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Aufbruchsstimmung

Text: Jörg Schiffauer | Fotos: Press
Marshland (Polyfilm)

Im September des Jahres 1980 ereignet sich in einem kleinen Dorf im tiefen Süden Spaniens ein grausamer Doppelmord, dem zwei Mädchen zum Opfer fallen. Ein junger Kriminalbeamter wird aus der Hauptstadt abkommandiert, um das Verbrechen aufzuklären, gemeinsam mit einem lang gedienten Kollegen nimmt Pedro Suárez die Ermittlungen auf. Im Verlauf ihrer Nachforschungen stellen die Kriminalisten fest, dass die Tötungsdelikte auf das Konto eines Serienkillers gehen, der in dieser Region schon seit längerer Zeit sein Unwesen treibt. Doch hinter dem Fall scheint noch viel mehr zu stecken … Marshland ist ein atmosphärisch unheimlich dichter Politthriller, der es geschickt versteht, den Erzählstrang um eine grausame Mordserie mit einer entscheidenden Umbruchsphase in der Geschichte Spaniens zu verknüpfen. Denn 1980, knapp fünf Jahre nach dem Tod Francos im November 1975 befindet sich das Land mitten in der „Transición“, der Zeit des Übergangs von der Diktatur des Caudillo zu einer parlamentarischen Monarchie. Welche tiefe Gräben dabei überwunden werden müssen, zeigt Marshland anhand seiner Protagonisten: Pedro repräsentiert dabei jene Bewegungen in der spanischen Bevölkerung, die die Demokratisierung rasch vorantreiben möchten, sein älterer Kollege dagegen steht noch der Zeit des Franquismus näher. Ungeachtet aller Gegensätze müssen sich die ungleichen Ermittler zusammenraufen, um die Mordserie und damit auch die Seilschaften, die tief in die Zeit der Diktatur zurückreichen, zu stoppen. Alberto Rodríguez gelingt mit Marshland ein intensiver Thriller, der sich als kongeniales Sinnbild eines zentralen Kapitels in der jüngeren Geschichte Spaniens erweist.

Als absoluter Favorit der Kritiker galt bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes Toni Erdmann. In Maren Ades Tragikomödie reist der Musiklehrer Winfried nach Bukarest, um seiner Tochter Ines, die dort als Unternehmensberaterin tätig ist, das Leben schwer zu machen. Dazu verwandelt er sich mittels Zottelperücke und einer grotesken Zahnprothese in den fiktiven Charakter Toni Erdmann, der bei jeder unpassenden Gelegenheit auftaucht, um Ines in peinliche Situationen zu bringen. Doch Winfrieds groteske Auftritte sind nicht nur Kasperliaden, vielmehr möchte er seine Tochter dazu anregen, grundsätzlich über ihr Leben nachzudenken. Peter Simonischek und Sandra Hüller begeisterten mit ihrer Darstellung einer höchst ungewöhnlichen Vater-Tochter-Beziehung, zur allgemeinen Überraschung ging Toni Erdmann bei der Preisverleihung völlig leer aus.

Erfolgsgewöhnt ist zweifellos Illumination Entertainment, vor knapp zehn Jahren von Chris Meledandri gegründet und mittlerweile eine der führenden Adressen in Sachen Animation, auf dessen Konto etwa Despicable Me samt den mittlerweile gut bekannten Minions geht. Das Zeug zum Publikumshit hat zweifellos auch The Secret Life of Pets. Im Mittelpunkt stehen dabei die Haustiere eines Gebäudes in New York, die sich, nachdem ihre jeweiligen Besitzer zur Arbeit gegangen sind, zusammenfinden, um sich die Tage möglichst vergnüglich zu gestalten. Doch als das Frauchen des Terriers Max einen neuen Hund mit nach Hause bringt, gerät das fröhliche Leben schnell außer Balance. Als dann auch noch ein Kaninchen namens Snowball, das finstere Pläne hegt, ins Spiel kommt, sind Turbulenzen vorprogrammiert.

Ein tierischer Protagonist steht auch im Mittelpunkt von Todd Solondz’ neuem Film Wiener-Dog. Die titelgebende Dackelhündin erlebt anhand wechselnder Besitzer, von welchen Neurosen und anderen Verirrungen die US-amerikanische Mittelklasse geplagt wird. Solondz, der sich allein wegen seines eigenwilligen, weil tiefschwarzen Humors, eine singuläre Position im gegenwärtigen US-amerikanischen Independent-Kino erobert hat, nimmt auch in Wiener-Dog mit scharfem Blick Verirrungen und Abgründe ins Visier, um in vier Episoden seine ebenso kritische wie düstere Bestandsaufnahme des gegenwärtigen Amerikas zu erstellen. Julie Delpy, Greta Gerwig, Danny de Vito und Ellen Burstyn spielen einige der Charaktere, die im Verlauf des Films zu Opfern von Solondz’ abgründigem Humor werden, mit dem der Regisseur gekonnt zwischen bitterem Lachen und blanker Verzweiflung zu manövrieren versteht.

Ein eigenwilliger Charakter ist der Protagonist von Captain Fantastic. Entgegen der ersten Assoziationen, die der Titel hervorrufen könnte, ist der von Viggo Mortensen verkörperte Ben jedoch kein Superheld, sondern ein Mann, der seine sechs Kinder in den tiefsten Wäldern Washintons fernab von der modernen Zivilisation großzieht. Doch obwohl Ben seine Sprösslinge von technischen Neuerungen weitgehend fernhält, sorgt er doch für ihre umfassende Ausbildung in physischer und intellektueller Hinsicht – die Feier des Noam-Chomsky-Tags zählt zu den Fixpunkten der Familie –, um sie für ein Leben als Selbstversorger bestens vorzubreiten. Doch der Suizid von Bens Frau und das damit verbundene Begräbnis zwingen die Familie, sich mitten in die moderne Welt zu begeben – was in der von Matt Ross in Szene gesetzten Tragikomödie für entsprechende Friktionen sorgt.

Edward Snowden hat mit seinen Enthüllungen über die Praktiken, mit denen die NSA beinahe jedermann bespitzelt, für einen berechtigten Aufschrei unter jenen gesorgt, die bürgerliche Grund- und Freiheitsrechte noch einigermaßen ernst nehmen. Oliver Stone, der im Verlauf seiner Karriere mit Filmen wie Salvador, Platoon, Wall Street, Born on the Fourth of July oder Nixon als ebenso profunder wie erbitterter Kritiker der US-Politik erwies, hat sich mit Snowden der Geschichte des weltbekannten Whistleblowers angenommen, die Titelrolle spielt Joseph Gordon-Levitt.

Das Österreichische Filmmuseum zeigt ab Ende August den zweiten Teil des Polar-Projekts, das sich dem französischen Kriminalfilm, dem „film policier“, in all seinen Varianten widmet. Zu sehen sind stilbildende Arbeiten wie Godards À bout de souffle, Jean-Pierre Melvilles Le Samouraï und Le Cercle rouge oder Luc Bessons Nikita.


Marshland / La isla mínima

Kinostart:1. Juli

Toni Erdmann

Kinostart: 15 Juli

Pets / The Secret Life of Pets

Kinostart: 28. Juli

Wiener-Dog

Kinostart: 29. Juli

Captain Fantastic

Kinostart: 19. August

Snowden

Kinostart: 23. September

Österreichisches Filmmuseum:

Wahl der Waffen. Der französische Kriminalfilm 1958–2009 ab Ende August

| FAQ 38 | | Text: Jörg Schiffauer | Fotos: Press
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