschätzen und wahrzunehmen.
Dabei kann Edek Bartz auf vieles zurückblicken, erweckt in seiner klaren Sprache viele Bilder zum Leben. Jenes, als er Bob Dylan, den er in dessen gläubiger Phase betreute, den „Wachtturm“ als Lektüre kaufen ging, weil diesem das nicht unerkannt möglich war. Evoziert das Image einer heftigen Diskussion mit Wolfgang Kos, heute Direktor des Wien Museum über einen tauglichen Pop-Begriff, ausgelöst von einem Aborigine-Sänger. Kos und Bartz zeichneten gemeinsam für das Festival Töne/Gegentöne verantwortlich, mit dem sie konträr zur heutigen Veranstaltungspraxis Musik nicht in Spezial(isten)-Ghettos wegpackten, sondern erfolgreich versuchten Kontexte herzustellen, von avancierter Klassik zu Sonic Youth. Dazu machten sie mit Leider Keine Millionäre stilistisch eigenwillige Musik. Mit den Sabres und Geduldig & Thimann schuf er nachhaltige Einträge in den leider regulär nicht erhältlichen Backkatalog wichtiger heimischer Musik. Letztere mit seinem Schulfreund Albert Misak unter den Mädchennamen der jeweiligen Mütter, dabei spürten Geduldig & Thimann weniger den eigenen, „authentischen“ jüdischen Wurzeln nach, als diese neu zu erfinden, befeuert von einem Film aus den 20er oder 30er-Jahren, in dem das Wort „Klezmer“ vorkam und nach der nicht unproblematischen Suche nach einem Klarinettisten – den sie in einem jüdischen Chinesen fanden. Als es weniger um die eigentlichen Ideen von Geduldig & Thimann zu gehen begann sondern darum, dem Publikum die Projektionsfläche für kulturelle Erinnerungsarbeit zu liefern, löste sich die Band auf. Edek Bartz weiß unsentimental um eine Zeit, als Roman Schliesser aka Adabei gar keine kleine Rolle für die mediale Aufmerksamkeit für Rockmusik spielte, wenn er über den beim Heurigen grünen Veltliner trinkenden Eric Clapton schrieb. Er hat nicht vergessen, dass es notwendig war, seine selbst gesammelten Clips aus der englischen Musikpresse zum Thema Punk den hiesigen Redaktionen vorzulegen, um wenigstens ein kleines Publikum für das erste Konzert von The Clash zu mobilisieren.
Aber Edek Bartz hat nicht nur Vergangenheit, sondern reichlich Gegenwart und Perspektiven. So ist nicht auszuschließen, dass Geduldig & Thimann noch ein Album machen, möglicherweise für das Tzadik-Label von John Zorn, einem Musiker und kulturellen Aktivisten, der für seine konsequente und vielschichtige Arbeit Bartz´ ganzen Respekt genießt. Völlig abwesend in Edek Bartz´ reicher Rede sind Jammerei oder abschätzende, gar verächtliche Wertungen. Gerade, weil ihm eben nicht alles gleich gut und wichtig ist.
Secret Passions
Bei der telefonischen Verabredung zum Interview lenkt Edek Bartz die Aufmerksamkeit auf „Secret Passions“, ein 2010 in der Edition Angewandte des Springer Verlags erschienenes Buch. Der Band aus der Buchreihe der Universität für angewandte Kunst Wien, an der Bartz unterrichtet, dokumentiert eine Serie von Gesprächen, die er in den Jahren 2002 bis 2009 in der Universitätsbibliothek auf Anregung deren Leiterin Gabriele Koller mit Künstlern wie Christian Attersee, Urs Fischer, Daniel Richter und Architekten wie Greg Lynn oder Wolf D. Prix führte. Gegenstand dieser Gespräche: Musik, genauer von den Gesprächspartnern ausgesuchte, kommentierte und vorgespielte (Lieblings-)Musik. Bartz´ zentrales Thema in full effect – die Durchdringung und Verwobenheit von Kunst und Musik, in ganz unmittelbarer Form aufbereitet.
„Gabriele Koller und ich haben so dahin geredet, wir sind dann darauf gekommen, dass es interessant ist, dass Künstler immer versuchen, ein bestimmtes Bild von sich zu vermitteln. Sie sagen etwa – ich lese nur Philosophie und dann kommst du zu ihnen ins Studio und es liegen lauter Krimis herum. Oder sie sagen – ich höre nur Schönberg und dann gehst du hin und hörst, dass sie ganz simple Schlagermusik hören. Was ich aber gewusst habe, und was ich als Phänomen sehe, dass viele Künstler, was ungewöhnlich ist, dass viele Künstler so ein Fanverhalten haben, ähnlich wie beim Sport. Künstler haben Leidenschaften, in die sie sich total verbeißen. Und ich habe schon gemerkt, dass bei solchen Sachen alles ein bisschen ausklinkt, da kommt eine Art von Leidenschaft zutage, über die eigentlich nicht mehr richtig zu diskutieren ist. „Secret Passions“ deswegen, weil das erst auftaucht, wenn du die Künstler kennst.“ Im kleinen Rahmen – „wenn du vor 50 Leuten sitzt, ist dir das egal“ – fiel die Inszenierung weg, Daniel Richter wucherte etwa in Reggae und deutschem Punk. „Dann geht’s drum, dass er dir das erklärt, weil, da ist manches ziemlich doof. Er erklärt dir Sätze, die er ganz toll findet, die jeder andere für blöd hält. Was ich immer will, und das ist auch die Pointe, dass die Leute erklären, warum sie es interessant finden, was ist an dem interessant? Dass, was in der Kunst nie vorkommt, auch in der Musik nicht, dass die Leute erklären, was genau sie daran interessant finden. Warum sieht er etwas, was ich nicht sehe?“.
Eine simple Form – „fast schulisch“ – in der Edek Bartz seinen zentralen Themen weiterführend nachspüren kann. „Beide Sachen haben mein gesamtes Arbeitsleben ganz stark geprägt und mich begleitet. Es wird ja heute viel hingeschmissen, es wird viel gesagt und behauptet, das ist ein gutes Gebäude oder das ist ein schlechtes Gebäude. Aber warum es so ist, warum ist das schlecht, dass wird nie mehr gesagt. Das ist, was mich interessiert. Das ist schon mein Anspruch, ich habe mich immer bemüht, klar zu sagen und zu machen, warum ich etwas tue oder warum ich etwas nicht tue. Dass es keine Stimmungsgeschichten sind, sondern, dass das für mich einen Sinn hatte.“
Selber zu einer ähnlich angelegten Veranstaltung eingeladen, geriete Edek Bartz in Entscheidungsnotstand. Ein Musikmensch durch und durch, versiert in (Free) Jazz und Klassik, der mit Geduldig & Thimann Klezmer-Musik spielte, als es im Grunde noch keinen Klezmer gab, der sich mit einem Soloalbum „Der Mann für mich“ 1983 an (deutschsprachigen) Interpretationen des Great American Songbook versuchte oder der als Mitarbeiter der Agentur Stimmen der Welt mit den Titanen der Rock wie den Rolling Stones, Led Zeppelin oder Hendrix zu tun hatte – von dessen Auftritt 1967 im Wiener Konzerthaus übrigens kein Foto überliefert ist.
„Für mich wäre es wahrscheinlich völlig unmöglich so etwas zu machen, ich habe darüber schon nachgedacht. Dadurch, dass ich mein ganzes Leben mit so viel ganz verschiedener Musik verbracht habe, hängt sich meine Leidenschaft nicht irgendwo ganz spezifisch auf. Ich könnte nur sagen, was ich diese Woche gehört habe, was mich diese Woche interessiert hat. Ich habe zum ersten mal seit langem wieder – nach langer Zeit – wieder ein paar neue zeitgenössische Komponisten gehört, aber auch alte Rockmusik, die ich ganz lange nicht gehört habe. Wie klingen die Byrds heute, wie klingen diese kalifornischen Bands, die ich 30 Jahre nicht gehört habe. Ich lese etwas, ich habe eine Assoziation, eine Woche später mag es Countrymusik sein, wieder eine Woche später …“.
Die Trennung von Kunst und Musik
Bartz erzählt vom Architekten Greg Lynn, der in seiner Architekturklasse an der Angewandten den sichtlich irritierten StudentInnen The Who in großer Lautstärke vorgespielt hat, zwei Versionen des selben Songs. Einmal das Demo und einmal das mit einem Synthesizer ausarrangierte Stück, um musikalisch die Lösung eines architektonischen Problems darzustellen. Vom „Neuen Wilden“ Albert Oehlen, mit dem er sich regelmässig über Musik austauscht („Albert, wo sind wir jetzt?“ – „Soft Machine und Zappa“), von einem New York-Aufenthalt in jüngeren Jahren, in der in der Kunstwelt helle Aufregung anlässlich eines Konzerts von John Lurie herrschte – „du gehst doch auch?“. Vom englischen Kurator Matthew Higgs, für den in Manchester aufgewachsen Pop & Kunst ebenso untrennbar verbunden sind wie für ihn. Er erzählt vom Kunstmagazin Artforum und dessen substanzieller Würdigung der Sängerin Odetta, pflichtet einer vom Fragesteller implizierten weitgehenden Weltentrennung von Kunst und Musik hierzulande frei von Kulturpessimismus bei. „Anders als im angloamerikanischen Raum gibt es keine selbstverständliche Verbindung, keine gegenseitige Befruchtung“. Seine Studenten rufen ihn vom Frequency-Festival in St. Pölten aus an, er soll doch bitte vorbeikommen, es ist so lässig. „Wer spielt denn?“ – „Keine Ahnung“.
„Ich glaube, das hat auch sehr viel mit der Lebens- geschichte der Leute zu tun. Das ist vielleicht ein bisschen provokant, was ich da sage. Schau, viele der Künstler kommen vom Land, dann kommen sie in die Stadt. Da ist schon ein großer Bruch, sie steigen gleich in die volle Avantgarde ein, man ist supermodern, Wien ist auch in der Kunst supermodern, sofort wird in ein Image hineingearbeitet, der eine ist plötzlich nur mehr in Gucci und Techno, alle begeben sich in eine Rolle. Alle sind gleich ganz woanders.“
Eine zu starre Rolle, die Edek Bartz und seinen Erfahrungen wiedersprechen würde. „Ich mach eigentlich immer dasselbe, ich mach es vielleicht in verschiedenen Medien. Ich habe meine Roots nie verlassen, aus der Musik kommend, aus der Subkultur. Die Inhalte sind schon aus der Kunst oder Literatur gekommen, aber mir ist es gelungen, diese beiden Welten zu verbinden und ich habe nie etwas für ein bourgeoises Leben eingetauscht, auch wenn ich dort war. Jeder glaubt – mein Gott, er war jetzt Direktor von der Messe – aber, war ich halt Direktor von der Messe, das hat mich von nichts anderem ferngehalten. Sonst hast du ja nur mehr mit Geld zu tun, du lernst kennen, was du alles gar nicht wissen willst. Da war plötzlich wieder ganz wichtig zu den Studenten zu gehen, die mich anrotzen, dieser Gegenpol. Das ist die größte Gefahr – jede Beziehung zum normalen Leben zu verlieren.“