Die Laufbahn des 1932 in Halberstadt zur Welt gekommenen Alexander Kluge ist von einer Multimedialität geprägt, die kaum ein anderer deutschsprachiger Künstler vorweisen kann. Er studierte Rechtswissenschaft, Geschichte und Kirchenmusik, war ein Vertrauter des Philosophen Theodor W. Adorno, absolvierte ein Praktikum bei Regielegende Fritz Lang, veröffentlicht zahlreiche Bücher, drehte Filme und bespielte mit seiner Firma dctp die Drittsendezeitfenster der Sender RTL, SAT.1 und VOX. Die Auszeichnungen über die Jahrzehnte waren zahlreich: Für Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos erhielt Kluge den Goldenen Löwen der Filmfestspiele von Venedig, für sein schriftstellerisches Werk u. a. den Büchner- und den Heine-Preis. Kluge war immer ein Mann des Dialogs, ein neugieriger Geist, der die Zusammenarbeit mit Künstlern wie Gerhard Richter, Georg Baselitz oder Helge Schneider suchte. In seinen Filmen verbinden sich Geschichte, Theorie und – nach Eigenaussage besonders wichtig – Musik.
All diese Elemente werden auch in der von Axel Köhne kuratierte Gesamtinstallation „Pluriversum. Die poetische Kraft der Theorie“ im Belvedere 21 sichtbar: 55 Filme und Ausstellungsstücke vom Mischpult bis zur Arriflex-Kamera verbinden aktuelles wie historisches Wirken des Universalgelehrten; Vergangenheit trifft auf Gegenwart. Der Zeitpunkt der Ausstellung ist kein zufälliger und passt zum Jahresmotto „Spirit of 68“. Kluge, der sich stets Themenfeldern wie gesellschaftlichen Verhältnissen und Selbstbestimmung annahm, begleitete selbstredend auch die politischen Ereignisse dieses mythischen Jahres in Wort und Bild. Die Ausstellung arbeitet dabei Kluges wohl prominentestes Stilmittel heraus: die Montage. Disparate Elemente unter anderem mittels Split Screens zusammenzuführen, das war und ist die Spezialität Alexander Kluges. Kluge, der auch der Weltpremiere seines Films Happy Lamento, der in Zusammenarbeit mit Rapid Eye Movies und Khavn de la Cruz entstand, im wunderschönen Blickle Kino beiwohnte, zeigte sich begeistert über die Möglichkeit, sein Werk im Ausstellungskontext zu präsentierten: Hier würden sich seine Arbeiten aneinander reiben. Tatsächlich treten Bilder, Filme, Objekte und Texte in einen spannenden Dialog. Filme über die deutsche Nachkriegsgesellschaft treffen auf ein aktuelles Werk zur Historie der Arbeit, Bücherregale zeugen von einem vielschichtigen literarischen Werk zwischen Theorie und Prosa. Auch Filme, die vom Werk der österreichischen Dichterin Friederike Mayröcker inspiriert wurden, gibt es zu sehen. Ebenso spannend das Umfeld der Ausstellung: Im Blickle Kino werden täglich Kurzfilme Kluges gezeigt, eine Smartphone-App erweitert die ausgestellten Arbeiten. Am 6. Juli gibt es ein Sonderprogramm, am 7. Juli eine Filmwerkstatt in Anwesenheit des Künstlers.
Den Titel „Die poetische Kraft der Theorie“ meine er übrigens völlig ernst, so Kluge bei der Pressekonferenz: Er sei ein leidenschaftlicher Vertreter der Aufklärung, doch brauche es auch ein bisschen Magie und Geisterhaftes im Leben. Das erinnert an ein Lied der Gruppe Tocotronic: „Pure Vernunf darf niemals siegen.“ Bei allem intellektuellen Anspruch ist so immer auch Wärme und Menschlichkeit im Werk des Multitalents spürbar. Dies wird auch an der Person Alexander Kluge selbst sichtbar: Am Ende der Happy Lamento-Premiere bedankte er sich beim ohnehin begeisterten Publikum, weil es an einem Sonntag, noch dazu bei wunderschönem Sommerwetter so zahlreich erschienen war.
Alexander Kluge. Pluriversum. Die poetische Kraft der Theorie.
Belvedere 21. Bis 30. September 2018